Für Trainer Nuri Sahin ist es eine Reise in die Vergangenheit, für viele BVB-Profis die Chance zur Revanche. 144 Tage nach dem 0:2 im Finale trifft der BVB in der Königsklasse erneut auf Real Madrid.
Die grauen Wolken und der Nieselregen passten zur gedämpften Stimmung. Während sich die Real-Profis in der spanischen Hauptstadt bei blauem Himmel und sommerlichen Temperaturen auf die Neuauflage des letzten Champions-League-Finales am Dienstag (21.00 Uhr/Amazon Prime) einstimmten, absolvierte Borussia Dortmund das Abschlusstraining noch bei ungemütlichem Wetter in der Heimat.
Anders als üblich fand die abschließende Einheit nicht im gegnerischen Stadion, sondern auf dem eigenen Trainingsgelände statt, bevor es Richtung Flughafen ging. Trainer Nuri Sahin dementierte Spekulationen, wonach der BVB damit Spione aussperren wollte: „Wir werden in nächster Zeit viele Auswärtsspiele haben und viel reisen. Deshalb wollten wir möglichst viel Zeit zu Hause verbringen.“
Von unbeschwerter Vorfreude auf die Neuauflage des letzten Champions-League-Finales gegen Real Madrid kann bei Borussia Dortmund jedoch keine Rede sein. Obwohl der BVB als Tabellenführer der Königsklasse zum Titelverteidiger reist, überwiegen die Sorgen. Die bisher ernüchternde Auswärtsbilanz und die angespannte Personalsituation drücken auf die Stimmung.
Trotz ungünstiger Vorzeichen hofft Sebastian Kehl, dass die Mannschaft am Dienstag ein anderes Gesicht zeigt als zuletzt bei den tristen Auftritten in der heimischen Liga. „Ich sehe uns definitiv nicht chancenlos. Das haben wir im Finale vor ein paar Wochen gezeigt“, sagte der Sportdirektor mit Verweis auf das lange offene Endspiel (0:2) Anfang Juni in Wembley.
Die besondere Atmosphäre im Fußball-Tempel Bernabeu soll die Borussia zu neuem Leben erwecken. „Real ist der größte Club der Welt. Dort haben wir schon große Schlachten geschlagen“, sagte Kehl. „Ich glaube, dass die Mannschaft total engagiert an die Aufgabe herangehen wird.“
Zwei ungefährdete Siege in Brügge (3:0) und gegen Celtic Glasgow (7:1) bescherten dem Bundesliga-Siebten den ersten Tabellenplatz. Doch erst im Duell mit den Weltstars Kylian Mbappé und Vinicius Junior wird sich zeigen, wie aussagekräftig diese Momentaufnahme wirklich ist. „Dieses Spiel muss man einfach genießen“, empfahl Nationalspieler Waldemar Anton, „wenn wir an unsere Grenzen gehen, können wir ein gutes Spiel machen.“
Couragiert wie Stuttgart
Präsentiert sich die Borussia gegen den Champions-League-Rekordsieger jedoch ähnlich blutleer wie in den bisherigen erfolglosen Bundesliga-Auswärtsspielen in Bremen (0:0), Stuttgart (1:5) und bei Union Berlin (1:2), droht ein böses Erwachen.
Wie das Starensemble von Erfolgscoach Carlo Ancelotti aus der spanischen Hauptstadt zu knacken ist, zeigte Mitte September der VfB Stuttgart. Lange Zeit waren die Schwaben einem Punktgewinn nahe, mussten sich am Ende aber unverdient mit 1:3 geschlagen geben. Kehl hofft auf einen ähnlich couragierten Auftritt der Borussia – aber mit Happy End: „Wir werden unsere Chancen bekommen. Das hat Stuttgart gezeigt. Die Spanier bieten Möglichkeiten und Räume.“
Sahins Rückkehr an die alte Wirkungsstätte
Als ehemaliger Real-Profi (2011 bis 2012) weiß Fußball-Lehrer Sahin nur zu gut, welche Wucht die „Königlichen“ daheim entwickeln können. Um bestens gewappnet zu sein, hat er sich nach eigener Aussage in der vergangenen Länderspielpause bereits „ein, zwei Spiele von Real“ auf Video angeschaut. Mehr Sorgen als die Kombinationskünste der Spanier bereitet dem 36-Jährigen allerdings die Personalsituation in seiner eigenen Mannschaft. „Wir haben im Moment nur wenig Spieler“, klagte Sahin.
Die Angreifer Karim Adeyemi, Julien Duranville und Giovanni Reyna fehlen ebenso wie Rechtsverteidiger Yan Couto. Zudem ist der Einsatz von Taktgeber Pascal Groß und Abwehrroutinier Niklas Süle ungewiss. Groß musste beim mühsamen 2:1 gegen St. Pauli auf Anraten der Ärzte in der Halbzeit ausgewechselt werden. Süle ist nach einem hartnäckigen Magen-Darm-Virus noch immer nicht voll belastbar. Beide sind nach Aussage von Sahin aber auf gutem Weg zu alter Fitness. Und auch der wegen einer Magenverstimmung beim Abschlusstraining fehlende Stammtorhüter Gregor Kobel ist auf dem Weg der Besserung.
Ungeachtet der Personalsorgen freut sich Sahin auf die Rückkehr nach Madrid: „Das bedeutet mir viel. Es war immer mein Traum, für Real zu spielen, Mein Sohn ist hier geboren. Es ist ein Vergnügen, hierher zurückzukommen.“
Real unter Druck
Es könnte für die Borussia von Vorteil sein, dass der Tabellenzweite der spanischen Liga mehr unter Druck steht. Nach dem überraschenden 0:1 am zweiten Spieltag in Lille ist ein Heimsieg für den Titel-Mitfavoriten Pflicht.