Völlig überraschend schmeißen die Grünen-Chefs Omid Nouripour und Ricarda Lang hin. Die Entscheidung hat eine Wucht, die auch die Koalitionspartner SPD und FDP erfassen wird.
Gibt’s die Grünen eigentlich noch? Genau das hatte man sich zuletzt gefragt, so sehr war die Partei abgetaucht. Seit diesem Mittwoch ist klar: Da lebt noch was, es geht ein Ruck durch die Partei, und was für einer. Wenn die alten Regeln in der Politik noch irgendetwas zählen, woran man in diesen Zeiten ja seine Zweifel haben kann, dann wird dieser Ruck nicht auf die Grünen beschränkt bleiben, sondern schon bald die gesamte Koalition erfassen. Aber der Reihe nach.
Omid Nouripour und Ricarda Lang treten nach nicht einmal drei Jahren völlig überraschend vom Parteivorsitz zurück und senden damit zwei Signale. Eines nach innen, eines nach außen. Die Grünen, so ihre Diagnose nach innen, seien in ihrer größten Krise seit einer Dekade. Es brauche einen „Neustart“, sagen sie, eine ganz andere Aufstellung, ansonsten nehme die Partei weiteren Schaden.
Angesichts der Lage ist das natürlich erst einmal eine absolut richtige Feststellung, auch wenn man fragen kann, ob es mit Nouripour und Lang eigentlich die richtigen trifft – und ob ein Wechsel an der Spitze überhaupt das ist, was die Partei braucht. Die Grünen haben weniger ein Personalproblem als ein Strategieproblem. Völlig verunsichert von der Debatte ums Heizungsgesetz und den ständigen Anfeindungen der Konkurrenz, hatten sie sich zuletzt dazu entschlossen, gleich gar nicht mehr für ihre Überzeugungen einzutreten. Ob in der Asylpolitik oder im Haushaltsstreit, die Grünen wirkten fast wie eine verschwundene Partei.
Die Grünen können jetzt Glaubwürdigkeit zurückerlangen
Die Grünen werden gewählt, weil sie für Veränderung stehen, nicht, weil sie sich besonders gut anpassen können. Solange sie das nicht wiederentdecken, werden sie es schwer haben. Wer braucht in diesen Zeiten eine weitere linke Partei, die nur noch das ausspricht, was möglichst ungefährlich ist? Es gibt ja schon die SPD. Die mit dieser Strategie gerade auch nicht sonderlich erfolgreich ist.
Der Personalwechsel kann trotzdem helfen. Weil er überraschend kommt. Weil er mit dem Bild bricht, Politiker klebten nur an ihrem Stuhl. Das muss nicht gleich morgen in ein großartiges Umfragehoch münden, kann der Partei aber mit der Zeit wieder jene Glaubwürdigkeit verschaffen, die ihr zuletzt verloren gegangen war. Womit wir beim Signal nach außen wären.
Es mag wahnwitzig wirken, so kurz vor der nächsten Bundestagswahl den eigenen Laden umzukrempeln. Aber ausgerechnet die Grünen stehen plötzlich als einzige Partei der Koalition da, die ehrlich zu sich selbst ist. Die ausstrahlt: Wir haben verstanden. Die sich eingesteht, dass man so nicht weitermachen kann, weder in der Partei noch in der Regierung. Anders formuliert: Mit dem heutigen Tage wirken nicht die Grünen, sondern SPD und FDP wie die Parteien, die sich der Realität verweigern. Noch.
Politische Energie entfacht, wer Mut zum Risiko hat
Die Neuaufstellung bei den Grünen, verbunden mit deren Warnung, dass sich das Parteiensystem gerade dramatisch verändere, entfaltet eine politische Wucht, die auch die Koalitionspartner erwischen wird, man muss kein Prophet sein, um das vorherzusagen.
Sozialdemokraten und Liberale stecken voller Selbstzweifel. Die SPD hadert mit ihrem Kanzler und fühlt sich finanzpolitisch geknebelt. Die FDP will immer offener raus aus der Regierung, findet nur bislang das Loch nicht. Über allem schwebt eine Umfrage von vor einigen Tagen: Null Prozent der Deutschen wollen eine Fortsetzung der Ampel. Nimmt man diese Befunde zum Rücktritt der Grünen-Spitze hinzu, landet man fast unweigerlich bei der Prognose: Hier kommt gerade derart viel ins Rutschen, dass man schon großen Optimismus braucht, um anzunehmen, dass die Ampel das Ende der Legislaturperiode noch erreicht.Kommentar Grüne15.30
Wobei Optimismus hier eigentlich das falsche Wort ist. Es wäre ja gut, wenn diese Koalition endlich ein Ende fände und nicht noch zwölf Monate vor sich hin vegetierte. Noch hoffen Sozialdemokraten und Liberale, dass sich das Bild der Regierung verbessert, sobald man mal geräuschloser regiert. Politische Energie entsteht aber nicht dadurch, dass man unauffällig Gesetze hin und her schiebt. Politische Energie entsteht, wenn man in einer Notsituation den Mut hat, ins Risiko zu gehen.
Die Grünen haben gezeigt, wie es geht. SPD und FDP sollten folgen und dem Ampel-Spuk ein Ende bereiten.