Aufrufe zu einem „Neustart“ der Linken haben den ersten Tag ihres Bundesparteitags in Halle an der Saale geprägt. „Ich bin überzeugt, dass es eine Partei links von SPD und Grünen braucht, die die Eigentumsverhältnisse grundlegend infrage stellt und den Kapitalismus überwinden will“, sagte die scheidende Parteichefin Janine Wissler in ihrer Abschiedsrede. Neben der Sozialpolitik nahm vor allem die Friedenspolitik in den Debatten breiten Raum ein.
Scharf grenzte sich Wissler in ihrer Rede vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ab. „Eine linke Partei darf sich niemals einem rechten Zeitgeist anpassen und darf niemals nach unten treten – auch wenn der Gegenwind noch so stark ist“, sagte Wissler. „Wir machen nicht Geflüchtete und Bürgergeldbezieher zu Sündenböcken“, übte sie scharfe Kritik an BSW-Forderungen nach mehr Abschiebungen und schärferen Sanktionen beim Bürgergeld. „Es ist richtig, dass wir nicht mehr in einer Partei sind“, äußerte sie sich überzeugt.
„Die Linke befindet sich in der Krise, das haben die jüngsten Wahlen gezeigt“, sagte Wissler. Gemeinsames Ziel müsse es sein, „die Linke zu erneuern und wieder stark zu machen“. Die Linke müsse „eine Partei mit einer klaren Haltung in Fragen von Asyl und Menschenrechten“ sein, forderte die Parteichefin. Mit Blick auf die Migrationspolitik sprach sie von einem „Wettbewerb der Schäbigkeit“ der anderen Parteien.
Wissler rief dazu auf, sich zudem der „dramatischen Rechtsverschiebung“ in Deutschland entgegenstellen und sich dem „Aufrüstungskurs“ verweigern. Die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland lehnte sie ab. „Statt Milliarden in die Rüstung zu pumpen, brauchen wir Milliarden für Soziales, Klimaschutz und Infrastruktur“, forderte sie weiter.
Für Wissler, die im März 2021 den Parteivorsitz übernahm, war es ihre letzte Rede als Vorsitzende. Sie und Ko-Parteichef Martin Schirdewan hatten nach einer Reihe von Wahlniederlagen ihren Rückzug von der Parteispitze angekündigt. Die Abschiedsrede Wisslers wurde von den Delegierten mit stehendem Applaus gefeiert.
Diesen bekam auch der scheidende thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, welcher mit einer kämpferischen Rede die Partei auf den Bundestagswahlkampf einstimmte. „Wir brauchen dringend eine linke Stimme in den Parlamenten“, rief Ramelow. „Wir stehen nicht für Populismus, wir stehen für konkrete Politik, die den Menschen hilft.“
Nachdrücklich wandte sich der Ministerpräsident gegen den Abschottungskurs in der Migrationspolitik in Deutschland und gegen eine „Festung Europa“. „Kein Mensch darf uns egal sein, jeder Mensch ist uns gleich viel wert“, stellte er klar.
Am Samstag will die Partei eine neue Spitze wählen. Um den Vorsitz bewerben sich der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jan van Aken und die Publizistin Ines Schwerdtner. Sie gab sich vorab kämpferisch. „Ich glaube, dass in der Partei noch sehr, sehr viel Kraft steckt“, sagte Schwerdtner am Freitag im ZDF.
Seit der Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) im Herbst 2023 und dem damit einhergehenden Verlust des Fraktionsstatus‘ im Bundestag ging es für die Linke in der öffentlichen Wahrnehmung bergab. Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September schnitt sie schlecht ab, während das BSW jeweils zweistellige Ergebnisse einfuhr. In bundesweiten Umfragen liegt die Linke deutlich unter fünf Prozent.
In einem Leitantrag mit dem Titel „Gegen den Strom“, über den am Samstag abgestimmt werden soll, wird denn auch eine „existenzbedrohenden Situation“ der Partei konstatiert. Der angestrebte Neustart soll demnach unter anderem mit einer linken Ostpolitik und dem Fokus auf soziale Themen wie die Mietenpolitik gelingen.
Der Parteitag steht unter dem Motto „Bereit für ein gerechtes Morgen.“ Kontroverse Debatten wurden unter anderem zur Haltung der Linken zum Krieg im Nahen Osten erwartet. Bereits in der Generaldebatte zum Auftakt forderten mehrere Delegierte eine stärkere Solidarisierung mit den Palästinenserinnen und Palästinensern sowie ein klares Profil der Linken als Friedenspartei.
Wissler sagte, die Linke müsse „konsequent an der Seite aller Menschen zu stehen, die Leid und Unrecht erfahren“. Sie wandte sich aber auch deutlich gegen Antisemitismus in Deutschland.