Das Ezra Collective aus London will mit Straßenlärm und Jazz die Freude in unser Leben zurückbringen. Ihr Album „Dance, No One’s Watching“ lädt auf die Tanzfläche ein.
Tanzen ist in Verruf geraten in unserer Zeit. Schuld hat die AfD, die massenhaft Tiktok-Filmchen manipulieren lässt, in denen junge Menschen hüpfen und hopsen zu Autoscooter-Beats und deutschnationalen Slogans. Tanzen, lange Zeit ein Akt der Befreiung, wirkt nun wie die Bewegungsform dumpfer Primaten.
Zeit, dass die Freude wiederkehrt.
Seit dem Sommer kündigt sich eine Rückholaktion an, sachte klopft sie an: eine lose Folge von Klavierklecksen, fast impressionistisch gesetzt, eine Frauenstimme singt, dass sie nicht wisse, wie sich die Vögel weit oben in der Luft fühlten, dass es Leute gebe, die nach dem Wahrhaftigen suchten; und woraus das Wahre und Gute bestehen könnte, wird bald klar: „Gimme bassline“, singt die Frau, ihr Name ist Yazmin Lacey, und mit ihr setzt der Bass ein. Das ist der Moment, da man das Lied laut drehen will, Fenster auf, die Straße soll es auch hören. „God Gave Me Feet For Dancing“, frei: Die Füße sind zum Tanzen da, heißt dieses Lied, und es könnte der Soundtrack zu einer besseren Zeit werden.
Der Absender ist die Band Ezra Collective, fünf Musiker aus London, die seit 2012 zusammenspielen: die Brüder Femi und TJ Koleoso (Schlagzeug bzw. Bass), Ife Ogunjobi (Trompete), James Mollison (Saxofon) sowie Joe Armon-Jones (Keyboards), immer offen für Gäste. Femi Koleoso sagt passenderweise: „Es ist ein Statement der Freiheit: Du kannst beim Tanz sein, wer du willst, egal, was die Leute sagen. Lass dir nicht deine Freude wegnehmen.“
Ezra Collective lässt sich von London inspirieren
Lange Jahre hing dem Jazz das Image der Pfeifenraucher-Musik an, sehr oldschool, abgekoppelt von allen Hitzezentren der Popwelt, gemacht für Menschen, die ihre Stereoanlage in Hi-Fi-Fachgeschäften kaufen. Wer aber ein wenig die vergangenen Jazz-Jahre mitverfolgt hat, weiß, dass in London eine Art Jungbrunnen stehen muss: so viele Frischgesichter, Männer und Frauen, die dafür sorgten, dass der Groove zurückkam.
Und weil London die Stadt der Nacht ist, weil hier schon immer der neue Sound in den Clubs geschaffen wurde, geschah es, dass der Jazz die Leute zum Tanzen brachte. Mit den üblichen London-Mitteln: mit Reggae, mit karibischen Klängen, mit Afro-Rhythmen, mit straßenschmutzigen Raps, mit Looks wie vom Portobello Road Market. Femi Koleoso sagt dazu: „Das London-typischste Ding ist es, alle Regeln zu brechen. Das macht unser neues Album zu einer Heimat-Platte. Hieraus ziehen wir unser brutales Selbstbewusstsein: Wir sind Londoner.“
Ezra Collective: „Dance, No One’s Watching“
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Heimat London, auch davon zeichnen die Musiker ein gutes Bild. Dem „Evening Standard“ gegenüber formulierte Femi Koleoso einmal: „Ich würde den Lärm der Stadt wieder aufdrehen. Ich würde jede Ruhestörung, die bei der Polizei gemeldet wird, ignorieren, besonders wenn der Club schon da war, bevor du in die Gegend gezogen bist.“ Lustigerweise würde Femi auch gern die Verkehrsberuhigung in seinem Stadtteil Islington rückgängig machen: „Verschrottet die 20-mph-Regelung!“ Zu einer Stadt gehört wohl Verkehrslärm. Vielleicht können sich auch FDP-Politiker für Jazz aus London erwärmen.
Das Album „Dance, No One’s Watching“ ist wie gemacht für Menschen, die sich jetzt auch mal für den Jazz begeistern wollen: Butter-Keyboards zu Bläsersätzen, die den Ohren schmeicheln, eher Pop für viele als eine Egonummer von begnadeten Musikern für ein paar Auserwählte. Wer sich erinnert: So lässig klang London schon mal, in den Neunzigern, als das Label „Talkin’ Loud“ der Welt junge Jazz- undRap-Künstler wie Galliano und MC Solaar vorstellte. Ezra Collective machen Jazz zum Mitpfeifen („Hear Me Cry“), zum Cuba-Libre-Trinken („Shaking Body“), zum Cruisen durch die Nachbarschaft („Streets Is Calling“). Wer jetzt selbst tanzen will: Die Band kommt im Oktober nach Hamburg, Berlin und Köln. Noch so ein Wort aus den Neunzigern: Pflichttermin.