Die CDU kann in Ostdeutschland nur mit Hilfe des BSW die AfD-Extremisten von der Macht fern halten. Doch für diese absurde Situation trägt sie eine Mitverantwortung.
Noch in dieser Woche dürften die Thüringer Parteigremien von CDU, BSW und SPD den Weg für Koalitionsverhandlungen frei machen. Sachsen und Brandenburg könnten diesem Vorbild rasch folgen.
Das ist zugegebenermaßen nicht schön. Aber es ist realpolitisch notwendig. Ohne eine Beteiligung des Bündnis Sahra Wagenknecht – und sei es per Tolerierung – können die drei ostdeutschen Länder künftig nicht regiert werden.
Natürlich, insbesondere die CDU befindet sich in einem absurd anmutenden Dilemma. Ausgerechnet sie, die Gespräche mit der Linken ablehnt, will nun mit einer populistischen Linke-Abspaltung regieren. Und ausgerechnet sie, die sich im Bund immer klar an der Seite der USA und der Ukraine verortet, soll sich in den Ländern gegen Waffenlieferungen und die Stationierung von US-Raketen einsetzen. So jedenfalls verlangt es BSW-Chefin Wagenknecht.
Die kommunikative Dissonanz des CDU-Chefs
In seiner Pein hat sich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz für kommunikative Dissonanz entschieden. Nachdem er Wagenknecht im Juni als rechts- wie linksextremistisch bezeichnet hatte, attestiert er ihr zuletzt auf dem CSU-Parteitag „Sozialismus in Chanel“. Und betonte weiter: „Schon aus moralischen Gründen“ könne die Union weder mit der AfD noch mit dem BSW kooperieren, ansonsten würde man „die Seele der Union verkaufen“.
Doch wer soll das bitte glauben?
Denn während der CDU-Vorsitzende das BSW niederredet, verhandeln in Sachsen und Thüringen Ministerpräsident Michael Kretschmer und Landeschef Mario Voigt mit der angeblich extremen Partei. Beide gehören dem von Merz geführten Präsidium an. Und beide stimmen sich eng mit ihm ab.
Wie Wagenknecht mit der CDU spielt 11.45
Natürlich haben Kretschmer und Voigt keine Lust auf die Retortenpartei BSW. Aber sie haben ebenso wenig eine Wahl wie der Brandenburger SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke. Denn die einzige Alternative – die größtenteils rechtsextremistische AfD – verbietet sich von selbst. Diese Partei darf in dieser Gestalt und Form keine Macht in Deutschland bekommen.
Dass es keine anderen Varianten gibt, liegt auch an der CDU. Denn nach wie vor reduziert sie die Linke auf deren totalitäre SED-Vergangenheit und verweigert jede Zusammenarbeit mit ihr.
Wagenknechts Propaganda wirkt bei Kiesewetter
Dabei könnte die Union, wenn sie nur wollte, in Sachsen mit SPD, Linken und Grünen regieren. Oder sie könnte im ewig komplizierten Thüringen, wo es auch mit BSW und SPD nur für ein Patt reicht, eine Minderheitsregierung bilden, um sich von der Wagenknecht-Partei und den Linken tolerieren zu lassen.
Die CDU hätte andere Optionen besessen. Nun aber bleibt ihr allein das BSW.
Das ist, wie gesagt, nicht schön. Aber es ist auch nicht so schlimm, wie oft getan wird. Wenn etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter Thüringen lieber der AfD überlassen will, als mit der Wagenknecht-Partei zu verhandeln, zeigt er damit nicht nur, dass ihm die dort lebenden Menschen egal sind. Er beweist auch, dass er Wagenknechts Propaganda aufsitzt. Er macht sie größer als sie ist.
Die Forderungen der BSW-Gründerin sind ein durchsichtiger Popanz. Auch sie kann kaum daran glauben, dass ein paar Sätze in der Präambel von Länder-Koalitionsverträgen die Außenpolitik des Bundes verändern werden – zumal dann nicht, wenn sie weder die Westbindung infrage stellen noch Waffenlieferungen an die Ukraine ausschließen. Die Union hat längst klar gemacht, dass für sie genau dort ihre rote Linie verläuft.
Die Formulierung dürfte sich deshalb am Ende irgendwo zwischen dem gemeinsam von Kretschmer, Voigt und Woidke veröffentlichten Text und der BSW-Rhetorik bewegen. So könnte bei den US-Raketen darauf verwiesen werden, dass die Menschen in Thüringen und Sachsen deren Stationierung ablehnen – ohne sich als Koalition damit dezidiert gemein zu machen.
Wagenknecht weiß, dass sie kompromissbereit sein muss. Zum einen bleibt ihr ohnehin nur Symbolpolitik, um die politische Marke „Friedenspartei“ zu verteidigen. Zum anderen ist sie nicht mehr alleinige Herrin des Verfahrens.
Die Emanzipation von Sahra Wagenknecht
Die Abgeordneten in den Ländern haben Mandate für fünf Jahre, während die Parteigründerin nicht einmal sicher sein kann, ob sie in einem Jahr noch im Bundestag sitzt. Es ist deutlich zu erkennen, wie sich etwa die Thüringer Landespartei von den Berliner Vorgaben emanzipiert. Sowieso besitzt Wagenknecht keinerlei formales Mitspracherecht in den Verhandlungen.
Ein Formelkompromiss bei Krieg und Frieden ergibt auch deshalb Sinn, weil CDU und BSW in Politikbereichen wie Bildung, Inneres und Finanzen gar nicht weit auseinanderliegen. Die dünne inhaltliche Substanz der neuen Partei ist an dieser Stelle sogar von Vorteil. Sie hat der Expertise der anderen nicht so viel entgegenzusetzen.
Im Übrigen ist es nicht spitzfindig, sondern sinnfällig, dass Merz beim Umgang mit dem BSW zwischen Bundes- und Landesebene unterscheidet. Genauso hat es die SPD jahrzehntelang mit PDS und Linkspartei gehalten – und durchaus erfolgreich regiert.
Und ja, zum dritten Mal: Das alles ist nicht schön. Aber es ist besser, als von der AfD regiert zu werden – oder in parlamentarischer Anarchie zu enden.