Einmal im Jahr bekommt das Land von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dein Zeugnis in Sachen Klimaschutz. Auch wenn es einige Fortschritte gibt, fällt das Fazit nicht allzu gut aus.
Die Landesregierung muss ihre Klimaschutzmaßnahmen aus Sicht ihres eigenen Expertenrats dringend konsequent umsetzen. „Die verbleibende Zeit der laufenden Legislaturperiode muss eine Zeit der Umsetzung sein, nicht mehr der Ziele und Strategien“, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Klima-Sachverständigenrats in ihrer in Stuttgart vorgestellten Stellungnahme zum Fortschritt des Klimaschutzes im Südwesten.
Die Expertinnen und Experten befürchten zudem, dass der Klimaschutz angesichts vieler anderer Krisen aus dem Blick geraten könne. Es sei nachvollziehbar, dass angesichts täglicher Schreckensmeldungen zwangsläufig eine Konkurrenz der aktuell bedrohlichsten Szenarien entsteht, sagte die Vorsitzende des Gremiums, Maike Schmidt, in Stuttgart. „Wir können aber nicht akzeptieren, dass klimawandelbedingte Katastrophen zunehmend als neue Normalität oder schlicht als unabwendbar hingenommen werden.“
Wie kommen die einzelnen Bereiche den Experten zufolge beim Klimaschutz voran?
Energiewirtschaft
Deutlich weniger Emissionen als noch 2022 erzeugten dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr Kraftwerke, Raffinerien und Co. Grund dafür war aus Sicht der Experten vor allem der deutliche Rückgang der Kohleverstromung. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien nimmt das Gremium dagegen eine „Welt der zwei Geschwindigkeiten“ wahr: Während es beim Zubau der Photovoltaik im vergangenen Jahr Rekordwerte gegeben habe, verfehle man beim Ausbau der Windenergie das Ziel sehr deutlich. Dafür brauche es eine Verzehnfachung des Zubaus aus dem Jahr 2023, sagte Schmidt.
Gebäude
Im Gebäudebereich konstatieren die Experten für die vergangenen Jahre einen Rückgang der Treibhausgas-Emissionen. Als Grund nennt das Gremium das milde Wetter, hohe Energiepreise sowie einen Rückgang bei Gas- und Ölheizungen. Dass der Sektor bis 2030 seine Klimaziele erreiche, sei dennoch nicht gesichert, mahnen die Experten. Dafür brauche es weitere gezielte Fördermaßnahmen, etwa für energieeffiziente Wärmenetze. Zudem führt das Gremium die Förderung der Tiefengeothermie und einen Ausbau der Förderprogramme zur Modernisierung von Wohnhäusern als mögliche Maßnahmen an.
Verkehr
Autos, Lkw und Co. bleiben weiterhin das große Sorgenkind beim Klimaschutz. Im Verkehrsbereich stiegen die CO2-Emissionen den Wissenschaftlern zufolge im vergangenen Jahr erneut an: um 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Bereich ist damit nicht nur der größte CO2-Sünder, sondern auch derjenige, der gegenüber 1990 noch überhaupt keine Einsparungen vorweisen kann. Man erkenne an, dass tiefgreifende Veränderungen schrittweise erfolgen würden, schreiben die Sachverständigen. „Trotzdem ist das Tempo des Wandels nicht ausreichend.“ Beim Ausbau der E-Mobilität, des ÖPNV und der Radinfrastruktur dürfe auf keinen Fall nachgelassen werden.
Industrie
Um fast 15 Prozent ging der CO2-Ausstoß von Fabriken 2023 im Vergleich zum Vorjahr zurück – auf das niedrigste Niveau seit 1990. Auf den ersten Blick sei dieser Rückgang ausgesprochen positiv, schreiben die Experten. Sie rechnen aber nicht damit, dass er so anhalten wird – ging er doch vor allem auf Produktionsrückgänge wegen der schwachen Konjunktur zurück. Die Klimaziele bis 2030 hält das Gremium dennoch für erreichbar, wenn die Landesmaßnahmen zur Unterstützung der Transformation ausgeweitet würden. Um bis 2040 klimaneutral werden zu können, brauche die Industrie aber auch eine Infrastruktur für den Umgang mit unvermeidbaren CO2-Emissionen, mahnen die Experten.
Landwirtschaft
Auch hier ein ähnliches Bild: Die Emissionen der Landwirtschaft gingen im vergangenen Jahr erneut zurück – nach Einschätzung der Experten aber nicht wegen Klimaschutzmaßnahmen, sondern eher wegen sinkender Tierbestände. Ohne zusätzliche Anstrengungen könnten die Klimaziele nicht erreicht werden, schreiben die Experten. Auch wenn das Land in der Landwirtschaft nur wenig Einfluss habe, brauche es doch mehr flankierende Maßnahmen, wie Beratung und finanzielle Förderung von Landwirten oder die Finanzierung von Forschung.
Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sagte, man nehme die Stellungnahme der Experten sehr ernst und werde die Ergebnisse beraten. „Alle Ressorts sind aufgerufen, Vorschläge zu machen, wie die Emissionen in ihrem Bereich weiter reduziert werden können“, so Walker. Bis Jahresende soll sich laut Umweltministerium das Landeskabinett mit den Empfehlungen der Experten befassen, bis Ende April 2025 könnte dann auch ein von den Experten gefordertes Sofortpaket beschlossen werden, um der drohenden Verfehlung der Klimaziele zu begegnen.