Jaqueline H. erkennt zu spät, dass sie süchtig ist: Sie steckt 10.000 Euro in das Computerspiel „League of Legends“. Hier erzählt sie, wie sie in die Sucht rutschte – und ihr wieder entkam.
Ein Freund hat mir hat mir „League of Legends“ gezeigt, 2012 war das, in der Schule. Ich war 16 Jahre alt. In meiner Klasse gab es zwei Lager. Die einen haben das Spiel geliebt, die anderen gehasst. Ich habe in einem Grüppchen mitgespielt, fand aber total blödsinnig, dass andere Geld ausgegeben haben. Für so genannte Skins, die einfach nur die Farbe wechseln.
Ein paar Monate später kamen Skins heraus, die cooler aussahen und die Charaktere mehr verändert haben. Ich hatte inzwischen viel gespielt. Für mich war es etwas Besonderes, einmal für zehn Euro eine Paysafe-Karte zu kaufen und echtes Geld gegen digitale Währung, Riot Points, zu tauschen. Ich wollte meinen Champion vom Rest abheben, kennzeichnen, dass es mein Lieblingschampion ist. Also habe ich ihm meinen ersten Skin gekauft. Youtube LOL Gameplay Gamingsucht
Die Online-Game-Sucht begann langsam
In unser Grüppchen dann kam ein neuer Spieler. Er hat League eine Woche gespielt und sofort fünf Skins gekauft. Check ich nicht, nicht einmal heute. Er wusste nicht einmal, ob ihm League gefällt, ob er es weiterspielt und trotzdem steckt er schon Geld rein?
Ein paar meiner Schulfreunde haben aufgehört zu spielen, ich bin dabeigeblieben. Eine Partygängerin war ich noch nie. Irgendwann habe ich fast nur noch mit Leuten gezockt, die ich online kennengelernt habe. Ich war 17 Jahre alt. Aus einer Online-Freundschaft wurde für eine Zeit eine echte Beziehung mit jemandem aus dem Nachbarort. Die anderen Gamer entwickelten sich zu Freunden. Das alles passierte 2013, Anfang 2014.
Erst fanden wir es noch lustig, wenn jemand Geld in einen Skin investiert hatte. Ich konnte sowieso nicht viel ausgeben, nur das bisschen Taschengeld von meinen Eltern. Ich habe nie mit ihnen über die Summen geredet, die ich später in das Spiel gesteckt habe. Mein Stiefvater hat es mir so vorgelebt und selbst hunderte Euro in Onlinespiele investiert.
2014 hat Riot Games, die Firma hinter „League of Legends“, so genannte Mystery Gifts rausgebracht. Damit konnten wir uns auf einmal Skins hin und herschicken, für echtes Geld beziehungsweise digitale Währung. Welchen Skin man verschickt, war eine Überraschung. Damit ging es los.
Wenn mir jemand einen teuren Skin geschickt hat, war das ein geiles Gefühl
Wir haben es „giften“ genannt. 490 Riot Points für einen ganz zufälligen Skin. 790 Points für einen Skin mit einem Mindestwert. Ich habe den anderen Mysterys gegifted, sie mir das gleiche zurück. Weil es halt lustig war. Wenn man jemandem per Zufall einen richtig teuren Skin geschickt hat, war das ein richtig geiles Gefühl.
Kurze Zeit später habe ich angefangen, selbst mehrere Skins zu ziehen. Das war jedes Mal ein Rausch. War ich erfolgreich, ist Adrenalin durch meinen Körper geschossen. Bis 2015 habe ich mir eine kleine Sammlung aufgebaut. Ich hatte zwölf oder 13 Skins.
Dann kamen so genannte Lootboxen auf, digitale Schatztruhen mit Accessoires oder Waffen. Damit zieht man „Splitter“. Drei Splitter „rollt“ man zu einem Skin. Zumindest ist das eine von mehreren Möglichkeiten in League, Skins zu bekommen. Je besser man spielt, desto reichhaltiger sind die Truhen.
