Der Film „The Apprentice“ versucht sich an einer Mammutaufgabe. Er will erklären, wie aus Donald Trump Donald Trump wurde.
Wie entsteht jemand wie Donald Trump (78)? Ein Mann, der seine Ex-Frau aus steuerlichen Gründen auf einem Golfplatz beerdigen ließ. Der damit prahlte, Frauen ungefragt zwischen die Beine zu greifen. Und der derzeit penetrant und völlig haltlos behauptet, US-Einwanderer würden Hunde und Katzen verspeisen. Diese Frage stellen sich angesichts der steten Eskapaden des erneuten Präsidentschaftskandidaten nicht nur Bewohner der USA zunehmend. Rund zweieinhalb Wochen vor der US-Wahl am 5. November erscheint mit Ali Abbasis (43) „The Apprentice“ (Kinostart: 17. Oktober) ein Film, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Karriere- und Charakter-Werdegang von Donald Trump zu dekodieren. Oder, wie es im Jargon von Comic-Verfilmungen heißen würde: Er erzählt die Origin-Story eines Superschurkens – des alten, orangenen Mannes.
Die Wahrheit ist Interpretationssache – darum geht es
Donald Trump (Sebastian Stan, 42) ist erst Mitte 20, als er zu Beginn der 70er Jahre die Geschäftsführung des Immobilien-Unternehmens seines Vaters übernimmt. Folglich ist er auch erst Mitte 20, als ihm ein Millionenvermögen in den Schoss fällt. Doch auch die Probleme seines Vaters erbt er: Trump Sr. wird vorgeworfen, seine Mietwohnungen aus rassistischen Beweggründen nicht an Afroamerikaner vermietet zu haben. „Die NAACP-Schwuchteln sagen, ich sei ein Rassist. Wie kann ich ein Rassist sein, mein Chauffeur ist Schwarz“, lautet dessen aufgebrachte Verteidigung am heimischen Küchentisch.
Um seine Karriere als Immobilienunternehmer nicht sofort mit einer krachenden Gerichtsniederlage zu starten, engagiert Donald Trump mit Anwalt Roy Cohn (Jeremy Strong, 45) einen Mann, dem der Begriff „Gewissen“ ein Fremdwort ist. Cohn erpresst, lügt und schüchtert ein. Das Schlimmste daran: Der Erfolg gibt ihm auch noch recht. Doch noch etwas macht Cohns skrupellose Natur – sie schindet mächtig Eindruck beim jungen Donald.
Aus dem Schüler wird der Meister
Der Filmtitel „The Apprentice“ ist zugleich der Name von Trumps langjähriger TV-Show, in der Kandidaten um einen hochdotierten Job in einem Unternehmen des Immobilienhais konkurrierten. In Abbasis Film ist die Rollenverteilung klar: Trump, noch giftgrün hinter den Ohren, geht zu Beginn von „The Apprentice“ in die Skrupellos-Schule des juristischen Pitbulls Roy Cohn.
Der gibt seinem Schützling sogleich seine fragwürdige Erfolgsformel an die Hand, die im aktuellen Wahlkampf mehr denn je Anwendung zu finden scheint: „Drei Regeln: Die erste Regel ist die einfachste: Angreifen, angreifen, angreifen. Zweite Regel: Nie etwas zugeben, immer alles abstreiten. Regel drei – die wichtigste Regel von allen: Egal, was passiert, was sie sagen oder wie unterlegen du bist, behaupte immer zu gewinnen. Gib niemals eine Niederlage zu, Donald!“ Cohns vielsagendes Versprechen an Trump, das die Tonalität des Films treffend zusammenfasst: „Jeder will den Schwanz eines Siegers lutschen.“
„Der Pate“ trifft „Star Wars“
Gleich mehrere Werke kommen beim Betrachten von „The Apprentice“ in den Sinn. Wie bei Al Pacinos (84) Michael Corleone in „Der Pate“ wird mit jeder Minute etwas mehr Gewissen der Hauptfigur weggewischt – bis jedwede Moral verschwunden ist und sich das Machtgefüge umgekehrt hat. Gar wie ein „Star Wars“-Bösewicht wirkt zuweilen Jeremy Strongs Figur, die wie ein Sith-Lord einen leicht beeinflussbaren Padawan auf die dunkle Seite der Macht führt.
