Durch ein neues Gesetz soll es weniger Herztote geben. Doch die Krankenkassen wehren sich: Das Herz-Gesetz führe zu Milliarden-Mehrkosten und helfe den Patienten nicht.
In Deutschland sterben die allermeisten Menschen an Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Mit der richtigen Früherkennung könnten viele Leben gerettet werden. Ist Karl Lauterbachs Gesundes-Herz-Gesetz der richtige Weg?
Wir als Krankenkassen unterstützen das Ziel, die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle zu reduzieren. Aber der Gesetzentwurf geht in die völlig falsche Richtung und gefährdet die laufenden Präventions- und Gesundheitskurse der Krankenkassen. Statt Prävention zu stärken, setzt das Gesetz prioritär auf Arzneimitteltherapien. Einen Ansatz nach dem Motto „Pille statt Prävention“ lehnen wir strikt ab. Die Patientenversorgung wird so langfristig nicht wirklich verbessert.
Aber was spricht denn dagegen, Menschen regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen anzubieten und auch schon bei Kindern und Jugendlichen darauf zu achten, dass die Cholesterinwerte nicht zu hoch sind?
Die Pläne packen das Problem nicht an der Wurzel. Bewegung, gesunde Ernährung und Entspannung bleiben außen vor. Vorsorgeuntersuchungen und Cholesterinchecks sind wichtig, reichen aber nicht. Wir brauchen mehr Prävention, nicht weniger. Kommunen können hier Angebote machen, die helfen, sich mehr zu bewegen, besser zu ernähren. In Kindergärten und Schulen ist Aufklärung wichtig, aber auch ein besseres Schulessen und mehr Sportunterricht. Und natürlich spielt auch die Eindämmung des Tabakkonsums und die Reduktion von Übergewicht eine große Rolle. Hier sollte eine Herz-Kreislauf-Strategie ansetzen.
Gibt es Länder, die es besser machen?
Ja, einige. Nur ein Beispiel: Finnland hat mit dem North Karelia Projekt bereits seit den 1970er-Jahren erfolgreich Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert. Die Region hatte weltweit eine der höchsten Sterberaten aufgrund von Herzerkrankungen. Zehn gesunde Lebensjahre mehr haben die Bewohner dieser Region nun gewonnen, so das Ergebnis einer Studie, die von der Weltgesundheitsorganisation begleitet wurde. Das Projekt zeigt vor allem, dass es nicht reicht, die Menschen über gesünderes Verhalten aufzuklären. Das Lebensumfeld muss gesünder werden. Der örtliche Metzger hat weniger Fett und Salz eingesetzt, die Schulen nährstoffreicher gekocht, Tabakwerbung wurde verboten. Isabella Erb-Herrmann ist Vorstandsmitglied der AOK Hessen. Sie setzt sich für die Transformation des Gesundheitswesens ein. Nach Ihrem Studium an der ETH Zürich startete sie ihre Laufbahn in der internationalen Strategieberatung mit Schwerpunkt Healthcare – zuletzt bei BCG
© Nina Siber
Auch im Gesundes-Herz Gesetz geht es um Prävention, Tabakentwöhnung, Aufklärungsgespräche, mehr Leistungen der Apotheke. Da müssten Sie doch eigentlich jubeln.
Diese Punkte unterstützten wir auch. Aber das ändert nichts am Kern des Gesetzes, der Präventionsmittel in die Arzneimitteltherapie lenkt. Das lehnen wir strikt ab.
Ein gesunder Lebenswandel ist sicher sinnvoll, aber in etlichen Fällen rühren erhöhte Cholesterinwerte nicht von einem ungesunden Lebenswandel. Bei der genetisch bedingten Form der Hypercholesterinämie spielen Ernährung und Bewegung eine absolut untergeordnete Rolle.
Diese Fälle gibt es. Aber eine unerkannte familiäre Hypercholesterinämie ist in den wenigsten Fällen die Ursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei Erwachsenen mit Fettstoffwechselstörungen liegt meist ein jahrzehntelanger ungesunder Lebensstil hinter ihnen. Die medikamentöse Therapie dient dann oft nur dazu, eine Verschlimmerung bereits bestehender Erkrankungen wie Bluthochdruck, Arteriosklerose und Diabetes aufzuhalten. Daher ist es wichtiger, frühzeitig einen gesunden Lebensstil zu fördern, anstatt flächendeckend Medikamente zu verschreiben, die immer auch Nebenwirkungen haben können. So könnten wir alle länger leben.
Viele Studien belegen: Statine sind sicher, wirksam und können viele Leben retten, wenn Patienten sie nehmen. Warum die Vorbehalte aus Sicht der Krankenkassen?
Kritik kommt nicht nur von den Krankenkassen. Auch andere Institutionen bemängeln, dass ohne eindeutige Evidenz eine bestimmte Arzneimittelversorgung vorgeschrieben werden soll, die etablierte Präventionswege gefährdet. Experten wie Josef Hecken vom Gemeinsamen Bundesausschuss und der Hausärztinnen- und Hausärzteverband teilen diese Bedenken. Bei der Verschreibung von Statinen an Kinder fehlt es an einer klaren Studienlage über mögliche Langzeitfolgen.
Aber Sie würden doch auch erhebliche Kosten einsparen können. In der Gesetzesbegründung steht, dass Kosten für mehr Prävention heute deutlich geringer sind als die Kosten für all die vielen Herzkranken später.
Die Einsparpotenziale sind völlig aus der Luft gegriffen, Herr Lauterbach legt dafür auch keinerlei Belege vor. Im Gegenteil: Allein die Erweiterung der „Disease-Management-Programme“ (DMP) für Risikopatienten könnte laut AOK-Berechnungen nach fünf Jahren zu Zusatzkosten von 3,8 Mrd. Euro pro Jahr führen. Und wir sehen nicht nur Mehrbelastungen für die gesetzliche Krankenversicherung, die zu höheren Beiträgen führen können, sondern auch eine starke Mehrbelastung der Arztpraxen. Bei konsequenter Umsetzung der Pläne müssten die Hausärzte 34 Millionen zusätzlicher Patienten in Disease-Management-Programmen versorgen. Für jeden der derzeit rund 44.000 in die DMP involvierten Hausärzte wären das etwa 32 zusätzliche Arbeitstage im Jahr.