Bei der Psychotherapie gibt es in Deutschland einen Platzmangel – bei einer erhöhten Nachfrage. Viele Patienten machen deshalb Kompromisse bei der Wahl des Therapeuten.
Der Bedarf an Psychotherapie steigt in Deutschland spätestens seit Beginn der Coronavirus-Pandemie stetig an. Während immer mehr Menschen einen Therapieplatz suchen, stagniert die Zahl der Kassensitze von Psychotherapeut:innen allerdings aktuell.
Die Folge: Zwischen Bedarf und Angebot klafft eine riesige Lücke, die dazu führt, dass Betroffene teilweise monatelang auf ihren Therapiebeginn warten. Und dann ist nicht einmal sicher, dass der Therapeut direkt zu den individuellen Bedürfnissen des bzw. der Patient:in passt.
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Wer von Depressionen, Angststörungen oder anderen psychischen Erkrankungen betroffen ist, der braucht eine wertschätzende, verständnisvolle und konstruktive Ebene mit dem Therapierenden. Außerdem sollte auch die Chemie zwischen Patient:in und Psychotherapeut:in stimmen.
Der schmale Grat zwischen Fürsorge und Machtmissbrauch
Durch den immensen Therapieplatzmangel gehen Betroffene allerdings nicht selten Kompromisse ein, die sich negativ auf ihre Heilung auswirken können. Der Gedanke dahinter: Besser eine schlechte helfende Hand, als gar keine. Dabei ist die zwischenmenschliche Beziehung bei der Psychotherapie von elementarer Bedeutung für den Therapieerfolg.
Und trotzdem kommt es noch viel zu oft vor, dass Psychotherapeut:innen ihren Klient:innen mehr schaden als helfen. Betroffene können dies oft nicht einordnen, weil ihnen schlichtweg das Wissen darüber fehlt, was ein:e Psychotherapeut:in eigentlich darf – und wann aus der Fürsorgepflicht ein klarer Machtmissbrauch wird.
Dabei gibt es klare Richtlinien, an die sich jede:r Psychotherapeut:in in Deutschland halten muss. So ist es zum Beispiel verpflichtend, den zu Behandelnden vor Beginn der eigentlichen Therapie transparent über das Vorgehen der jeweiligen Therapieform und die zu erwartenden Kosten und Nebenwirkungen aufzuklären.
Die Pflichten eines Psychotherapeuten
Des weiteren gibt es ein striktes Abstinenzgebot für Psychotherapeut:innen, das in keinem Fall gebrochen werden darf. Das heißt, es darf keinerlei persönlicher Kontakt zwischen Patienten und Behandelnden entstehen. Sollte dies jedoch der Fall sein, ist dies im Rechtssystem immer die Schuld des/der Therapeut:in – denn Betroffene von psychischen Erkrankungen sind in diesem Zusammenhang immer Schutzbefohlene.
Zu den Pflichten eines Psychotherapeuten gehört es außerdem, dem Patienten die Einsicht in die Unterlagen zu gewähren, sich an die Schweigepflicht zu halten – außer es besteht die Gefahr einer Selbst- oder Fremdverletzung – und Störungen während der Sitzungen zu vermeiden.
All diese Dinge stellen bei Nicht-Einhaltung harte Verstöße gegen die Berufsordnungen von psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten dar und können Grundlage für eine öffentliche Beschwerde gegen den entsprechenden Behandelnden sein. In diesem Fall können sich Betroffene an die zuständige Psychotherapeutenkammer wenden.
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Grenzfälle in der Psychotherapie
Es gibt aber auch Verhaltensweisen von Psychotherapeut:innen, die nicht zwangsläufig in den Rechtsrahmen fallen, aber sich trotzdem negativ auf Menschen mit psychischen Erkrankungen auswirken können. Das passiert zum Beispiel dann, wenn die Therapierenden ihre eigenen Wertvorstellungen und Meinungen zum Mittelpunkt der Therapie machen. Vor allem, wenn diese wesentlich von der Lebenswirklichkeit des Betroffenen abweichen.
Statt sich willkommen und verstanden zu fühlen, kann das beim Patienten schnell Auslöser dafür sein, dass er seine eigenen Gedanken und Gefühle erst recht infrage stellt. Und eigentlich sollte Therapie den Fokus auf die Bedürfnisse des Betroffenen legen. Einzige Ausnahme: Der Therapeut bzw. die Therapeutin sagt direkt im ersten Gespräch offen, dass sie nicht glaubt, dem/der Patient:in helfen zu können.
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Aber auch, wenn der Therapeut dem Patienten immer wieder unrealistische Hoffnungen macht, sich seinem Schützling gegenüber respektlos verhält oder ihn gar religiös oder politisch beeinflusst, sollten Betroffene hellhörig werden und sich im Zweifel eine andere Anlaufstelle für ihre Beschwerden suchen.
Beschwerde gegen Psychotherapeuten einreichen
Auch in all diesen subjektiven Fällen hat jede:r Patient:in das Recht, gegen den behandelnden Psychotherapeuten Beschwerde einzureichen. Das ist unter anderem an folgenden Stellen möglich:
Ethikverein e.V.Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. (APS)Verbund unabhängige Patientenberatung e.V. (VuP)Psychotherapie-Informationsdienst (PID)
Generell gilt: Sobald man sich als Patient:in nicht wohlfühlt und es nicht gelingt, eine vertrauensvolle Basis zu seinem Therapeuten oder seiner Therapeutin aufzubauen, sollte man über einen Wechsel nachdenken. Und auch, wenn die Therapieplatzsuche dann im Zweifel wieder von vorne losgeht, lohnt sich dieser Schritt oft.
Denn selbst, wenn das nächste Gespräch bei einem neuen Psychotherapeuten dann erst in einigen Wochen ist, kann es vielleicht mehr bewirken, als jedes weitere mit einem Therapierenden, dem man sich nicht anvertrauen kann oder möchte.
Quelle: Psychotherapeutenkammer Hamburg