Ex-Kraftwerk-Mitglied Karl Bartos hat den Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“ vertont – und bringt den Gruselklassiker samt Musik auf die Bühne.
Der Musiker Karl Bartos ist mit dem Projekt „Das Cabinet des Dr. Caligari“ auf Konzertreise. Ein Stummfilm-Erlebnis für die Augen und eben auch für die Ohren: Denn während auf Großleinwand die digital restaurierte 4K-Fassung des Klassikers flimmert, steuern Bartos und der Musiker Mathias Black live und punktgenau den Soundtrack bei. Musik, die in kein herkömmliches Genre passt, aber offenbar den Nerv der Zeit trifft. Immerhin eroberte das gleichnamige Album die Top 10 der deutschen Album-Charts.
Für den studierten Musiker und ehemaligen Kraftwerk-Mitstreiter Karl Bartos war die Vertonung von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ unausweichlich. Schon früh im Leben sei er mit dem düsteren Stoff aus dem Jahr 1920 in Berührung gekommen und so richtig habe ihn der Horrorfilm über einen Schlafwandler nicht losgelassen, erzählte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
War der Soundtrack dieses expressionistischen Meilensteins der Filmgeschichte also logische Konsequenz? „Ich würde fast sagen, es hat etwas mit Liebe zu tun“, schwärmte Bartos. „Liebe lässt sich nicht erklären, sie ist einfach da.“ Drei Jahre lang habe er an dem Projekt gearbeitet – mit technischer Unterstützung des Ingenieurs Mathias Black. Mit musikalischen Mitteln machten sie das Gelächter der Menschen, die Fußtritte, das Knarren der Türen oder das Geschepper des Geschirrs hörbar.
Vieles in seinem Leben sei bereits auf dieses Werk zugesteuert, etwa das 1978 erschienene Kraftwerk-Album „Die Mensch-Maschine“, für das sie den Song „Metropolis“ schrieben. Fritz Langs berühmter Film sei auch der Auslöser gewesen, sich mit dem Begriff Mensch-Maschine auseinanderzusetzen. „Seinerzeit kam ich zum ersten Mal mit dem Kino der Moderne und mit dem Caligari-Film in Berührung.“ Für ein Lied sei das Thema nicht geeignet, denn: „Das Thema ist zu komplex, das lässt sich nicht auf einen Song verdichten.“
Die mystische Geisterwelt der Romantik
Außerdem – und da zeigt sich, wie genau es der Musiker mit inhaltlichen Zusammenhängen nimmt – gehe es bei Caligari nicht um Maschinen, sondern um Menschen: „Es hat mit Psychoanalyse zu tun, es geht um expressionistische Weltanschauung und um die mystische Geisterwelt der Romantik.“ Allemal keine leichte Kost – und damit vermutlich genau das Richtige für einen so beschlagenen wie intellektuellen Komponisten wie Karl Bartos.
Trotzdem sagt der 1952 in Marktschellenberg im Berchtesgadener Land geborene Künstler, dass er für die Arbeit an „Das Cabinet des Dr. Caligari“ anfangs „keinen Plan“ gehabt habe, dass er „einfach angefangen“ habe. Das kompositorische Rüstzeug hat er sich einst bei seinem Studium von 1970 bis 1976 an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf draufgeschafft, wo er Klavier, Vibrafon und Schlagzeug studierte.
Als die Gruppe Kraftwerk, bereits ein Hit-Garant, Mitte der 1970er Jahre einen Schlagzeuger für die Tournee suchte, war Bartos zur Stelle. Bis 1990 war er festes Mitglied der weltweit erfolgreichen deutschen Elektro-Pop-Pioniere. Der Kult um die Formation, die mit „Autobahn“ und „Das Model“ zeitlose Klassiker geschaffen hat und gelegentlich in einem Atemzug mit den Beatles genannt wird, nimmt er eher leicht: „Es ist schon eine große Ehre, dass Kraftwerk beispielsweise in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen wurde“, sagt er, „doch man sollte die Füße auf dem Teppich lassen.“
Bartos über Computer: Nur praktische Werkzeuge
Kraftwerk sei vor allem clever gewesen beim Zusammenführen von bereits bestehenden Elementen. „Wir waren gut darin, die Logik der Maschine zu ästhetisieren“, sagt er. Die Wege von Bartos und den Kraftwerk-Gründern Ralf Hütter und Florian Schneider trennten sich, als Bartos bemerkt habe, dass der vorher allgegenwärtige Humor abhandengekommen sei. „Und die Humanität“, sagt er, „in dem Moment, in dem wir im Studio digital wurden, wurde es auch transhuman.“
Bartos habe den technischen Fortschritt kritisch gesehen: „Im Gegensatz zu meinen Bandkollegen, die erkannten darin ein attraktives Geschäftsmodell. Das war nichts für mich.“ Bis heute ist Bartos‘ Liebe zum Computer alles andere als leidenschaftlich entfacht. Die Rechner seien lediglich „praktische Werkzeuge“.
Konsequenterweise hat er sich bei den Kompositionen von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ altbewährter Hilfsmittel bedient: „Am Klavier mit Notenpapier, Bleistift und Radiergummi.“
Website Karl Bartos