Kevin Kühnert zieht einen Schlussstrich, „weil ich leider nicht gesund bin“. Die SPD verliert in einer strategisch kritischen Phase eines der größten Talente. Den Wahlkampf soll ein anderer managen.
Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl kann er nicht mehr: Aus gesundheitlichen Gründen tritt Kevin Kühnert als Generalsekretär der SPD zurück. Nur Stunden später steht sein Nachfolger schon fest: Der Energie- und Klimapolitiker Matthias Miersch. Wie Kühnert ist er Parteilinker – doch den Wahlkampf der Sozialdemokraten wird wohl noch ein anderer maßgeblich organisieren.
Kühnert verkündete seine Entscheidung in einem Brief an Parteimitglieder und Öffentlichkeit. Im Wahlkampf müsse jeder in der SPD über sich hinauswachsen. Doch er müsse sich eingestehen: „Ich selbst kann im Moment nicht über mich hinauswachsen, weil ich leider nicht gesund bin.“
Die Energie, die für sein Amt und einen Wahlkampf nötig sei, brauche er auf absehbare Zeit, um gesund zu werden, schrieb der 35-Jährige. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur handelt es sich nicht um körperliche, sondern mentale Probleme. „Deshalb ziehe ich die Konsequenzen“, erklärte Kühnert.
Auch für den Bundestag werde er nicht erneut kandidieren. Für die SPD ist es ein Schlag: Sie verliert in einer strategisch wichtigen Phase ihren Wahlkampf-Manager – und vorerst eins ihrer größten politischen Talente.
Klingbeil: „Politik ist nicht alles“
Parteichef Lars Klingbeil betonte, jetzt gehe es vorrangig um Kühnert und seine Gesundheit. Das politische Geschäft sei fordernd und anstrengend. Doch: „Politik ist nicht alles.“ Parteichefin Saskia Esken bat darum, Kühnert Raum und Zeit für die Genesung zu geben. „Für ihn wird, wenn er irgendwann dafür bereit ist und es möchte, immer eine Tür offen stehen“, versicherte sie.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dankte Kühnert für eine „sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Auf Instagram schrieb der Regierungschef: „Gesundheit ist das Allerwichtigste. Darum wünsche ich dir von Herzen gute Besserung und die Zeit, die du dafür brauchst.“
Gut vernetzter Nachfolger
Für die Partei kam der Schritt offenkundig nicht überraschend. Die noch am Abend tagenden Parteigremien stimmten dem Vorschlag der Parteichefs zu: Kommissarisch soll mit Miersch einer der Vizevorsitzenden der Bundestagsfraktion den Posten des Generalsekretärs übernehmen. Offiziell könnte der Niedersachse dann beim Parteitag im Sommer gewählt werden, auf dem die SPD auch ihren Kanzlerkandidaten küren will.
Der gebürtige Hannoveraner Miersch ist ein erfahrener Politiker und Stratege. Er sitzt seit 2005 im Bundestag, gehört zum Führungsgremium der Parlamentarischen Linken in der SPD. Als Fraktionsvize ist er zuständig für Umwelt, Klimaschutz und Energiepolitik – einem Themenfeld, in dem die SPD eine harte Wahlkampf-Auseinandersetzung mit der Union erwartet. Ohne größere Anlaufzeit muss Miersch nun deren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz Paroli bieten.
Der 55-Jährige gilt als entschiedener Verfechter der Energiewende, also des schrittweisen Ausstiegs aus den fossilen Energien. Er hat federführend zum Beispiel auch das umstrittene Heizungsgesetz mit Grünen und FDP verhandelt. Vor kurzem hatte Miersch erklärt, erneut für den Bundestag kandidieren zu wollen.
Klingbeil will Wahlkampf mit organisieren
Alle Aufgaben des scheidenden Generalsekretärs Kühnert wird der Niedersachse aber voraussichtlich nicht – oder zumindest nicht allein – übernehmen. Es deutet sich an, dass Parteichef Klingbeil bei der Organisation des Wahlkampfes mit einspringt.
Denn er war der Kopf des erfolgreichen Wahlkampfs vor der vergangenen Bundestagswahl. „Meine feste Überzeugung ist es, dass man Erfolg organisieren kann“, sagte Klingbeil nun. Das deutet darauf hin, dass er selbst eine aktivere Rolle in der Strategieplanung einnehmen könnte.
Turbulenzen bei zwei von drei Ampel-Partnern
Für die Ampel aus SPD, Grünen und FDP könnte die Neubesetzung in der Führung der Sozialdemokraten weitere Turbulenzen bedeuten. Denn nicht nur die SPD, auch die Grünen müssen sich nach dem Rückzug des gesamten Vorstands neu finden.
Der scheidende Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour wünschte Kühnert im Namen seiner Partei vollständige Genesung und bedankte sich für die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ in den vergangenen drei Jahren. Anders als bei den Grünen hatte Kühnerts Entscheidung augenscheinlich nichts mit schlechten Wahlergebnissen zu tun – auch wenn er nach der SPD-Schlappe bei der Europawahl in der Kritik stand.
Vom Querulanten an die Parteispitze
Kühnerts Rolle in der SPD wird nicht einfach zu übernehmen sein. Der junge Berliner ist seit 2021 Generalsekretär der Sozialdemokraten und zog im selben Jahr in den Bundestag ein. Zuvor galt er jahrelang als oberster Querulant der SPD. Er war das Gesicht der No-GroKo-Kampagne von 2018, wollte als Juso-Chef eine Regierung aus Union und SPD verhindern. Bei der Wahl zum SPD-Vorsitz 2019 unterstütze er das linke Duo aus Esken und ihrem Mitbewerber Norbert Walter-Borjans – zusammen gewannen sie. Kühnert wurde daraufhin zum Parteivize gewählt.
Meinungsstark ist er seitdem geblieben. Kühnert trat für die SPD zuletzt in zahlreichen Talkshows an, äußerte sich dort aber bedachter und, so scheint es, schluckte für den Erfolg seiner Partei auch einiges runter. „Er hat entscheidend dazu beigetragen, dass es Stabilität in der SPD gab und er hat entscheidend dazu beigetragen, dass unsere Partei sich weiterentwickelt hat in den letzten Jahren“, betonte Klingbeil.