CDU-Minister Peter Hauk fürchtet eine Benachteiligung des ländlichen Raums, falls mehrere Notfallpraxen geschlossen werden. Sein Amtskollege macht aber wenig Hoffnung, die Pläne aufhalten zu können.
Wenn sie künftig eine schwere Erkältung, starke Bauchschmerzen oder eine kleine Schnittwunde haben, müssen Patientinnen und Patienten außerhalb der Sprechzeiten ihres Hausarztes künftig möglicherweise längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen. Hintergrund sind Pläne, das Netz an Notfallpraxen in Baden-Württemberg auszudünnen.
Das löst nun auch innerhalb der Landesregierung massive Kritik aus. CDU-Minister Peter Hauk, der für den ländlichen Raum zuständig ist, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Ein weiteres Kaputtsparen und eine weitere Verschlechterung der medizinischen Versorgung des ländlichen Raums ist für mich indiskutabel und nicht hinnehmbar.“
Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) will nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur die Zahl der Notfallpraxen im Südwesten weiter verringern. Demnach geht es um 17 weitere Standorte. Acht Praxen hatte die KVBW bereits im Laufe des Jahres dauerhaft geschlossen. Wie die dpa erfuhr, soll künftig die Regelung gelten, dass mindestens 95 Prozent der Menschen im Südwesten innerhalb von 30 Fahrminuten eine Notfallpraxis erreichen können. Alle anderen sollen maximal 45 Minuten fahren müssen.
Hauk befürchtet Überlastung der Kliniken
Die Pläne würden unweigerlich zu einer Überlastung der Notfallstrukturen in den Kliniken führen, kritisierte Hauk. Bereits heute sei die ungenügende hausärztliche Notfallversorgung auf dem Land besorgniserregend. Der Minister befürchtet, dass viele Patientinnen und Patienten künftig nicht mehr zur dann weiter entfernten Notfallpraxis fahren, sondern in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses gehen.
„Nach der Krankenhausreform wird der ländliche Raum nun einmal mehr massiv bei der medizinischen Versorgung benachteiligt“, sagte Hauk. Die KVBW müsse ihren Versorgungsauftrag auch auf dem Land wahrnehmen. Mit der geplanten Schließung werde dies infrage gestellt. „Die Belastungsgrenze ist erreicht“, sagte Hauk.
Das sehen offenbar auch die betroffenen Städte ähnlich. Bad Saulgau und Ettlingen, deren Notfallpraxen den Plänen zufolge ebenfalls geschlossen werden könnten, riefen Bürgerinnen und Bürger dazu auf, gegen die Pläne zu protestieren. Gemeinsam mit anderen betroffenen Städten wolle man am kommenden Montag eine Demonstration vor der Zentrale der KVBW in Stuttgart organisieren, teilten die Stadtverwaltungen mit.
Gesundheitsminister Lucha soll Einschreiten
Hauk forderte von seinem Ministerkollegen, Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne), ein Einschreiten. Lucha solle die Aufsicht über die KVBW wahrnehmen und diese dazu anhalten, die Standorte der Notfallpraxen aufrechtzuerhalten. „Wenn der Versorgungsauftrag in der Obliegenheit einer Körperschaft zu massiven Benachteiligungen des ländlichen Raums führt, stellt sich für mich die Frage, ob dieser nicht doch besser beim Land selbst aufgehoben wäre“, sagte Hauk.
Das Sozialministerium sieht in der Frage allerdings wenig Handlungsmöglichkeiten. Man habe lediglich eng begrenzte Prüfmöglichkeiten, teilte eine Sprecherin mit. „Es gibt keine näheren gesetzlichen Vorgaben, wie der Bereitschaftsdienst zu organisieren ist. Im Gegensatz zum Rettungsdienst gibt es beispielsweise keine konkreten Hilfsfristen und bislang auch keine Vorgaben zur Erreichbarkeit der Bereitschaftspraxen.“
Ministerium: „Daran werden wir uns gewöhnen müssen“
Kritik an den geplanten Schließungen äußerte das Ministerium nicht. Die KVBW tue bei derzeit rund 1000 unbesetzten Arztsitzen alles, um die Regelversorgung im Land aufrechtzuerhalten. „Für die Zukunft der medizinischen Versorgung gilt der Grundsatz: digital vor ambulant vor stationär. Daran werden wir uns alle gewöhnen müssen“, so die Sprecherin. Ärztliche Ressourcen müssten zielgenau eingesetzt werden, damit die Versorgung insgesamt stabil bleibe.
Auslöser für die Pläne zu einer Neustrukturierung des Bereitschaftsdienstes war ein Gerichtsurteil. Danach hatte die KVBW im Oktober vergangenen Jahres angekündigt, keine Poolärztinnen und Poolärzte in den Notfallpraxen mehr einzusetzen und den ärztlichen Bereitschaftsdienst neu konzeptionieren zu wollen. Poolärzte sind Ärztinnen und Ärzte, die keine Kassenzulassung haben, also unter anderem Mediziner, die im Krankenhaus arbeiten, die kurz vor der Facharztanerkennung stehen oder die bereits im Ruhestand sind.
Wenn der Hausarzt zu hat: Anlaufstelle für Patienten mit schwerer Erkältung
Nach Angaben der KVBW hatten diese etwa 40 Prozent der Dienste in den Notfallpraxen freiwillig übernommen. Mit dem Argument, dass deren Wegfall nicht kompensiert werden könne, schränkte die KVBW das Angebot der Notfallpraxen zunächst deutlich ein.
Der ärztliche Bereitschaftsdienst hilft weiter, wenn der Hausarzt nicht geöffnet hat – etwa bei einer schweren Erkältung, starken Bauchschmerzen oder einer kleinen Schnittwunde. Erreichbar ist der Dienst unter der Nummer 116117. Dort erfahren Patientinnen und Patienten, wo die nächste Notfallpraxis ist, bei Bedarf kommt auch ein Arzt oder eine Ärztin nach Hause. In Baden-Württemberg sind die zentralen Notfallpraxen häufig an Krankenhäuser angegliedert.