Was lief falsch in der Corona-Zeit? Darüber möchten Sahra Wagenknecht und andere nochmal reden. Dann aber bitte auch über „Querdenker“-Wahnsinn und fehlende Empathie mit den Opfern.
Das Thema lässt Sahra Wagenknecht keine Ruhe. Sie findet es so wichtig, dass es für sie sogar unverzichtbare Bedingung ist für mögliche Koalitionen mit der CDU: die „Corona-Aufarbeitung“. Nun gut, wenn sie meint, dass es so viel „aufzuarbeiten“ gibt bezüglich einer Pandemie, die – dem Herrgott sei es gedankt – längst vorbei ist und die viele einfach nur noch vergessen wollen: bitte schön. Können wir gerne machen.
Wir können gerne nochmal sprechen über Maskenpflicht, „2G-Regel“, Schulschließungen, Kontaktverbote und Impfpflicht – auch wenn ich persönlich die Prioritätensetzung der Frau Wagenknecht durchaus seltsam finde, für die der ganze Mist von vorgestern offenbar genauso wichtig ist wie die Rettung des Weltfriedens, die sie sich ja von „Verhandlungen“ mit dem Kriegstreiber und Kreml-Faschisten Wladimir Putin erhofft.
Milieus, die Corona zu ihrem Lebensthema gemacht haben
Wagenknecht hat, das muss man ihr lassen, ein hoch entwickeltes populistisches Sensorium, speziell für die Seelenlage im Osten der Republik. Und sie steht damit an der Spitze ganzer Milieus, die es übrigens auch im Westen gibt, dort vorzugsweise in Regionen mit großer Heilpraktiker- und Waldorfschulendichte. Es sind Milieus, die das Virus offenbar zu ihrem Lebensthema gemacht haben. Und immer noch zutiefst gekränkt sind von zwei Grunderfahrungen, die man als erwachsener Mensch doch eigentlich ganz gut verarbeiten könnte.
Erstens: Es gib ein Virus und das ist gefährlich, potenziell sogar tödlich, und dieses blöde Virus kann man sich nicht wegwünschen. Auch dann nicht, wenn man sich wie ein bockiges, kleines Kind aufführt, das bei schlechtem Wetter wütend mit dem Fuß auf den Boden stampft und brüllt: „Ich will aber nicht, dass es regnet!“
Zweitens: Ja, dieser Staat darf dagegen Maßnahmen ergreifen. Maßnahmen, die unangenehm sind und Freiheiten beschränken. Das allein ist aber noch nicht skandalös – wie es ja auch nicht skandalös ist, dass der Staat Steuern eintreibt, Anschnallpflichten beim Autofahren verordnet oder Kinder dazu zwingt, zur Schule zu gehen. Weil wir ja hoffentlich so was sind wie eine Gesellschaft und keine Ansammlung isolierter Ego-Atome.
„Aufarbeitung“? Gerne! Aber bitte nicht nach dem schlichten Motto: Hinterher ist man klüger
Aber gut, wenn es denn der Traumabewältigung dienlich ist: Wir können gerne nochmal reden, nochmal „aufarbeiten“. Ich hätte auch schon eine Idee für die Tagesordnung der großen Corona-„Aufarbeitungs“-Konferenz:
Punkt 1: der ganze „Querdenker“-Quatsch, der monatelang verbreitet wurde. Zum Beispiel auf Demos in Berlin, wo mich offensichtlich esoterisch abgedrehte Damen reiferen Alters fröhlich anhusteten, um mir zu beweisen, dass es das Virus ja gar nicht gäbe, während andere mich anpöbelten, weil ich mir die Freiheit nahm, in der S-Bahn eine Maske zu tragen.
Punkt 2 der Tagesordnung wäre: die fehlende Empathie und Solidarität mit den Verwundbaren (alte Menschen, krebskranke Kinder etc.) und den Opfern.
Zum Verfahren hätte ich auch noch eine Anregung. Können wir bitte nicht nach dem intellektuell doch arg unterkomplexen Muster verfahren: Hinterher ist man immer klüger?
Natürlich ist es mit dem Wissen von heute offenbar überflüssig gewesen, Menschen das Sitzen auf einer Parkbank zu verbieten. Weil man heute eben weiß, dass das Virus sich an der frischen Luft in der Regel nicht verbreitet. Aber damals wusste man es eben noch nicht. Politik musste schnell reagieren, „in der Lage lernen“ und – während in den Kliniken immer mehr Menschen an den Beatmungsgeräten um ihr Leben kämpften und sich in Bergamo in Italien die Leichen nur so stapelten – alles versuchen, die Ausbreitung einzudämmen. Auch mit Maßnahmen, von denen man in dem betreffenden Moment noch nicht hundertprozentig wusste, ob sie einen Beitrag zur Eindämmung leisten.
