In der Schweiz wurde der umstrittene „Sarco-Pad“ zum ersten Mal eingesetzt. Das Land hat eine liberale Gesetzgebung bei Freitod, doch nun griff die Staatsanwaltschaft ein.
In der Schweiz ist es offenbar zum ersten Einsatz der Selbsttötungskapsel „Sarco-Pad“ gekommen. Eine Person soll mithilfe des Geräts freiwillig aus dem Leben geschieden sein.
Die Inbetriebnahme war seit Juli erwartet worden – und mündet jetzt in einen regelrechten juristischen Showdown. Wie die Polizei in einer Erklärung mitteilte, wurde die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen von einer Anwaltskanzlei darüber informiert, dass am Montag in der Nähe einer Waldhütte in Merishausen eine Beihilfe zum Suizid unter Verwendung der Sarco-Kapsel stattgefunden habe. Zuvor hatte besagte Staatsanwaltschaft die Anwälte von Exit International, der Organisation hinter der Kapsel, bereits gewarnt, dass jedem Betreiber der Kapsel, sollte er sie einsetzen, ein Strafverfahren drohen würde.
Nun wurden laut Polizei „mehrere Personen“ in Gewahrsam genommen. Die niederländische Zeitung „Volkskrant“ teilte mit, dass auch einer ihrer Fotografen festgenommen worden sei. Die Schweizer Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider erklärte: „Die Suizidkapsel Sarco ist nicht rechtskonform.“ Sie erfülle die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts nicht. „Sie darf daher nicht in Verkehr gebracht werden.“
Klärung der Rechtslage
In der Schweiz ist die Selbsttötung allerdings grundsätzlich erlaubt. Selbst Beihilfe zum Suizid ist zulässig, solange sich die Person ohne „äußere Hilfe“ das Leben nimmt und die Person, die ihr beim Sterben hilft, dies nicht aus „eigennützigen Motiven“ tut. Die bevorstehenden Verfahren werden die jetzige Rechtsunsicherheit beenden, je nachdem, ob es in der Hauptsache zu einer Verurteilung kommt oder nicht.
Die Schweiz gehört zu den Ländern, die den Wunsch, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, als bürgerliches Freiheitsrecht, als Moment der Selbstbestimmung verstehen. Viele Staaten sehen das sehr viel restriktiver, mit der Folge, dass sich eine Art von Suizid-Tourismus unter dem Stichwort „Last Trip to Switzerland“ entwickelt hat. In diesem Umfeld hat der Australier Philip Nitschke 2019 das Projekt einer Todeskapsel vorgestellt. „Sarco“ – eine Anspielung auf Sarkophag – ist eine futuristisch aussehende längliche Kapsel, die einen schmerzfreien Tod ohne die Hilfe weiterer Personen ermöglichen soll. Optisch erinnert die Kapsel an die Tiefschlafkapseln aus Science-Fiction-Filmen.
Hilfe eines Arztes vonnöten
Im Jahr 2020 starben in der Schweiz rund 1300 Menschen durch assistierten Suizid. Dort kann man – auch als Nichtschweizer – die Hilfe von speziellen Organisationen in Anspruch nehmen, die passive Sterbehilfe gewähren. Meist wird das Gift Pentobarbital verabreicht, um einen möglichst schmerzfreien Tod zu gewährleisten. Die Organisation ist notwendig, da in der Schweiz der Suizid zwar erlaubt ist, das aber nicht bedeutet, dass tödliche Gifte frei verfügbar wären. Nur ein Arzt kann das verschreibungspflichtige Pentobarbital besorgen.
