Wenn die kleine Tochter im Zorn das Haus verlässt, dann findet man sie häufig bei den Nachbarn. Die achtjährige Zoe Wilson aus Bedford aber nahm das Auto und fuhr ins Kaufhaus.
Es ist Sonntagmorgen und noch viel zu früh. Gegen 6.30 Uhr kommt die achtjährige Tochter ans Bett und möchte mit dem iPad spielen. Das kennen viele Eltern, so auch Tangie Wilson aus Bedford, Ohio, in den USA, wie sie später der „New York Times“ erzählt. Sie gibt ihrer Tochter Zoe das Gerät, dreht sich zur Seite und macht wieder die Augen zu. Eine halbe Stunde später kommt eine der beiden älteren Töchter ans Bett und fragt: „Wo ist Zoe? Und Bear ist auch fort!“ Bear ist der Pudel-Mischling der Familie.
Diesmal ist Tangie ganz wach. Zusammen mit den beiden anderen Töchtern, 11 und 15 Jahre alt, macht sich die Mutter auf die Suche. Vor der Haustür fällt ihr auf: das Familienauto, ein weißer SUV, ist auch fort. Vielleicht hat die Babysitterin den Wagen genommen? Ein Problem nach dem anderen. Die drei fahnden erstmal nach Zoe, fragen Nachbarn, klappern die Umgebung ab. Mehrere Nachbarn helfen.
Einer der Nachbarn scannt schließlich die Aufzeichnung seiner Überwachungskamera. Er findet heraus, dass das Auto der Wilsons gegen 7 Uhr das Grundstück verlassen hat – mit der Tochter am Steuer. Nun macht sich Tangie Wilson richtig Sorgen, sie ruft die Polizei.
Zoe fährt Schlangenlinien durch Bedford, erreicht aber ihr Ziel
Es ist nicht so, dass Zoes Autofahrt nicht aufgefallen wäre, denn Zoe fährt Schlangenlinien auf der Straße. Was bei einem 1,27 Meter großen Grundschulkind, das noch nie ein Auto gesteuert hat, nicht überrascht. Ein Autofahrer wird aufmerksam und informiert die Polizei über den weißen Nissan Rogue der Familie.
Wirklich überraschend ist, dass Zoe es bis zum Ziel schafft: das Kaufhaus Target, etwa 16 Kilometer entfernt. Zwar kennt Zoe den Weg, denn es liegt auf ihrem Schulweg. Aber sie muss zweimal links abbiegen, um dahin zu kommen. Und eine Baustelle passieren.PAID Kommentar Kinder 21.03
Die Polizisten trinken mit Zoe einen Frappuccino
Schließlich findet die Polizei den weißen Nissan auf dem Target-Parkplatz, wo Zoe längst im Kaufhaus ist und shoppt. Niemand dort wundert sich über eine Achtjährige, die sonntagmorgens mit Hund einkaufen ist. Nicht mal an der Kasse wird sie nach ihren Eltern gefragt oder aufgehalten.
So spaziert Zoe mit ihrem Einkauf heraus. Als die Polizisten sie dann ansprechen, erklärt sie nur: „Ich habe nur einen Briefkasten getroffen und der war grün.“ Ansonsten aber ist das Auto unversehrt. Und das Kind auch.
Die Polizisten sind offenbar beeindruckt und nehmen die Sache nicht so schwer. Sie gehen mit Zoe ins Starbucks und warten mit ihr auf die Mutter – bei einem Frappuccino.
Sie liebt Einhörner – eine Achtjährige halt
Tangie Wilson ist sehr erleichtert, erzählt sie der „New York Times“ über den Vorfall von Mitte September. Sie verzichtet darauf, Zoe zu bestrafen. Im Gegenteil: „Ich habe ihr versichert, dass ich sie liebe und dass ich nicht möchte, dass ihr etwas zustößt, und wie gefährlich und ernst die Situation war.“
Zwar hat sich Zoe sehr clever angestellt beim Fahren, ansonsten ist sie aber laut ihrer Mutter eine typische Achtjährige: „Sie ist das liebenswerteste, süßeste und unschuldigste Mädchen überhaupt. Sie liebt Einhörner. Sie liebt es, draußen zu sein. Sie liebt Tiere – halt ein achtjähriges Mädchen.“STERN PAID 39_2024 Interview Eltern Norbert F. Schneider 15.48
Tangie Wilson schläft schlecht – „Boden unter den Füßen weggezogen“
Der Nissan der Familie verfügt über einen Startknopf, hat Assistenzsysteme, ist offenbar recht einfach zu fahren. Ein Streit am Vorabend mit den Geschwistern war Auslöser für Zoes Ausflug. Zoe hatte offenbar das Gefühl, berichtet die Mutter, nicht ernst genommen zu werden. Sie habe beweisen wollen, dass sie schon groß sei und allein ein Abenteuer bestehen könne. Weil ihr die Hülle vom iPad kaputtgegangen sei, habe sie beschlossen, eine neue zu kaufen. Bei Target kaufte sie dann aber Make-up und Spielzeug. Als sie von der Mutter bei Starbucks abgeholt wurde, schien das alles kein Thema mehr zu sein.
Wie sich herausstellte, ist es für die Mutter viel schwerer, das Ereignis zu verarbeiten. „Ich konnte nicht schlafen, weil alles damit begann, dass sie das Haus verließ, während ich schlief“, schildert Tangie Wilson der „New York Times“ die Folgen von Zoes Einkaufstour. „Es war, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen.“ STERN PAID 39_24 König Kind Eltern Erziehung 08.10
Zoe ist nun das „Target-Girl“
Auch die viele Aufmerksamkeit ist nicht hilfreich, erzählt sie dem Blatt. „Und es waren einfach all diese Fragen – jeder wollte wissen, wer dieses kleine Mädchen war und wie sie das gemacht hat.“ Inzwischen ging die Geschichte von Zoe auf Social Media um die Welt. Viele wollen ein Selfie machen mit dem „Target-Girl“.
Zoe hat das alles offenbar gut verarbeitet. In der Woche darauf macht sie sich Sorgen wegen des Schulstoffs. „Wir machen Multiplikation, und Multiplikation ist schwer“, so berichtet es ihre Mutter. „Und ich sagte: ‚Zoe, wusstest du, wie man ein Auto fährt, bevor du neulich Auto gefahren bist?‘ Und sie sagte: ‚Nein.‘ Und ich sagte: ‚Okay, so ist es auch mit der Multiplikation: Du weißt nicht, wie man sie macht, aber du wirst es lernen.‘ Das hat sie sehr ermutigt, was ihre Schularbeiten angeht.“
Quellen: New York Times, Bedford Police Departement