Etwas Möbliertes über dem Supermarkt, Wohnen für Altenhilfe oder in eine Notunterkunft? Vor Studienbeginn geht die Wohnungssuche los. Nicht alle finden eine Bleibe. Mal wieder. Warum eigentlich?
Kurz vor Beginn des Wintersemesters fehlt es an bezahlbarem Wohnraum für Studierende im Südwesten. Die Wartelisten für ein Wohnheimzimmer sind lang, an den großen Hochschulstandorten ist die Lage angespannt, ergab eine dpa-Umfrage. Landesweit gibt es nach Angaben des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums 46.661 Wohnheimplätze für Studierende. Doch die reichen nicht aus. Erwartet werden über 60.000 Studienanfänger.
Bestehende Engpässe werden verstärkt
„Das Problem ist: Wir haben einfach zu wenig bezahlbaren Wohnraum“, sagt Clemens Metz, Geschäftsführer des Studierendenwerks Freiburg und Sprecher der Studierendenwerke in Baden-Württemberg. Vor allem in Uni-Städten müsse etwas passieren, die Politik sei gefordert.
Weil zu Beginn des Wintersemesters viele gleichzeitig eine Bleibe suchen, werden bestehende Engpässe auf dem Wohnungsmarkt verstärkt. Wohnheimplätze können diese Problematik mildern, aber nicht lösen, heißt es aus dem Wissenschaftsministerium.
Lange Wartelisten
In Karlsruhe stehen über 40.000 Studierenden 4.400 öffentlich geförderte Wohnraumplätze gegenüber, daneben bieten private Anbieter Wohnraumanbieter an. Bis zu sechs Prozent des Bedarfs kann das Studierendenwerk mit 18 Wohnheimen decken. Rund 800 Wohnheimplätze fehlen. „Die Wartelisten für ein Wohnheimzimmer sind lang, daher braucht es mehr studentische Wohnanlagen“, heißt es dort.
In Mannheim sucht man für 24.000 Studierende dringend bezahlbaren Wohnraum. 3.000 „Bettplätze“ hat das dortige Werk. Über 660 Bewerber stehen auf der Warteliste für Oktober. In Heidelberg (4.342 Unterkünfte) sind fast 2.500 auf der Warteliste. Nicht ausreichend sind auch die 5.650 Wohnplätze in Freiburg. Private Vermieter sind aufgerufen, Zimmer zu vermieten.
Das Studierendenwerk Stuttgart, das 58.000 junge Menschen an 15 Hochschulen betreut, bietet 5.800 Wohnplätze in Stuttgart, Ludwigsburg, Esslingen und Göppingen. Beim Campus Stuttgart und in Stuttgart-Vaihingen stehen rund 900 Leute auf der Warteliste, in Ludwigsburg und Esslingen 30 beziehungsweise 20. In Göppingen, dem Außenstandort der Hochschule Esslingen, waren Ende September noch ein paar Wohnplätze frei.
Not macht erfinderisch
Überall gibt es Aufrufe an Privatleute, Zimmer zu vermieten. Mancherorts stehen sogar schon Notunterkünfte bereit. Und es gibt findige Lösungen: So baut der Discounter Aldi Süd in Tübingen auf eine neue Filiale weitere Studentenwohnungen. In Karlsruhe, Freiburg und Konstanz gibt es Modelle von Mehrgenerationenwohnen wie „Wohnen für Hilfe“. Mit 30 Wohnpartnerschaften spricht man in Karlsruhe von einem „sozialen Win-Win-Projekt“. In Freiburg werden jährlich bis zu 60 derartige Partnerschaften vermittelt. In Mannheim und Heidelberg wurden solche Vorhaben jedoch nicht gut angenommen.
„Wohnen für Hilfe ist ein klasse Projekt, welches ältere Menschen und Studierende zusammenbringt und ihnen wichtige, auch interkulturelle, Erfahrungen bringt“, sagt Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks (DSW). Es löse allerdings nicht das eklatante Strukturproblem von viel zu wenig bezahlbarem Wohnraum. Auch präferierten die meisten vermutlich ein eigenes Zimmer, eine WG oder ein Appartement, um sich auf ihr Studium konzentrieren zu können.
Was nötig wäre
Studierendenwerke-Sprecher Metz hofft auf die Wirkung des Programms „Junges Wohnen“; dabei gibt der Bund den Ländern Fördergelder. „Das muss man verstetigen.“ Auch das Studierendenwerk Stuttgart pocht auf eine zuverlässige Förderung für Neubau und Sanierungen sowie auf die Bewilligung zinsloser Darlehen für Wohnbauprojekte der Studierendenwerke. Ausreichend bezahlbare Wohnplätze trügen maßgeblich zur Attraktivität einer Hochschulregion bei.
Baden-Württemberg ist nicht untätig. Das Land hat im vergangenen Jahr 464 Wohnheimplätze geschaffen, weitere 1.000 Plätze sind im Bau oder in Planung. Das Ministerium betont das vergleichsweise gute Verhältnis von Wohnheimplätzen zur Studentenzahl: Mit 14,62 Prozent Unterbringungsquote liege man deutlich über dem Bundesdurchschnitt (9,61 Prozent). Die Universitätsstädte Freiburg, Heidelberg und Konstanz weisen demnach sogar Quoten von rund 20 Prozent auf.
Studierendenwerk-Sprecher Metz begrüßt die Anstrengungen, hält die Quote aber für ausbaufähig. Denn, so sagt er: „Ein Drittel der Studierenden hat zu wenig Geld.“
Wie viele Studentenzimmer- oder Wohnungen landesweit fehlen, ist unklar. Das Ministerium weist darauf hin, dass Wartelisten nicht unbedingt den tatsächlichen Bedarf widerspiegeln: Zahlreiche Interessenten würden sich an unterschiedlichen Orten auf Wohnheimplätze bewerben. „Dieses Verhalten führt zu langen Wartelisten, die die Nachfrage verfälschen.“
Neue Art sozialer Auslese?
Angesichts durchschnittlicher Kosten für ein WG-Zimmer an deutschen Hochschulstandorten von 489 Euro im Monat pendeln manche lieber. Nach einer Sozialerhebung wohnten 24,3 Prozent der Studierenden im Jahr 2021 noch bei den Eltern. Das Deutsche Studierendenwerk befürchtet angesichts steigender Mieten eine neue Form der sozialen Auslese: „Ich kann nur noch dort studieren, wo ich mir die Miete noch leisten kann.“ Das wäre eine bildungs- und sozialpolitische Bankrotterklärung, so Anbuhl.
Das Ministerium sieht dagegen keine „expliziten Hinweise“ auf eine vermehrte Hochschulwahl am Heimatort. Die Statistik zeige im Gegenteil, dass teure Studienstädte wie Heidelberg und Tübingen weiter stärker nachgefragt seien als Hochschulstandorte in weniger studentisch geprägten Regionen. Relevant für die Wahl des Orts seien vor allem das Studienangebot sowie der Ruf von Hochschule und Stadt.