Strong muss hier lobend hervorgehoben werden. Als Roy Cohn legt er dieselbe ambivalente Dynamik an den Tag, die schon die Serie „Succession“ zum Welterfolg werden ließ. Auf den ersten, zweiten und auch noch auf den dritten Blick ist seine Figur ein Scheusal. Doch gegen Ende blitzt zunehmend eine menschliche, von ihm selbst in Vergessenheit geratene Seite durch: Cohn versteckte zeit seines Lebens seine Homosexualität und versuchte auch seine AIDS-Erkrankung, an der er 1986 starb, als Krebs darzustellen. Doch erst inmitten dieses persönlichen Schicksals erkennt er im Film, dass er mit Trump sein „Meisterstück“ abgeliefert hat: Sein einstiger Schüler ist sogar noch herzloser als er selbst geworden.
Die Entwicklung von Donald Trump verläuft in „The Apprentice“ exakt konträr: Anfangs scheint ihn doch tatsächlich noch sein Gewissen zu plagen. Er wird als ein junger Mann dargestellt, der sich um das Wohl seines älteren Bruders sorgt und sich im Werben um Ivana – ebenfalls stark von der „Borat 2“-Entdeckung Marija Bakalowa (28) dargestellt – gar als kleiner Romantiker entpuppt.
Auch Stan gelingt es, eine beeindruckende optische und charakterliche Wandlung hinzulegen. Die Nachricht, dass der Frauenschwarm und Marvel-Star in die Rolle von Donald Trump schlüpft, hat dessen Ego trotz grundsätzlicher Ablehnung des Films sicherlich gepampert. Gegen Ende von „The Apprentice“ haben es die Maskenbilder aber durchaus verstanden, Stans Sexappeal gekonnt zu verstecken. In eine Karikatur haben sie ihn aber nicht verwandelt.
Satire-Fans aufgepasst
Apropos: Eines ist „The Apprentice“ wohl entgegen manch einer Vermutung aus dem Vorfeld nicht: Es ist keine satirische Biografie geworden, wie es etwa Adam McKays (56) „Vice – Der zweite Mann“ über Ex-Vizepräsident Dick Cheney (83) war. Auch darf Sebastian Stan seine Rolle nicht als alberne Witzfigur am Nasenring durch die Manege führen, wie es angesichts der Optik und den immer abstruseren Aussagen von Trump ein Leichtes gewesen wäre. „The Apprentice“ konzentriert sich darauf, Trumps Coming-of-Rage-Geschichte weitestgehend ernsthaft abzuschreiten. Die Kernaussage: Den echten Trump kann man zwar als Clown abtun. Seine Handlungen sind aber alles andere als lustig.
Sinnbildlich hierfür steht eine monströse Szene, die bereits vor dem Kinostart große Wellen geschlagen hat: Nachdem sich Ivana im Film über Donalds zunehmend absurdes Aussehen lustig macht, entbrennt zwischen ihnen nicht etwa das Wortgefecht einer klassischen Screwball-Komödie – stattdessen drückt er sie zu Boden und vergewaltigt sie.
Der fiktionalisierte Moment basiert auf einem Statement, das Ivana Trump 1990 tatsächlich in ihrer Scheidungserklärung abgegeben hatte und darin von einer Vergewaltigung durch ihren Ehemann im Jahr 1989 berichtete. Später widerrief sie diese Anschuldigung jedoch, der Film lässt hingegen keinen Interpretationsspielraum. „Wir werden eine Klage einreichen, um gegen die offensichtlich falschen Behauptungen dieser Pseudo-Filmemacher vorzugehen“, hatten die Anwälte von Trump daher umgehend angekündigt, nachdem der Film im Mai in Cannes Premiere gefeiert hatte.
Fazit:
„The Apprentice“ ist Wasser auf die Mühlen aller Trump-Gegner. Für die Gegenseite ist er derweil ein dankbarer Vorwand, um sich als Opfer voreingenommener Sichtweisen darzustellen. Dabei stellt der Film Trump zu Beginn durchaus facettenreich dar: Ambitioniert und zuweilen gar charmant, zugleich jedoch naiv und leicht zu manipulieren. Was der Film wenig subtil aussagt: Donald Trump ist ein Konstrukt seines Ziehvaters Cohn, das fleischgewordene Sprichwort „Fake it ‚till you make it“ – und das Paradebeispiel eines Mistkerls. Zumindest dem letzten Punkt widersprechen laut aktueller Umfragen derzeit knapp 50 Prozent der US-Wähler. Die andere Hälfte wählt Kamala Harris (59).