50 Millionen Bücher hat Wolfgang Hohlbein weltweit verkauft. Ausgerechnet jenes, das er nie schrieben wollte, wurde nun fürs große Kino verfilmt.
Mir hat der Nibelungen-Mythos nie etwas bedeutet. Meine damalige Verlegerin rief mich in den Achtzigern an, ihr war aufgefallen, dass es keinen auserzählten Nibelungen-Roman gäbe, und es an der Zeit wäre, die Geschichte neu zu erzählen. Ich wollte es keinesfalls machen, man hatte mich in der Schule damit regelrecht gefoltert. Wie es der Zufall wollte, lief gerade eine grauenhafte Umsetzung des Stoffs als TV-Zweiteiler. Ich war entsetzt. Während ich das guckte, kam mir aber der Gedanke, die Geschichte aus der Perspektive von Hagen zu erzählen, der stets als Bösewicht gezeichnet worden war – dies aber nicht war.
Siegfried ist für mich kein richtiger Held
Das ließ mich nicht los, je mehr ich mich reingearbeitet hatte, desto klarer wurde mir, dass wir ein falsches Bild von den Figuren haben. Siegfried ist für mich kein richtiger Held, wer unverwundbar ist, hat keine Herausforderung zu meistern. Außerdem ist er ein Idiot, Siegfried kommt nach Worms mit der erklärten Absicht, sich das Königreich unter den Nagel zu reißen und die Schwester des Königs gleich dazu. Was soll daran heldenmütig sein? Hagen hingegen steht bloß zu seinem Wort, diese Heimat und dieser Familie, der er die Treue geschworen hat, bis aufs Letzte zu verteidigen. Das nötigte mir deutlich mehr Respekt ab.
Ich habe das Nibelungenlied nicht umgeschrieben, ich habe es vielmehr versucht, zu verstehen. Ich erzähle die Geschichte so, wie sie hätte passieren können und vielleicht gemeint war. Der Drache kommt bei mir nicht vor, wenn dann als böser Traum. Meine Walküren sind taffe Frauen, die mit Schwert und Bogen umgehen können, aber auch nicht unbesiegbare Fabelwesen. Ich habe Respekt vor der ursprünglichen Geschichte, ob 50.000 oder 5000 Sachsen die Burgunder angreifen, fand ich hingegen unwesentlich. Ich wollte die Geschichte so erzählen, dass sie realistischer ist. All der Magie bedarf es nicht, es reicht ein wenig esoterischer Nebel im Hintergrund.
Wolfgang Hohlbein: „Das Nibelungen-Epos ist eine sehr menschliche Geschichte“
In allen meinen Geschichten versuche ich selbst in die Figuren zu schlüpfen. Ich will, dass sie menschlich sind, keine Übermenschen. Wenn es einen Hohlbein-Stil gibt, dann ist es jener: Keine der Personen soll sich zu weit von dem entfernen, was Menschen möglich ist. Aber auch umgekehrt. Siegfried ist ein Kotzbrocken, ständig betrunken und unglaublich großspurig. Aber am Schluss menschelt er, man hat fast Mitleid. So funktioniert das große Drama, nicht mit 10.000 Orks, die aufeinander eindreschen.
Eine Erzählung sehr starker und individualistischer Frauen
Das Nibelungen-Epos ist eine sehr menschliche Geschichte und auch eine moderne. Obwohl Weltreiche aufeinanderprallen und zum Teil untergehen. Allein weil es eine Besonderheit hat, die danach viele Jahrhunderte so nicht wiederkehrt: Eine Erzählung sehr starker und individualistischer Frauen. Kriemhild, Brünhild, Ute – sie geben den Ton an, die Männer sind viel eindimensionaler. Das war damals radikal und ist es auch heute noch. Das war sicher ein großer Tabubruch damals, dass diese Frauen so konsequent ihr Ding durchziehen.
Die Größe des Stoffs zeigt sich daran, dass sich alle möglichen Künstler daran bedient haben. Ich habe Wagners „Ring des Nibelungen“ nie gesehen. Mich hat auch nie interessiert, inwiefern sich Tolkien und Martin davon inspirieren ließen. Ich weiß nicht einmal, ob das wahr ist. Ich muss schließlich laut lachend auch darüber lesen, was in mein Werk hineingedeutet wird. Die große Stärke des Nibelungenlieds kommt vermutlich auch aus seiner Form: Die Leute im Jahr 500 konnten nicht lesen, der Stoff musste also dazu taugen, erzählt zu werden, am Lagerfeuer, den Alten, den Kindern.
Szene aus dem Constantin-Film „Hagen – im Tal der Nibelungen“, zurzeit im Kino.
© Constantin Film Verleih
Es gibt eine große Grunderzählung im Nibelungenlied, die uns auch heute anrührt und betrifft: Das ist der Niedergang einer einst großen Zivilisation. Damals erinnerten sich die Menschen vielleicht noch an die alten Römer und ihre Kultur, die trotz allem weichen musste. Sie aber lebten im Mittelalter, als keine wirklich große Stabilität mehr existierte. Das ist eine der großen Konstanten der menschlichen Kulturen: sie kommen, und sie gehen. Und das, was im Übergang geschieht, ist großes Drama.