Rock aus Down Under: Nehmt dies, AC/DC: Hier kommen Amyl And The Sniffers!

Ihre ersten Shows in Deutschland waren noch Geheimtipps. Mit ihrem neuen Album „Cartoon Darkness“ ist die australische Band um Sängerin Amy Taylor auf dem Weg nach oben.

Als AC/DC – um diesen unvermeidlichen Querverweis gleich mal vom Tisch zu haben – Mitte der 70er ihren Durchbruch feierten, sangen sie lauthals, Verzeihung, von ihren Eiern. Wir haben die größten, wir sind die Coolsten, so erklang es im Song WBig Balls“. Fast 50 Jahre später nun schickt sich eine australische Band an, das Gleichstrom/Wechselstrom-Erbe im Handstreich zu nehmen. 

Und die Jungs mit ihren ach so großen Testikeln? Die lümmeln auf der Couch, während die Zukunft des Rock’n‘’oll da draußen längst von ihnen, von Amyl und ihren Schnüfflern gekapert wurde. „Me and the girls are out having fun, you and the boys are playing your Xbox“, heißt es da unmissverständlich im Song „Me and the Girls“. Pech gehabt, Jungs, die Party findet ohne euch statt.

Amy Taylor will Lehrerin werden. Doch es kommt anders

Am 4. Januar 1996 geboren, wächst Amy Taylor in Mullumbimby im Bundesstaat New South Wales auf. Es gibt Hippies und Bauern und jede Menge „Bogans“, wie sie down under genannt werden, Typen, die viel fluchen, gern mit den Autos herumcruisen und viel Bier trinken. Taylor wird Teil der hiesigen Punkszene, beendet die Schule. 

Amyl And The Sniffers Live

Ihre Zukunftspläne sind noch etwas diffus. Sie spielt mit dem Gedanken, nach Japan zu gehen und sich dort als Englischlehrerin zu verdingen, doch dann kommt alles ganz anders. Sie studiert, verlegt sich aufs Musikbusiness – 2016 schließlich die Geburtsstunde ihrer Band. Es passiert wie von selbst. Mit den drei Jungs, Gitarrist Declan Martens, Bassist Fergus Romer und Drummer Bryce Wilson, wohnt sie unter einem Dach, die WG wird zur Band – und die Band startet durch.

Bei Amyl And The Sniffeers kommt der Kick schnell

Amyl And The Sniffers nennen sie sich, Amylnitrit, eine Droge nach Poppers-Art, ein schneller, kurzer Kick, der da geschnüffelt wird. Die Musik der Band funktioniert genau so. Der Kick setzt schnell ein, man möchte gleich noch einen hinterher schnüffeln, der Unterschied zur Droge: Ihre Musik mag süchtig machen, gesundheitsgefährdend ist sie jedoch nicht, außer vielleicht man gerät in den Moshpit vor der Bühne, den Amyl mit ihrem wilden Bühnenhabit im Handumdrehen zum Glühen bringt.

Man spielt also erste Shows, die Kritiken sind überragend, schnell wird klar: Hier wächst etwas heran, das eine große Zukunft haben dürfte. Den Rotz von AC/DC, die Bauernschläue der Cosmic Psychos, denselben Friseur wie ihre Landsleute von den Chats, das Ganze in Songs gegossen, die schlicht umwerfend sind, vorgetragen von einer tighten Band und einer Frontfrau, die das Wort Bühnenenergie ganz neu buchstabiert.

Die Club-Shows sind ein Naturereignis

Als Amyl And The Sniffers erste Clubgigs in Deutschland spielen, enden die Livekritiken (ebenso wie die durchweg positiven Albumreviews) oftmals mit einem guten Tipp: Schnell nochmal im kleinen Club sehen, die Band. Beim nächsten Mal werden es die größeren Venues. Nichts gegen die großen Läden, aber der Augen- und der Körperkontakt, die schweißtreibenden Shows der Band auf engstem Raum, sind ein Naturereignis.

Video „Big Dreams“

Mit „Cartoon Darkness“ liegt nun das dritte Album vor, und das macht nochmal einen gehörigen Schritt nach vorn. Die Power ist weiterhin vorhanden, gleichzeitig ist da eine neue Variabilität, die der Band sehr gut zu Gesicht steht. Man höre sich mal die kraftvolle Ballade „Big Dreams“ an, die von fern an Hole erinnert, eine hochintensive Angelegenheit, das Ganze, Katharsis inklusive. Mit „Bailing on Me“ gibt es direkt noch so einen fast romantischen Ohrwurm, mit dem „Motorbike Song“ dagegen geht es energietechnisch in den roten Bereich: „I wanna feel like a moty be going down the highway, going overspeed.“

Tiefgängiger als AC/DC

Im Gegensatz zu den bereits erwähnten Aussie-Urvätern AC/DC ist bei Amyl and The Sniffers  ein ungleich größerer Anteil an Tiefgang eingepreist. „Wenn jemand einen beschissenen Tag bei der Arbeit hatte, dann hoffe ich, dass das Album die kleine innere Flamme wieder entzündet, an der man sich aufrichten kann“, erklärt Amy Taylor. „Die Welt ist ein so grausamer und gnadenloser Ort. Ich will aber nicht auch noch draufschlagen und den Müll rauskehren. Ich will, dass es bedacht ist und Leuten wirklich etwas bedeuten kann, selbst wenn es nur Spaß ist.“

TV-Kritik Punk Girls 15.30

Spaß macht es durchweg, das ist nicht zu überhören. In „Tiny Bikini“ macht Taylor zudem klar, das dies andere Zeiten sind als jene, in denen AC/DC sich selbstzufrieden an die Testikel packten. Hier geht es um Selbstermächtigung, feministisch und sexy zugleich. „Ich bin normalerweise die einzige Frau im Raum und ich liebe es, diese Sachen zu tragen, Bikinis, Make-up. Ich liebe es, mich als leicht-bekleidete Lady zu präsentieren. Der Song ist so zu verstehen: Ich möchte mich nicht maskulin kleiden, nur weil ich von Männern umgeben bin. Und ich will auch nicht, dass es so interpretiert wird, als mache ich es für diese Männer.“

Eine einzigartige, eine explosive Mischung, die Amyl And The Sniffers da angerührt haben, am intensivsten immer noch im Konzert zu erleben. Und da muss man den Schlaumeier-Tipp direkt nochmal geben: Jetzt die Band nochmal in einem Club wie der Hamburger „Großen Freiheit“ genießen – auf der nächsten Tour sind es die ganz großen Hallen. Wetten, dass..?

Amyl And The Sniffers – „Cartoon Darkness“ 

Live:
22. November: Hamburg, Große Freiheit
23. November: Berlin, Columbiahalle
25. November: München, Tonhalle