Sarco-Pad nutzt Stickstoff
Die Sarco-Kapsel arbeitet dagegen mit Stickstoff. Stickstoff ist ein natürlich vorkommendes Gas, es kann normal erworben werden und ist im eigentlichen Sinn nicht giftig oder tödlich. Der Tod tritt durch Sauerstoffmangel ein. Darum benötigt man auch eine wirklich luftdichte Kapsel, in der Sauerstoff durch Stickstoff verdrängt wird. Diese Art des Sterbens gilt als schmerzlos. Tod durch Stickstoff kommt normalerweise in der Natur nicht vor, aber eine Kohlenmonoxidvergiftung verläuft ähnlich. Die Opfer bemerken den Mangel an Sauerstoff nicht, sie schlafen ein beziehungsweise wachen nicht auf – ein deutliches Zeichen, dass sie keine Qualen erleiden. Wichtig ist, dass der Atemprozess ungehindert weitergeht. Wird der Atemreflex unterbunden, kämpft der Körper panisch gegen den Tod, so wie es beim Erwürgen passiert.
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Einsatz im gewohnten Umfeld möglich
Die Kapsel wird in den Niederlanden in einem 3-D-Drucker hergestellt. Dort ist die Herstellerfirma ansässig, doch die Gesetzeslage der Schweiz begünstigt die Sterbehilfe durch eine Maschine. In anderen Ländern ist die Beteiligung eines Mediziners teilweise zwingend vorgeschrieben.
Die Maschine arbeitet autonom, sie kann überall hin transportiert werden. Das Ableben kann daher in einem Hospiz, dem eigenen Schlafzimmer – oder wie offenbar jetzt in der Schweiz geschehen – in einer Waldhütte stattfinden. Die Wahl des Ortes ist dort oft ein Problem, weil Todestouristen immer wieder Hotelräume für ihr Ableben genutzt haben.
Der Vorgang selbst ist denkbar einfach. Der Patient legt sich in die Kapsel, schließt sie und muss dann einen Hebel umlegen. Danach fühlt er sich nur ein wenig „beduselt“ und euphorisch, bevor er in weniger als 30 Sekunden in eine Bewusstlosigkeit versinkt. Der Tod tritt dann durch Sauerstoffmangel ein.
PR-Problem der Schweiz
Grundsätzlich kann eine Selbsttötung mit vielen Mitteln ohne ärztliche Hilfe erreicht werden. Die Römer öffneten sich im Bad die Adern, in den USA werden häufig Schusswaffen benutzt, um aus dem Leben zu gehen. Eine Kohlenmonoxidvergiftung kann man mit einem manipulierten Gasbrenner provozieren. Sarco verspricht nun einen sicheren und schmerzfreien Sterbeprozess.
Für offizielle Stellen dürfte der gewaltige PR-Wirbel um die Tötungsmaschine ein Problem sein. Erfinder Philip Nitschke ist von der Mission erfüllt, den Sterbewilligen der Welt unbürokratisch zu helfen. Für die Schweizer Regierung dürfte ein unkontrollierter Anstieg des Sterbetourismus allerdings ein Albtraum sein.
Kein Kontakt in den letzten Minuten
Ein Gerät wie der Sarco-Pod wird auf absehbare Zeit in Deutschland nicht zugelassen werden. Der propagierte „barrierefreie“ Zugang auch nicht. Auch die „letzte Reise in die Schweiz“ gestaltet sich in der Praxis komplizierter als erhofft. Das assistierte Ableben wirft Kosten auf, die Hilfsvereine nennen Summen um 10.000 Euro. Es gibt Länder, in denen Kliniken den Weg über die Schweiz unterstützen. Für Privatpersonen aus Deutschland ist eine vorausschauende Planung notwendig, ein Anruf in letzter Not würde vermutlich nicht zum Ziel führen.
Die klassischen Sterbehilfsorganisationen sehen den Nutzen des „Sarco-Pad“ nicht. In der Praxis suchen die meisten Patienten im Moment des Todes die körperliche Nähe von Vertrauten – etwa eine Umarmung oder das Streicheln der Hände. Das ist in der abgeschlossenen Kabine nicht möglich.
Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
Für Kinder und Jugendliche steht auch die Nummer gegen Kummer von Montag bis Samstag jeweils von 14 bis 20 Uhr zur Verfügung – die Nummer lautet 116 111.