Melania Trump spricht sich für das Recht auf Abtreibung aus. Warum ihre Positionierung Donald Trump helfen könnte – obwohl sie ihm widerspricht
Es waren Worte, die alle überraschten. „Das Recht einer Frau einzuschränken, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden, ist dasselbe, wie ihr die Kontrolle über ihren eigenen Körper zu verweigern“, schrieb Melania Trump. Das sei ihre lebenslange Überzeugung. Ausgerechnet sie, eine Pro-Choice-Fürsprecherin?
Melania Trump ist 54 Jahre alt, Ex-Model und Einwanderin aus Slowenien. Vor allem aber ist sie die Ehefrau des amtierenden Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Eine ehemalige First Lady, die bei öffentlichen Auftritten mit Betonlächeln stumm-winkend neben ihrem Mann steht, mehr Statue als Mensch. Und weitgehend unpolitisch. Bis jetzt.
Zuerst hatte die britische Zeitung „The Guardian“ berichtet, Donnerstagabend zitierten sie aus einem Vorabexemplar des Buches „Melania“, das ganze Werk soll am 8. Oktober erscheinen. Darin spricht sich Melania Trump für das Recht auf Abtreibung aus. Die Eindeutigkeit ihrer Positionierung, die Vehemenz ihrer Worte – beides ungewöhnlich für sie. Vor allem, weil Melania Trump ihrem Mann damit öffentlich widerspricht. Nur einen Monat, bevor der wieder zum Präsidenten gewählt werden will. Schadet ihm das – oder ist es Absicht?
Donald Trump schlingert und schweigt
Das Recht auf Abtreibung ist ein zentrales Streitthema im diesjährigen US-Wahlkampf. Laut einer Umfrage des PewResearch Centers sagen 67 Prozent der Kamala Harris-Unterstützer, Abtreibung sei ihnen bei dieser Wahl „sehr wichtig“. Und immerhin 35 Prozent der Donald Trump-Unterstützer geben an, dieses Thema sei ihnen „sehr wichtig“. Aber welche Politik können die Wählerinnen und Wähler erwarten? In dieser Frage herrscht Einigkeit bei den Demokraten – und Streit bei den Republikanern.
Kamala Harris fordert das landesweite Recht auf Abtreibung zurück. Bei den Demokraten herrscht Konsens, dass eine Frau selbst über ihren Körper bestimmen solle. Doch während Harris mit dem Abtreibungsthema lautstark Wahlkampf betreibt, schlingert und schweigt Trump. Er positioniert sich nicht klar, weil er weiß: Nur die Hardliner in seiner Partei wollen die Gesetze weiter verschärfen. Ein parteiinterner Konflikt. Sollen die Republikaner das Abtreibungsrecht weiter einschränken? Diese Frage spaltet die Partei und ihre Anhänger.
2022 wurde „Roe v. Wade“ gekippt
Weiße, evangelikale US-Amerikaner sind seit Jahren treue Wähler Trumps. Die darf er keinesfalls vergraulen. Er braucht ihre Stimmen dringend, um dieses Jahr Präsident werden zu können. 2016 gewann Trump die Präsidentschaftswahlen auch, weil er versprach, den Obersten Gerichtshof der USA konservativer zu besetzen. So wollte Trump dazu beizutragen, das landesweite Recht auf Abtreibung zu kippen – genau das geschah dann im Sommer 2022. Weiße Religiöse und einige konservativer Politiker hatten sich schon jahrzehntelang gewünscht, das Recht auf Abtreibung abzuschaffen. Bei diesen Wählern konnte sich Trump als Sieger inszenieren. Als Architekt der Abschaffung von „Roe v. Wade“. Ein radikales Image – das für Trump mittlerweile immer mehr zum Problem wird.
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Seitdem es kein landesweites Recht auf Abtreibung mehr gibt, liegt die Verantwortung bei den Bundesstaaten. In 14 Staaten sind Schwangerschaftsabbrüche nahezu komplett verboten. Immer wieder gibt es verstörende Berichte über Frauen, die vergewaltigt wurden oder Fehlgeburten erlitten, teils minderjährig, teils starben sie sogar – alles nur, weil man ihnen in ihrem Bundesstaat nicht helfen durfte. Diese Fälle bewegen das Land, sie sorgen für laute Proteste. Trump setzt das enorm unter Druck, weil er nun klarer werden muss, welche Richtung er mit seiner Abtreibungspolitik einschlagen soll: liberaler oder radikaler werden?
Warum stellt sich Melania Trump anscheinend gegen ihren Mann?
Er wolle die Verantwortung in der Abtreibungsfrage weiterhin bei den Bundesstaaten belassen, sagte Trump im April auf seinem Netzwerk Truth Social. Nur einen Monat zuvor hatte er sich noch für ein landesweites Verbot von Abtreibungen ausgesprochen. Vor ein paar Tagen postete er hingegen erstmals, er würde kein nationales Abtreibungsverbot durchwinken, er würde sogar ein Veto aussprechen. Ein ewiges Hin und Her, das potenzielle Wähler verunsichert. Es ist weiterhin unklar, wie strikt Trumps Abtreibungspolitik künftig wirklich aussehen würde. Trump ist schlichtweg nicht greifbar. Sein Vizekandidat J. D. Vance hingegen gilt als militanter Abtreibungsgegner. So dominiert Vance das Profil einer republikanischen Partei, die im Zweifel die Abtreibungsrechte weiter verschärfen will. Das Problem: Diese Haltung passt nicht zur Meinung im Land. Die Mehrheit der Amerikaner findet, Abtreibung solle erlaubt sein.
Trump drückt sich vor dem Spaltthema – aus gutem Grund 18:22
In der Abtreibungsfrage gibt es für die Demokraten also viel zu gewinnen – und für die Republikaner viel zu verlieren. Trump muss mit uneindeutigen Positionen Politik machen, sonst vergrault er zwangsläufig einen Teil seiner Anhänger: entweder die Radikalen oder die Gemäßigten. In beiden Fällen würde er wertvolle Wählerstimmen verlieren. Und hier kommt Melania Trump ins Spiel: Sie kann ihrem Mann dabei helfen, das Image seiner Partei zu liberalisieren. Das Timing ihrer Positionierung spricht stark dafür. Warum sonst sollte sie ausgerechnet jetzt, einen Monat vor der Wahl, plötzlich ihre „lebenslange Überzeugung“ mit der Welt teilen?
Bloß keine Wähler abschrecken
Melania Trump kann jetzt als Identifikationsfigur strahlen: für all jene Unentschiedenen aus den Vororten der Swing States, die selbst mal heimlich abgetrieben haben, für Wechselwählerinnen und für weiße Frauen, die zwar mit den Republikanern liebäugeln, sich aber bisher von Trumps und Vances Anti-Abtreibungs-Macho-Politik abgeschreckt fühlten. Für all diese Menschen schafft Melania Trump nun einen neuen Anreiz, die Republikaner zu wählen. Man könnte auch sagen: Die Radikalen finden ihr Vorbild in J. D. Vance, die Gemäßigten in Trumps Ehefrau Melania. So verwässert die Abtreibungspolitik der Republikaner noch weiter. Vielleicht ist das die neue Wahlkampfstrategie: Offensive Uneindeutigkeit. Es könnte der einzige Weg für die Partei sein, sich bei diesem Achillesfersen-Thema zu schützen.