Poprock-Songs mit Melodien, die schnell ins Ohr gehen: Der Finne macht solo dort weiter, wo er mit seiner Erfolgsband aufgehört hat.
Eine Straße in Finnland, Schneegestöber, miese Sicht. Der Fahrer des Busses, der heranrauscht, muss die Augen in der Abenddämmerung zusammenkneifen, um den Mann an der Haltestelle zu sehen. Eine mysteriöse Gestalt, schwarzer Cowboyhut, schwarze Lederjacke, dunkle Jeans, dicke Stiefel, ein schwarzer Gitarrenkoffer.
Der Busfahrer tritt das Pedal durch und fährt einfach weiter, es ist ihm wohl nicht geheuer. „Dabei wollte ich doch nur zur Probe“, erzählt Samu Haber lachend diese Anekdote aus längst vergangenen Zeiten. „Unser Übungsraum lag 50 Kilometer von Helsinki entfernt, in einem Saunagebäude. Der Bus fuhr nur alle zwei Stunden, das war wirklich sehr mühsam damals.“ Absurdus, so nennt sich die erste Band des damals jugendlichen Haber. Black Metal ist ihr Sound, der Teufel das Maß aller Dinge. „Unser Sänger stand wirklich auf Satan. Es wurde Moonshine getrunken, selbst gebrannter Schnaps, und dazu extremster Metal gespielt.“
Der junge Haber steht aber eigentlich mehr auf Bon Jovi, auch wenn das in dieser Konstellation schwerlich anzubringen ist. Und auf Bruce Springsteen, den er zusammen mit seiner Mutter beim Konzert gesehen hat. Außerdem wurden zu Hause die Beatles gehört, die wesentlich höher im Kurs standen als die Rolling Stones. „Als ich auf dem Cover un-seres dritten Albums ‚Out of Style‘ ein Keith-Richards-T-Shirt trug, musste ich mir von meiner Mutter einiges anhören.“ Mama ist der Boss. Und steht auf den Boss.
„Ich weiß noch, wie wir als Kinder mit ihr zu ‚Dancing In The Dark‘ getanzt haben, und meine Mutter sang am lautesten mit“, erinnert sich Haber. Wir, das sind neben Mama und ihm noch Sanna, die Schwester, und Bruder Santtu. Die Eltern haben sich früh getrennt, die Mutter hat die drei allein aufgezogen. Sie bleibt auch angesichts der Karriereentscheidungen ihres Ältesten entspannt.
„Ich rief sie aus Spanien an und erzählte, dass ich vorhätte, einen Sexshop zu eröffnen. Sie nahm das völlig locker. Klar, mach das, du wirst wissen, was du tust.“ Die Rotlichtkarriere kommt nicht zustande, aber Habers Musikerlaufbahn nimmt nach der Rückkehr nach Finnland Anfang der 2000er Fahrt auf. Sunrise Avenue heißt damals seine neue Band, der Sound ein radiokompatibler Gitarrenrock-Mix, dem von Bon Jovi gar nicht unähnlich. Ihr Debütalbum „On The Way To Wonderland“ erreicht Platz zwei der finnischen Charts, auch in Deutschland ist die Gruppe bald erfolgreich und spielt ihren ersten Gig bei „Rock am Ring“. Es folgen Hits und vier Alben, ehe 2022 eine Abschiedstour das Bandende beschließt. Haber probiert es fortan solo, singt in seiner Landessprache, in kleinerem Rahmen als zuvor.
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Stilistisch nicht allzu weit entfernt von Sunrise Avenue
Ein Schlüsselerlebnis sollte er in Hamburg haben, jener Stadt, „die genauso riecht wie Helsinki“. Eigentlich ist hier, aus Berlin herkommend, nur ein Zwischenstopp auf der Heimreise geplant. Als Haber erfährt, dass mit den finnischen Cyan Kicks ausgerechnet die Supportband der Abschiedstour im „Knust“ spielt, ändert er seine Pläne. Vor der Bühne des legendären Liveclubs und mehr noch beim Backstagepils danach reift sein Entschluss. „Dieser Abend löste etwas in mir aus“, so Haber. „Ich wollte unbedingt wieder als Musiker an den Ort zurück. Der Club, die Fans, die ganze Atmosphäre, das haute mich echt um. Auf der Rückfahrt spielte ich meinem Kumpel im Auto ein paar Demosongs vor und rief am nächsten Tag beim Plattenlabel Universal an.“
Samu Haber: „Me Free My Way“
© Universal Music
Mit seinem neuen Album „Me Free My Way“ liegt nun das Ergebnis jenes Abends in Hamburg vor, stilistisch nicht allzu weit entfernt von Sunrise Avenue: Poprock ohne schwermetallische Restpartikel, Melodien, die schnell ins Ohr gehen. Ein Sound auf der kürzesten Entfernung zwischen „Rock am Ring“ und der „Giovanni Zarella Show“. Dass er jüngst in letztgenannter dem irritierten Schlagerpublikum von den Abzockerpreisen der „Autobahnscheißhäuser“ erzählt hat, passt zu Haber.
Ja, seine Songs mögen zuweilen glatt daherkommen, aber als Typ ist Haber eine Unmittelbarkeit zu eigen, die seine Zuschauer gerade dann einnimmt, wenn es verbal deftiger wird. Von 2013 an trägt er für „The Voice of Germany“ als Juror das Herz auf der Zunge. Zweimal konnte er die Show bereits gewinnen, zuletzt 2020 im Teamwork mit Rea Garvey, als die Schweizer Sängerin Paula Dalla Corte den Sieg einfuhr. Damit war die Geschichte vom TV-Juror Haber eigentlich auserzählt – aber irgendwie passte es dann doch zu gut: das Soloalbum und dazu der Weg zurück auf den Drehstuhl bei ProSieben. „Meine Rückkehr zu ‚The Voice of Germany‘ ist einerseits total surreal, gleichzeitig die normalste Sache der Welt.“ Vielleicht ist genau das sein Erfolgsgeheimnis, die nimmermüde Kombination aus Bodenständigkeit und Wertschätzung. Mit Leidenschaft bei der Sache, mit den Füßen fest auf der Erde. Dafür sorgen auch die Kumpel zu Hause. „Ich mache Taekwondo und Jiu-Jitsu. Wenn die Tour zu Ende ist und ich wieder zum Training erscheine, heißt es: Ach, guck mal, da kommt der dicke Gitarrist.“
Ob wohl die Jungs von Absurdus, seiner ersten Band, neidisch auf die Karriere ihres ehemaligen Gitarristen blicken? Eher nicht. Sie setzten Haber damals vor die Tür. Der grinst: „Ich war ihnen wohl zu poppig.“