Die „Brigitte“ hat in einer Studie Frauen zu gesellschaftspolitischen Themen befragt. Vor allem ein Punkt ist bei allen präsent: Der mangelnde Schutz vor sexuellen Übergriffen.
Beim Kampf gegen sexualisierte Gewalt gibt es noch jede Menge zu tun und auch die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen ist noch längst nicht geschlossen. Zu diesen Ergebnissen kommt die neue „Brigitte“-Studie mit dem Titel „Generation Wir“. Seit den Siebzigern gibt die Frauenzeitschrift regelmäßig repräsentative Studien zu verschiedenen Themen in Auftrag.
In diesem Jahr hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Zeitraum vom 14. bis 27. März 2024 eine Online-Befragung durchgeführt. Dafür füllten 2006 deutschsprachige Personen zwischen 18 und 75 Jahren einen Fragebogen aus. Wissenschaftlich begleitet wurde die Studie von Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky, Soziologin und Geschlechterforscherin an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Den Initiatorinnen und Initiatoren der Studie ging es primär um die Fragen, wie die verschiedenen Frauengenerationen zueinander stehen und was sie über gewisse gesellschaftspolitische Themen denken. Hier einige der zentralen Ergebnisse.
„Brigitte“-Studie „Generation Wir“: Der Mythos der zickigen Frauen
Die Studie räumt zunächst mit dem weitläufig verbreiteten Mythos auf, dass Frauen sich im beruflichen Umfeld bekämpfen statt untereinander bestärken. Nur 6 Prozent der Befragten gaben an, dass sie in Konkurrenz zueinander stehen. 63 Prozent stimmten der Aussage zu, dass sie sich gegenseitig unterstützen. Ein wenig differenzierter ist das Bild unter Müttern. Auch dort gibt es oft die Annahme, Frauen würden sich kritisch beäugen oder gar feindselig begegnen, Soziologen sprechen vom „Mütterterror“. Die „Brigitte“-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich 41 Prozent der Mütter wohlwollend begegnen. Nur 3 Prozent notierten, häufig von anderen Müttern kritisiert zu werden.FrauentagStutenbissigkeit6:07
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man jüngere und ältere Frauen miteinander vergleicht. Oft ist von Konflikten oder gar Feindschaften zwischen der Generation Z, also Menschen zwischen 18 und 29 Jahren, und den Boomern, Menschen, die zwischen 1957 bis 1968 geboren sind, die Rede. Die Studie zeigt aber, dass die jüngeren Frauen durchaus mit Anerkennung und Wertschätzung auf die Leistungen der Älteren blicken. So sagten 79 Prozent der Befragten, ältere Frauen seien hilfsbereit, 77 Prozent stimmten der Aussage zu, dass sie sich gegenseitig unterstützen würden. Beim Blick der Älteren auf die jüngere Generation stechen vor allem zwei – durchaus kritische – Aussagen heraus: „Sie verbringen viel Zeit mit sozialen Medien“ (88 Prozent) und „Anerkennung durch andere ist ihnen wichtig“ (82 Prozent). Von einer Spaltung will Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky dennoch nicht sprechen, vielmehr gebe es einige Missverständnisse und Vorurteile zwischen den verschiedenen Generationen. Diese gelte es durch offene Gespräche auszuräumen.
Mangelnder Schutz vor (sexualisierter) Gewalt
Gesprächs- und vor allem Handlungsbedarf gibt es auch bei folgendem Aspekt. Auf die Frage: „Wie hat sich die Situation von Frauen in Deutschland seit den Neunzigerjahren entwickelt?“ sticht vor allem ein Punkt heraus: „Schutz vor (sexualisierter) Gewalt“. 24 Prozent der befragten Frauen gaben an, selbst schon einmal häusliche Gewalt erlebt zu haben. 63 Prozent machten Erfahrungen mit sexueller Belästigung. Dass dieses Thema bei so vielen Befragten präsent sei, habe sie erstaunt, sagt die Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky. Gleichzeitig sehe sie es aber auch als positives Zeichen dafür, dass die Problematik erkannt und nicht verharmlost werde. Jetzt gehe es darum, Veränderungen zu bewirken – auf rechtlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene.
Auch im Bereich „Gehälter/Bezahlung“ muss sich nach Ansicht der Studienteilnehmerinnen deutlich mehr tun. 67 Prozent gaben an, in Sachen Entlohnung habe sich schon einiges verbessert, ein Drittel sieht die Situation allerdings unverändert. Tatsächlich liegt der unbereinigte Gender Pay Gap in Deutschland seit mehreren Jahren bei 18 Prozent. Das heißt, Frauen verdienen im Schnitt 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer – unabhängig davon, was und wie lange sie schon arbeiten. Im EU-Vergleich rangiert Deutschland damit auf den hintersten Plätzen.Equal Pay_Interview Siemonsen13.08
Die Lohnlücke hat auch Auswirkungen auf die zu erwartende Rente. 37 Prozent der befragten Frauen gaben an, dass sie eine Rente um die 1000 Euro erwarten. 23 Prozent gehen sogar von einer Rente unter 1000 Euro aus. Dabei ist ein Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland zu verzeichnen: Frauen in den alten Bundesländern rechnen häufiger mit einer niedrigen Rente als Frauen in den neuen Bundesländern, was sicher auch mit der jahrzehntelangen Vollzeit-Erwerbsquote in der ehemaligen DDR zu tun hat. Dort waren Frauen berufstätig und kümmerten sich um die Kinder. In der früheren BRD brauchten Frauen bis 1977 die Erlaubnis ihres Ehemannes, um arbeiten zu gehen.
Der Westen kann vom Osten lernen
Die Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky verbindet diese Zahlen mit einem klaren Appell: „Wenn ich mir den öffentlichen Diskurs anschaue, dann ist es ganz wichtig, dass vor allem Westdeutsche auf die ostdeutschen Erfahrungen hören, wenn es um den Bereich weibliche Lebenslagen geht. Wir sollte miteinander ins Gespräch kommen, wertschätzend zuhören und verstehen, was die ostdeutschen Wirklichkeiten sind. Das geschieht bislang viel zu wenig. Wir neigen dazu, Westdeutschland für Deutschland zu halten. Es muss viel mehr auf die ostdeutschen Perspektiven geachtet werden.“
Um das Thema Gleichstellung voranzutreiben, nannten die Befragten im Wesentlichen fünf Punkte: gleiche Bezahlung von Männern und Frauen, höhere Löhne in Pflege- und Bildungsberufen, mehr und bessere Möglichkeiten der außerfamiliären Kinderbetreuung, bessere Gesetze gegen sexuelle Belästigung und Gewalt sowie Entlohnung von privater Sorgearbeit durch den Staat.
Wissenschaftlerin Villa Braslavsky zieht das Fazit, dass viele junge Frauen erkannt haben, dass sich strukturell etwas ändern muss. „Oft kursiert das Vorurteil, die jüngere Generation würde sich nur für Instagram interessieren und hätte kein Problembewusstsein. Das stimmt einfach nicht. Es geht ums Geld, es geht um Rechte, es geht um Schutz vor Gewalt, es geht um faire Arbeitsteilung“, sagt sie.