Spätpubertäre Akte des „Widerstands“
Und wenn wir schon „aufarbeiten“: Dann bitte auch die bemerkenswert asoziale Haltung jener Mit-Menschen, die es für unerträglich hielten, ihre Mund-Nasen-Partie für ein paar Minuten oder Stündchen mit einem Stück Stoff zu bedecken, wie es halb Asien ganz unabhängig von Corona seit jeher tut. Einfach, weil es rücksichtsvoll ist, während sich hierzulande so manche mit großem Getöse dieses „Maulkorbs“ entledigten, auf diese Weise ganze Intercity-Züge zum Stehen brachten und hunderte von Menschen zwangen, diesem wahrlich heroischen Akt spätpubertären „Widerstands“ beizuwohnen.
Wenn wir „aufarbeiten“, dann bitte auch die Forderungen nach einem „Freedom Day“, also dem Wegfall aller Beschränkungen, wie sie zum Beispiel der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, im September 2021 erhob – also mitten in der Pandemie. „Nach den Erfahrungen aus Großbritannien sollten wir auch den Mut haben zu machen, was auf der Insel geklappt hat“, so der Ärztefunktionär damals. „Also braucht es jetzt eine klare Ansage der Politik: In sechs Wochen ist auch bei uns ‚Freedom Day‘!“.
„Aggressive Spaltung“: Ramelow und Laschet fordern Corona-Aufarbeitung
Dem Herrn Gassen war offenbar entgangen, dass exakt mit Einführung des „Freedom Day“ in Großbritannien die Zahl der Infektionen dort sprunghaft angestiegen war, ebenso wie die Zahl der mit großem Aufwand künstlich Beatmeten. Gemessen an der Einwohnerzahl starben auf der Insel der großen Corona-Freiheit zu dem Zeitpunkt, als Gassen zur Nachahmung aufrief, mehr als dreimal so viele Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 wie in Deutschland. Schönes Vorbild also, oder? Können wir gerne „aufarbeiten“!
Zu Recht antwortete damals der Medizinprofessor und Internist Michael Hallek vom Uni-Klinikum Köln, Gassen könne gern mal auf der Intensivstation seiner Klinik vorbeikommen. Die sei wieder voll mit Covid-19-Patienten. Dort hätte Gassen dann auch dabei zuschauen können, wie Menschen um ihr Leben kämpfen, sich vor Todesangst einkoten, nach ihrer Mutter schreien, wie dann die Hälfte aller Beatmeten elendig krepiert – und wie Ärzte und Intensivschwestern trotzdem bis zur Erschöpfungsgrenze und darüber hinaus um jedes Leben kämpfen. Die waren die wahren Helden dieser Pandemie und über sie wäre in einer „Aufarbeitung“ als Erstes zu sprechen!
Seltsames Verständnis von Liberalismus
Dazu würde ich dann gerne auch den Herrn Buschmann von der FDP laden, der es zwischenzeitlich zum Justizminister gebracht hat und sich damals auch gar nicht mehr einkriegen konnte vor Enthusiasmus für den todbringenden „Freedom Day“. Und der damit ein sehr seltsames Verständnis von Liberalismus offenbarte, der für ihn offenbar primär die Freiheit bedeutete, auf einer Intensivstation zu ersticken.
Zu sprechen wäre dann auch über den ganzen anderen Unsinn, der so verbreitet wurde. Und jetzt, wo so mancher das Gefühl hat, es wird nicht mehr so genau hingeguckt, wieder verbreitet wird, von jenen, die immer noch gekränkt sind, weil sich das Virus eben nicht wegwünschen ließ:
Dass Masken nicht schützen – sie tun es, richtig getragen, durchaus.
Dass die Corona-Impfung allenfalls den Geimpften, aber nicht andere schützt – diverse, seriöse wissenschaftliche Studien belegen einen signifikanten Fremdschutz der Impfung, sogar noch unter der Omikron-Variante, wenn auch dort geringer ausgeprägt.
Dass es ausreicht, wenn man „die Alten schützt“, indem man sie vom Rest der Bevölkerung absondert – wo denn, bitte schön, in Internierungslagern? Die meisten älteren Menschen aus der Risikogruppe leben nicht etwa in Alten- und Pflegeheimen, sondern schlicht in ihren Wohnungen, also mitten unter uns, und das ist auch sehr gut so!
Es gibt kein Grundrecht darauf, andere zu infizieren
Etwas „aufzuarbeiten“ hätten auch einige Pflegekräfte, die nicht bereit waren, sich impfen zu lassen, obwohl sie tagtäglich mit Menschen zu tun hatten, für die eine Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich gewesen wäre. Und die trotzdem partout weiter Kontakt haben wollten zu den ihnen anvertrauten Menschen, obwohl es doch viel konsequenter und im Übrigen ethisch geboten gewesen wäre, schlicht zu kündigen und sich einen anderen Job zu suchen.
Es gab und gibt kein Grundrecht darauf, andere Menschen anzustecken. Das weiß inzwischen hoffentlich auch wieder der ach so liberale Herr Buschmann.
Insofern, wenn es Ihnen denn so wichtig ist, liebe Frau Wagenknecht: Auf geht’s, wir „arbeiten auf“! Wann gibt es das erste „Aufarbeitungstreffen“? Ich hoffe doch sehr, Sie laden mich dann auch dazu ein?