Mehr Diversität: Neuer KIT-Präsident will Potenziale heben

Das KIT ist in seiner Konstruktion aus Uni und Großforschung deutschlandweit einmalig. Doch der neue Präsident sieht Entwicklungsbedarf. Dabei hat er nicht nur Frauen und Ausländer im Blick.

Der neue Präsident Jan Hesthaven will das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) internationaler ausrichten und „noch nicht voll ausgeschöpfte Potenziale“ heben. „Die Einrichtung ist als Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft wirklich einzigartig“, sagte der 58-Jährige der Deutschen Presse-Agentur anlässlich seines Amtsantritts am 1. Oktober. Diese Mischung aus einer eher traditionellen Universität und Großforschung hätten weltweit nur wenige Einrichtungen wie das MIT, Berkeley und Johns Hopkins. „Und die sind in der Regel sehr, sehr erfolgreich.“

Durch die Anknüpfung an die Großforschung könne man demonstrieren, dass Ideen, Technologien und neue Entwicklungen nicht nur im Labor funktionieren, sondern auch im größeren Maßstab. „Wenn man das noch konsequenter zum Laufen bringen kann, ist das eine enorme Chance“, sagte Hesthaven. „Das ist etwas, das andere Universitäten nicht haben.“ 

Das sei ein sehr großer Wandel, der Zeit brauche. „Ich hoffe, dass wir während meiner ersten Amtszeit, also in sechs Jahren, eine sehr wesentliche Veränderung in dieser Richtung sehen werden.“

Forschungsgeld zum Wohle der Gesellschaft ausgeben

Ein Kernaspekt sei dabei die Internationalisierung. Nur große Länder wie die USA und China könnten es sich erlauben, nur nach innen zu schauen, auf die eigenen Talente. Deutschland sei im internationalen Vergleich ein kleines Land, machte Hesthaven deutlich, der aus Dänemark stammt, in den USA und zuletzt in der Schweiz tätig war. „Deshalb ist die Zusammenarbeit so wichtig“, sagte er. „Forschung und Lehre leben von der Diversität – deshalb brauchen wir talentierte Menschen aus Deutschland und der ganzen Welt, die neue Ideen voranbringen.“

Die deutsche Wissenschaft, die deutschen Universitäten hätten mit dem Übergang begonnen, mehr nach außen und weniger nach innen zu schauen. „Aber wir sind noch nicht ganz so weit.“ Das zeige sich am KIT etwa am Anteil der Studierenden (21 Prozent) und Professuren (13 Prozent) ohne deutschen Hintergrund. „Hier müssen wir noch besser werden.“

Auch die Exzellenz-Strategie des Bundes und der Länder gelte es daher regelmäßig zu überprüfen. Sie könne ein gutes Instrument sein, sagte Hesthaven. Es gehe dabei auch um die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Einrichtungen und darum, wissenschaftliche Exzellenz zu belohnen. Aber sie sei überwiegend auf die nationale Ebene ausgerichtet.

Forschung dürfe nicht in eine Richtung gelenkt werden, die der Gesellschaft vielleicht nicht am meisten nützt. „Wir sollten aber nie vergessen, wer die Rechnungen bezahlt, nämlich die Steuerzahler.“ Deshalb sei es Aufgabe der Hochschulen, das Geld so gut wie möglich zum Wohle der Gesellschaft auszugeben. „Wir sollten die Unterstützung der Gesellschaft, der Steuerzahler, niemals als selbstverständlich ansehen“, mahnte Hesthaven.

Teamarbeit statt Einzelkämpfer

Ferner will sich der Präsident dafür einsetzen, dass mehr Frauen am KIT studieren und arbeiten. Das Problem sei kein KIT-spezifisches und es gebe keine einfachen Lösungen. An seiner bisherigen Arbeitsstätte in Lausanne hätten sie keine Quoten eingeführt, aber Richtlinien für Einstellungen aufgestellt als Anstoß von oben. „Es reicht nicht zu sagen, Frauen können sich ja bewerben.“

Ein zweiter Punkt sei eine Veränderung der Arbeitsweisen. Eine ganze Reihe von Studien zeige, dass Frauen eher als Männer lieber in Teams arbeiten. „Sie ziehen es vor, zusammenzuarbeiten, Probleme gemeinsam zu lösen. Wir müssen Wege finden, wie wir das belohnen können. Bislang fördern wir keine Teams, wir fördern Individuen“, monierte Hesthaven. „Ich glaube, viele Frauen finden das einfach nicht sehr ansprechend.“

Ein wichtiges Anliegen sei ihm darüber hinaus sozioökonomische Vielfalt. „Das findet meiner Meinung nach in Europa zu wenig Beachtung“, sagte Hesthaven. Er selbst stamme aus einem nicht-akademischen Umfeld mit einer alleinerziehenden Mutter. „Es besteht ein echtes Risiko, einen Teil der Gesellschaft zu verlieren, der eigentlich sehr gut ausgestattet und sehr talentiert ist, aber nicht weiß, wie er sich an Universitäten zurechtfinden soll, und deshalb einen anderen Weg wählt.“

Meinungsfreiheit im Dialog

Mit Blick auf die pro-palästinensischen Demonstrationen an manchen Hochschulen infolge des Konflikts im Nahen Osten sagte Hesthaven: „Wenn es um eine globale Krise wie diese geht, dann ist es als Präsident nicht meine Aufgabe, mich inhaltlich dazu zu äußern, sondern dafür zu sorgen, dass das KIT eine Einrichtung ist, in der es einen sicheren Raum für Dialog und Toleranz gibt.“ Wenn das gewährleistet ist, sollten Studierende und Personal so aktiv sein dürfen, wie sie es sein wollen.

„Damit habe ich kein Problem“, sagte Hesthaven. „Ich habe ein Problem mit der mangelnden Bereitschaft zum Dialog, mit der mangelnden Bereitschaft, sich mit der gegnerischen Meinung auseinanderzusetzen. Das ist nicht das, was akademische Freiheit bedeutet: einen Ort zu schaffen, an dem man diskutieren kann, an dem man einen Dialog führen kann.“

Wenn die Aktionen aber die Institution und ihren Betrieb stören wie bei Besetzungen von Gebäuden, sei das etwas anderes. „Das halte ich nicht für angemessen.“