Eine Abteilungsleiterin klagt auf Equal Pay: den gleichen Lohn wie ihre Kollegen. Das ist ein gutes Zeichen – aber es darf nicht weiter am Mut einzelner Frauen liegen.
Es ist ein Termin, den viele gespannt erwartet hatten: Eine Abteilungsleiterin der Daimler Truck AG hat auf gleiche Bezahlung geklagt, nun findet der Berufungsprozess vor dem Landesarbeitsgericht Stuttgart statt. Es geht um Equal Pay, den Rechtsanspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Und es geht um viel Geld: Schon im vergangenen Jahr hatte die erste Instanz der Klägerin einen fünfstelligen Betrag für entgangenen Lohn der vergangenen Jahre zugesprochen. Sie verdient weniger als ihre männlichen Kollegen, seitdem sie aus der Elternzeit zurück ist. Im Berufungsprozess hat sie nun nur zum Teil recht bekommen.
Die Abteilungsleiterin ist nicht die einzige Frau, die sich in den letzten Jahren getraut hat zu klagen. Ich weiß das, denn auch ich habe es gewagt und habe Kontakt zu vielen anderen Frauen. In anderen Ländern wie in den USA oder in Großbritannien fordern Mitarbeiterinnen seit Jahrzehnten selbstbewusst entgangenen Lohn ein. Doch anders als dort hat der Gesetzgeber hierzulande nicht klar geregelt, welches Prozedere vor Gericht gilt, um das Recht auf gleiche Bezahlung auch in der Wirklichkeit durchzusetzen: Wer trägt die Beweislast? Mit welchen Ausreden kommt ein Arbeitgeber davon?
So existierte das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit nur auf dem Papier. Erstaunlich, denn die EU verpflichtet die Mitgliedsstaaten dazu seit 1957. Und der Europäische Gerichtshof fällte etliche Grundsatz-Urteile, die das Vorgehen zu Gunsten von Frauen regelt. Doch all das setzte die Bundesrepublik nicht um.
„Willkommen im Mittelalter“
Wer sich trotzdem vor Gericht wagte, mussten sich mit absurden Richtern und bizarren Urteilen herumschlagen. Bei meinem eigenen Prozess lief es so: Frauen würden schlechter verdienen, weil sie schwanger würden, mutmaßte mein Richter in der ersten Instanz. „Willkommen im Mittelalter!“ hatte eine Freundin im Publikum protestiert und war damit nur knapp einem Ordnungsgeld entgangen. „Ruhe auf den billigen Plätzen“ hatte der Mann, den der Staat bestellte, um über mein Grundrecht zu richten, die Frauen auf den Holzbänken angeherrscht: „So einfach, meine Damen, ist das nicht, auch wenn sie noch so laut stöhnen!“
Das war 2016.
Heute läuft es etwas besser. Zwar ist der Weg vor Gericht noch immer mühsam: Wer verklagt schon gerne seinen Arbeitgeber? Aber immerhin denken die Wirtschafts-Kanzleien um. Sie warnen ihre Klienten, dringend ihre Lohnstrukturen zu überprüfen und gegebenenfalls diskret anzupassen. Das Risiko eines Image-Schadens sei hoch.
„Auch Managerinnen dürfen nicht nach Gutdünken verdienen“
Die gemeinnützigen Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt viele Frauen, die klagen wollen – auch die Abteilungsleiterin in Stuttgart. „Auch Managerinnen dürfen nicht nach Gutdünken verdienen. Bei Daimler aber gibt es keine objektiven Kriterien für die unterschiedlichen Gehälter“, sagt Sarah Lincoln von der GFF. Daimler Truck verweist auf Nachfrage darauf, dass sich die individuelle Bezahlung im Unternehmen nach objektiven Kriterien, wie zum Beispiel der jeweiligen Ebene und der Aufgabenschwierigkeit richtet. Dass sie weniger verdienen, haben die Mitarbeiterinnen auch aus einem internen Transparenz-Dashboard erfahren, das Beschäftige darüber informiert, was vergleichbare Kollegen des anderen Geschlechts im Mittel verdienen.
Lincoln berichtet, dass die Anfragen zum Thema Equal Pay steigen. Immer mehr Frauen wollen sich offenbar wehren. Nicht nur bei Daimler läuft der Prozess, auch eine Apple-Managerin hat zuletzt geklagt.
Wie kommt das?
Das Entgelttransparenzgesetz, mit dem die damalige Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) 2017 zu punkten versuchte, scheiterte erst einmal im Praxistest. Dann aber legte das Bundesarbeitsgericht nach.
