In „Disclaimer“ mit Cate Blanchett sorgt ein brisantes Buch dafür, dass das Leben einer renommierten Enthüllungsreporterin in Flammen aufgeht.
Für Catherine Ravenscroft (Cate Blanchett) könnte es kaum besser laufen. Als Journalistin ist sie hoch angesehen, ihre investigativen Dokumentationen werden regelmäßig mit Preisen dekoriert.
Dass das Haarteil von Ehemann Roger (Sacha Baron Cohen) nicht optimal sitzt, lässt sich verkraften. Dafür kennt er sich mit Weinen aus und unterstützt seine Gattin nach Kräften. Das Verhältnis zu ihrem Sohn dürfte gern inniger sein, aber irgendetwas ist ja immer.
Stephen Brigstocke (Kevin Kline) würde einiges dafür geben, wären seine Sorgen derart überschaubar. Stattdessen lebt er, ein grauhaariger Pädagoge alter Schule, das einsame Leben eines Witwers. Die Schüler tanzen ihm auf der Nase herum, bis man ihm schließlich den Stuhl vor die Tür stellt. Letzte Ausfahrt Vorruhestand.
Für Jonathan und Sasha dagegen ist all das noch Lichtjahre entfernt. Die beiden Twens toben durch Italien, genießen die Freiheit.
Cate Blanchetts Rolle entdeckt Buch über sich selbst
Drei Lebenswege, drei Schicksale, drei unterschiedliche Storylines tun sich in Alfonso Cuaróns „Disclaimer“ auf. In sieben Teilen erzählt der mehrmalige Oscar-Preisträger („Gravity“, „Roma“), auf welch existenzielle Weise sie miteinander verbunden sind – und welch düsteres Geheimnis sie teilen.
Alles kommt ins Rollen, als Ravenscroft ein Buch mit dem Titel „The Perfect Stranger“ zugespielt wird. Beim Lesen der ersten Seiten stellt sie fest, dass sie die Protagonistin nur allzu gut kennt: Sie ist es selbst. Und die Geschichte darin wird ihr Leben verändern.
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Entscheidend dabei ist der titelgebende „Disclaimer“, sonst ein Verweis auf den fiktiven Charakter einer Geschichte: Alles ist ausgedacht. Hier jedoch verhalten sich die Dinge anders. Vor dem ersten Kapitel steht genau das Gegenteil: „Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist kein (!) Zufall.“
Aus dem Schneeball wird eine Lawine, als allen in Ravenscrofts Umfeld dieses Buch zugespielt wird. Ihr Mann, ihr Sohn, die Buchhändlerin in ihrer Straße, die Mitarbeiter der Agentur, in der sie beschäftigt ist, lesen „The Perfect Stranger“ – und sehen die Protagonistin dieses schmalen Bandes von da an in anderem Licht. Ravenscrofts Existenz beginnt zu bröckeln. Oder wie es eine Redaktionskollegin ausdrückt: „You’re so cancelled!“ – Du bist raus!
Wenn Realität und Fiktion verschwimmen
Cuarón erzählt das kunstvoll verschachtelt, springt zwischen den Zeitebenen und Perspektiven, arbeitet mit diffus ausgeleuchteten Rückblenden, setzt einiges an optischem Zierrat ein. Wir, die Zuschauer, werden zu Figuren in diesem Szenario.
Gerade noch erwischt man sich bei dem Gedanken, dass die Sexszene zwischen Ravenscroft und ihrem jungen Liebhaber vielleicht einen Tick zu lang ist, zu explizit, da sind wir schon längst zu Voyeuren geworden. Und mit den vermeintlichen Einblicken bildet sich unser Urteil.
Aber ist das alles real, was wir da sehen, oder ist es nur der Blickwinkel, den Cuarón uns mal mehr, mal weniger subtil zuweist? Ist die Entrüstung, die wir spüren, wirklich berechtigt?
Bei den Filmfestspielen von Venedig feierte „Disclaimer“ seine Premiere. Seitdem hat das C-Wort in so manchem Artikel darüber die Runde gemacht, und natürlich ist das Phänomen Canceln ein grundlegender Aspekt dieser Story.
Die Volte im Plot funktioniert jedoch auch abseits von Modebegriffen. Sie ist universell. Klingt alles etwas rätselhaft? Muss es auch, denn jeder kleine Spoiler würde hier den Effekt schmälern: dass Sie unvermittelt am Kragen ins Geschehen gezogen werden, das noch lange nachhallt.