Viel Obst und Gemüse sind gesund, das weiß jedes Kind. Aber ist auch eine rein vegetarische Kost gut für die Kleinen und Kleinsten im Wachstum? Experten sehen Risiken, Vorteile und Herausforderungen.
Linsenaufstrich statt Leberwurst auf dem Schulbrot, Karotten statt Knackwürstchen in der Kita-Proviantbox und Sojabratling statt Schweineschnitzel daheim auf dem Teller. Immer mehr Menschen ernähren sich ohne Fleisch, Fleischprodukte und Fisch – doch ist eine rein vegetarische Kost auch für die Kleinen und Kleinsten in der Wachstumsphase gut und richtig? Manche sagen Ja, manche sagen Jein. Es gebe Risiken und Vorteile.
Veggie für Kinder muss gut gemacht sein
„Man kann nicht pauschal sagen, dass vegetarische Ernährung immer gut ist, sondern es kommt auf die Zusammensetzung an“, sagt der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit, Berthold Koletzko. „Es gibt auch die sogenannten Keks-und-Pudding-Vegetarier, die sich schlecht ernähren, mit vielen veganen Fertigprodukten oder populären Pflanzendrinks mit einer oft leider schlechten Nährstoffzusammensetzung.“
Unstrittig empfehlenswert sei eine Ernährung reich an pflanzlichen Lebensmitteln. „Das heißt aber nicht, dass sie zwingend frei sein muss von Fleisch und Fisch.“ Es gebe auch Studiendaten, die auf Risiken für Nährstoffversorgung und Wachstum bei rein vegetarischer Ernährung hinwiesen.
„Eine vegetarische Ernährung ist gut möglich im Kindesalter, wenn man es richtig macht“, betont der Münchner Stoffwechselexperte. Eine ausreichende Versorgung mit wichtigen Nährstoffen wie Eisen, Zink, Jod, Vitamin B12 oder Omega-3-Fettsäuren könne kritisch werden bei fleisch- und fischfreier Kost.
Mit einer gut zusammengesetzten Ernährung auch mit Eiern, Milch und Milchprodukten lasse sich aber Abhilfe schaffen. Allerdings: „Die Risiken sind umso größer, je rascher das Kind wächst, also im Säuglingsalter, im frühen Kindesalter und noch einmal beim Wachstumsspurt in der Pubertät.“ Koletzki rät, zumindest in diesen Phasen ab und zu ein bisschen Fisch oder Fleisch zu verzehren.
Eine gute vegetarische Kost habe auch viele Vorteile, schildert er. Beispiele: Die Kalorienzufuhr sei geringer, was Übergewicht bei Kindern vorbeuge. Der hohe Ballaststoffgehalt wirke sich positiv auf die Darmgesundheit aus. Diese Benefits könne man aber auch erzielen, wenn man hin und wieder Fisch und hochwertiges Fleisch konsumiere.
In Arztpraxen fällt manchmal Mangel an Eisen und B12 auf
Der Bonner Kinderarzt Axel Gerschlauer weist bei einer vollwertigen vegetarischen Ernährung auf positive Aspekte hin, die prinzipiell auch für Kinder gelten: „Über ein verringertes Risiko für Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs im späteren Alter würden wir uns auch bei Kindern freuen.“ Vor einer veganen Ernährung ganz ohne jegliche tierische Produkte wie Milch und Eier warnt der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Nordrhein – ebenso wie die Stiftung – aber ausdrücklich.
Wenn er Säuglinge oder Kleinkinder in seiner Praxis untersuche, stoße er mitunter auch auf Mangelerscheinungen, für die Fleischverzicht ursächlich sein könnte, berichtet Gerschlauer. „Riskant sind bei dem Verzicht auf Fleisch im Kindesalter – und hier gilt: je jünger, desto riskanter – mögliche Nährstoffmängel. So kann der Mangel an Eisen und B12 zu Blutarmut, Schwäche, neurologischen Schäden und Entwicklungsstörungen führen.“ Die meisten fleischlos ernährten Kinder und Jugendlichen, die zum ersten Mal zur Blutabnahme kommen, seien nicht ausreichend mit Eisen und B12 versorgt.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen
„Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und haben aufgrund des Wachstums und der Entwicklung ihres Gehirns und der anderen Organe deutlich höhere Ansprüche an eine konsequent gute Nährstoffversorgung als Erwachsene, bei denen alles schon fertig ist“, erläutert der Kinderarzt. Der „limitierende Faktor“ sei aber die aufnehmbare Menge an Nährstoffen.
„Ein Magen ist bei Kindern ungefähr so groß wie die eigene Faust.“ Die Nährstoffe dürften also kein zu großes Volumen haben. Ein Argument hier also pro FIeisch: In fleischhaltigem Brei für die erste Lebensphase sei Eisen in hochkonzentrierter Form enthalten. Und B12 sei ebenso in ausreichenden Mengen auch etwa in Fleisch zu finden. Als Startpunkt für eine vegetarische kindliche Ernährung empfiehlt der BVKJ-Sprecher: „Je älter, desto besser.“
Unbedenklich – sofern Fleisch gezielt ersetzt wird
Die Bonner Forscherin Ute Alexy hält eine vegetarische Ernährung bei Kindern für „unbedenklich“. Allerdings unter einer zentralen Voraussetzung: „Fleisch nicht einfach weglassen, sondern gezielt ersetzen durch Vollkornprodukte oder Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen, Erbsen.“ Sie verweist zugleich darauf, dass die offizielle Ernährungsempfehlung für Kinder bisher noch immer Mischkost sei – also mit Fleisch und Fisch. Derzeit werde unter anderem bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) an lebensmittelbezogenen Empfehlungen für Kinder und Jugendliche gearbeitet, die auch ein „vegetarisches Muster“ enthalten sollen, schildert die Ernährungsexpertin, die an den Arbeiten beteiligt ist.
Kinder sollten Alexy zufolge Milch zu sich nehmen – zum einen wegen der Kalzium-Zufuhr für den Knochenbau. Und: Vor allem konventionell gehaltene Kühe erhalten in Deutschland Kraftfutter mit Jod-Zusatz, die Milch trage damit auch zur Jodversorgung von Kindern und Jugendlichen bei, erklärt sie. Zwei Studien mit je rund 400 Teilnehmenden – einmal bei 1- bis 3-Jährigen, einmal bei 6- bis 18-Jährigen – habe in der Gruppe der vegetarisch Ernährten keine Defizite gezeigt, sagt die Wissenschaftlerin, die an beiden Analysen beteiligt war.
Bei Datenlage und Wissensstand noch viel Luft nach oben
Auch wenn die beiden Untersuchungen (VeCh-Diet-Studie und VeChi-Youth-Studie) nicht repräsentativ sind, gelten die Ergebnisse als wichtige Hinweise. Die Datenlage zur vegetarischen Ernährung von Kindern ist noch dünn. Es gebe auch keine Zahlen, wie viele Kinder sich vegetarisch ernähren, bedauert die Forscherin. Es sei von 7 bis 8 Prozent der Erwachsenen auszugehen, die sich fleischlos ernähren. „Und man kann davon ausgehen, dass die meisten auch ihre Kinder so ernähren.“
Gerschlauer zufolge sollten Eltern auch Tipps von Ernährungsberatern einholen. „Bei den erwachsenen Vegetariern ist noch viel Luft nach oben, was das Wissen über eine vollwertige vegetarische Ernährung angeht – vor allem, wenn es um Kinder geht.“