Bundesarbeitsgericht urteilt für Equal Pay
2020 fiel das erste Präzedenzurteil: Ja, natürlich, sagte das Gericht in Erfurt sinngemäß: Europäisches Recht gilt auch in Deutschland. Das Entgelttransparenzgesetz sei über den Wortlaut hinaus auszulegen, im Sinne der progressiven europäischen Prinzipien. Die Klägerin damals war ich, das Urteil ein erster Erfolg nach damals fünfjährigem Verfahren.
2021 schaffte Gabriele Gamroth-Günther die nächste Sensation in Erfurt: Nicht mehr Frauen müssen seitdem beweisen, dass sie aufgrund ihres Geschlechts weniger verdienen. Sondern Arbeitgeber müssen gute Gründe anführen können, wenn sie vergleichbare Jobs unterschiedlich entlohnen. Die Beweislastumkehr ist umgekehrt.
Den nächsten Erfolg schaffte Susanne Dumas 2023. Vorgesetzte können seitdem nicht mehr argumentieren, dass ein besserverdienender Mann halt besser verhandelt habe. Die dümmste Ausrede für Lohndrückerei von Frauen war gefallen.
Grundsatz-Urteile für alle Frauen
Jede einzelne Frau, die es bis vor die oberen Instanzen schafft, schafft Rechtssicherheit für alle anderen. Beim Daimler-Verfahren geht es nicht nur um Gerechtigkeit und Kontostand der Klägerin. Sondern auch um die Frage, ob eine Frau nur auf den sogenannten Median klagen kann, also das mittlere Gehalt von vergleichbaren männlichen Kollegen – oder auf ein konkretes Gehalt eines konkreten Kollegen. Nach europäischem Recht ist das möglich. In der Praxis kann das viel Geld ausmachen.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin nur zum Teil recht gegeben. Von den eingeklagten rund 420.000 Euro bekommt sie 130.000. Grundsätzlich stehe ihr nur die Differenz zum Mediengehalt zu, nicht die zu einem konkreten Kollegen.
Equal Pay_Interview Siemonsen13.08
Das Entgelttransparenzgesetz verpflichtet größere Unternehmen, den sogenannten Median mitzuteilen, also das mittlere Gehalt von mindestens sechs vergleichbaren Kollegen des anderen Geschlechts. Bei diesem Median aber können Arbeitgeber schummeln, indem sie sich die Vergleichsgruppe passend sortieren. „Wir streiten hier um die wichtige Klarstellung, dass Frauen sich beim Gehalt nicht mit Mittelmaß zufriedengeben müssen“, sagt Sarah Lincoln von der GFF.
Deutsche Politik lässt Frauen im Stich
Die Bundesregierung könnte all das, was einzelne Klägerinnen mühsam in den Instanzen klären, mit einem Federstrich regeln. Sie tut es aber nicht. Andere Länder nehmen längst die Arbeitgeber in die Pflicht anstelle der Frauen.
Jüngst hat die EU eine Art Equal Pay-Turbo gezündet. Die sogenannte Lohntransparenzrichtlinie hat es in sich: Firmen müssen Auskünfte über Einstiegs- und Durchschnittsgehälter erteilen. Statt einzelnen Frauen sollen Verbände klagen können. Für Unternehmen, die dann immer noch diskriminieren, sind abschreckende Sanktionen vorgesehen. Bis Juni 2026 muss Deutschland die Richtlinie umsetzen. Also müsste die Regierung jetzt damit beginnen, sonst wird das wohl nichts mehr wegen des verkürzten Wahljahres.
„Wird die Ampel ein solches Gesetz noch einbringen, und wenn ja, wann?“ möchte ich vom Bundesfrauenministerium wissen, kurz BMFSFJ. Deren Chefin, Ministerin Lisa Paus von den Grünen, hatte das Entgelttransparenzgesetz 2022 einen „zahnlosen Tiger“ genannt. Dringender Handlungsbedarf also, sollte man denken, zumal auch der Koalitionsvertrag Verbesserungen in puncto Equal Pay verspricht, auf die Frauen bis heute vergeblich warten.
Doch die Antwort des Ministeriums bleibt vage: „Das BMFSFJ strebt eine Umsetzung der Richtlinie an, die wirksam für die Beschäftigten ist sowie bürokratiearm und praxistauglich für die Unternehmen.“ Eine Antwort auf die Frage, wann das passieren soll, bleibt die Sprecherin schuldig.
So wird es womöglich weiterhin an einzelnen Frauen hängen, unterstützt von einer gemeinnützigen Organisation, damit europäische Grundrechte auch für Frauen in Deutschland gelten. Bis 2026, dann droht ein EU-Vertragsverletzungsverfahren.