Ich habe viel gezockt, vier Stunden täglich. Online traf ich dann jemanden, der alle Skins hatte. Ich fand das immer noch blödsinnig, aber auch beeindruckend.
Alles, was ich hatte, habe ich in Lootboxen investiert
Dann kam das Jahr 2016, ich war 20 Jahre alt und habe nicht mehr mein Taschengeld ausgegeben, sondern eigenes Geld verdient. Plötzlich hat mich die Sammelwut gepackt. Alles, was ich hatte, habe ich in Lootboxen investiert. Mich hat ein Gedanke nicht mehr losgelassen: Ich muss auch alle Skins haben! Das war irgendwann mein Anspruch an mich selbst, auch wenn immer neue rauskamen.
Es kommt irgendwie cool, wenn man immer einen Skin hat, egal mit welchem Champion man spielt. Vielleicht wollte ich mich vor den anderen auch beweisen.
Lauras Kampf gegen den Alkohol 10.51
Also habe ich eine Excel-Tabelle erstellt und berechnet, wie ich alle Skins so günstig wie möglich bekomme. Zu der Zeit habe ich jeden Monat hunderte Euro ausgegeben, einmal 500 Euro in wenigen Wochen. Ich war jung und blöd und habe mich von dem System beeinflussen lassen. Ich wollte einfach alle Skins haben.
Riot Games hat immer wieder neue Wege gefunden, meine Sucht anzufeuern: Etwas Neues rausgebracht, Regeln geändert, manches konnte ich nicht mehr sofort haben. Ich habe mich so gefühlt, als ob Riot Games mit dem Finger auf mich zeigt und sagt: „Du, wir wollen mehr Geld von dir.“ Ich habe mitgemacht.
Vier Jahre lang habe ich exzessiv gesammelt. Bis 2020, zu dem Tag, an dem sich mein Ehrgeiz ausgezahlt hat: Ich konnte alle besonders seltenen Prestige-Skins hintereinander rollen. Ich habe alles auf Screenshots festgehalten. Die meisten meiner Freunde waren davon beeindruckt. Ein paar haben auch gefragt, wieso ich so blöd sei und Geld dafür ausgebe. Ich habe mein ganzes Geld in das Spiel gesteckt.
Ab diesem Zeitpunkt musste ich nur noch einmal „rollen“, wenn ein neuer Skin rauskam. Den habe ich dann sofort bekommen. Das hat geholfen, ein bisschen weniger auszugeben. Eigentlich hat das lange gut funktioniert. Doch dann wurde ich einmal rückfällig: Als ein besonderer Skin rauskam zu Ehren des besten Spielers in League of Legends.
Ich hatte eine Grenze überschritten
Der Skin kostete 400 Euro in der teuersten, 250 in einer mittleren und 50 Euro in der günstigsten Variante. Man konnte ihn auch zufällig gewinnen. Meine Freunde haben sich über die Preise aufgeregt. Ich habe den Skin heimlich für 250 Euro gekauft. Obwohl ich wusste, dass es bei niemandem mehr gut ankommen wird. Damit ich den Skin trotzdem spielen konnte, habe ich meine Freunde angelogen und erzählt, dass ich ihn gewonnen hätte. Das bereue ich. Ich hatte eine Grenze überschritten. Seitdem gebe ich kaum noch Geld für das Spiel aus.
Ich habe ingesamt 10.000 Euro in „League of Legends“ gesteckt. Verkaufen möchte ich meinen Account aber auch nicht. Dafür habe ich zu viel Zeit da reingesteckt und manchmal spiele ich damit noch. Ich bin inzwischen 28 Jahre alt, spiele E-Sports im Verein und arbeite als IT-Technikerin.
Jetzt suche ich ein Haus und könnte die 10.000 Euro gut gebrauchen, die ich verzockt habe. Das System dieses Spiels, all die bunten Verkleidungen, die Geschwindigkeit: alles ist darauf zugeschnitten, Kinder früh abhängig zu machen. Erst sollen sie das Geld ihrer Eltern ausgeben, später ihr eigenes. Das ist gefährlich.