Auch in Brandenburg erhält die FDP weniger als ein Prozent der Stimmen. Können sich die Liberalen davon erholen? Zwei Wahlforscher analysieren im stern die Lage.
Draußen scheint die Sonne bei angenehmen Temperaturen, aber Christian Lindner hat schon einmal den Rollkragenpullover unters Jackett gezogen. Will der FDP-Parteichef damit an diesem Montag ein Zeichen senden? Es ist jetzt Herbst! Nicht nur kalendarisch, sondern auch politisch. Von einem „Herbst der Entscheidungen“ spricht der Bundesfinanzminister vor der versammelten Hauptstadtpresse in der FDP-Parteizentrale. Es gehe darum, ob die Ampel bei den Themen Migration, Wirtschaft und Haushalt noch die Kraft finde, wirklich etwas zu bewegen.
Schwer gebeutelt erhöhen die Liberalen den Druck. Am Sonntag wurden sie – wieder einmal – bei einer Landtagswahl abgestraft. Diesmal in Brandenburg. Es ist seit der Bundestagswahl bereits die zehnte Niederlage bei einer Landtagswahl in Folge, bei fünf davon flogen sie aus dem Parlament oder blieben weiterhin draußen, so wie am Sonntagabend in Potsdam. Diesmal erhielten sie weniger als ein Prozent der Stimmen.
Wäre die Partei ein Unternehmen, müsste sie wohl Konkurs anmelden. Und so werden nach dieser jüngsten Wahlschlappe in der Partei erneut Stimmen laut, die auf ein vorzeitiges Ampel-Aus drängen. Es ist Verzweiflung, die da spricht.
Blitzanalyse Brandenburg 19.06
Auch in der Vergangenheit hatten die Liberalen schon mit schlechten Wahlergebnissen zu kämpfen. 2013 flog die FDP sogar aus dem Bundestag. Christian Lindner selbst war es, der sie 2017 wieder zurückführte. Aber so schlimm wie derzeit war es noch nie. Die Lage hat sich zugespitzt: Wie schon bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen vor wenigen Wochen ist das FDP-Ergebnis auch in Brandenburg so mikroskopisch klein, dass die Partei nicht einmal mehr eigens ausgewiesen wird. Die FDP läuft unter „Sonstige“, also eigentlich Bedeutungslosigkeit. Ist die FDP überhaupt noch zu retten?
Meinungsforscher: FDP sollte dieses Thema angehen
Manfred Güllner beschäftigt sich von Berufswegen damit, wer bei den Wählerinnen und Wählern Zustimmung findet – und warum. Der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa denkt, dass die jüngsten Wahlschlappen die Liberalen sorgen sollten. Zwar habe die FDP in Ostdeutschland traditionell einen schweren Stand, weshalb man die Ergebnisse der Landtagswahlen für die gesamte Existenz der Partei nicht überbewerten dürfe. „Was den Liberalen aber Sorgen machen muss: Auch im Osten gibt es Hinweise darauf, dass sie ihre Kernklientel enttäuscht“, sagte der Meinungsforscher dem stern.
Die FDP sei vom klassischen Mittelstand gewählt worden, den Handwerkern, den kleinen Unternehmern, den Freiberuflern. „Doch die fühlen sich von der FDP nicht mehr ausreichend vertreten und wählen deshalb teilweise gar nicht mehr“, so Güllner, „oder wandern zur Union und viele auch zur AfD.“
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Güllner sieht aber einen vergleichsweise einfachen Weg, wie die Liberalen bei den Wählerinnen und Wählern wieder besser ankommen könnten: Der Unzufriedenheit bei ihrem Kernklientel könne „die FDP auch in der für alle Koalitionspartner schwierigen Ampelkonstellation etwas entgegensetzen“. Die Klagen des Mittelstandes beträfen vor allem eine übermäßige Bürokratisierung. „Warum die FDP dieses Thema nicht entschlossener angeht und dadurch ihr Kernklientel besser zufriedenstellt, ist nur schwer nachzuvollziehen“, so Güllner. „Solche Maßnahmen, die ohne Geldausgeben funktionieren, sollten auch in der Ampel möglich sein – und könnten sich für die FDP auszahlen.“
Wie mit dem „Ampel-Dilemma“ umgehen?
Sein Kollege Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen hat einen pessimistischeren Blick. Er sieht grundsätzliche Probleme für die Liberalen, wie etwa Veränderungen in der Parteienlandschaft: „Die FDP war schon immer eine Partei, die vor allem gebraucht wurde, um einer Koalition eine Mehrheit zu beschaffen“, sagte er dem stern. Das sei für die Partei von Vorteil gewesen: „So konnte sie sich in der Vergangenheit teilweise als Mehrheitsbeschaffer für andere Parteien definieren und bei einer Wahl dann ausreichend taktische Stimmen abholen.“
Weil es inzwischen aber mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht und der AfD mehr Parteien im System gibt, werde es für kleine Parteien schwieriger, ihr Alleinstellungsmerkmal zu definieren. „Das stellt die FDP vor ein grundsätzliches Problem.“
Daneben sieht Jung den Hauptgrund für das schlechte Abschneiden der FDP bei den jüngsten Wahlen in der unbeliebten Ampel-Koalition. „Die FDP hat eine Kernklientel, die mit wirtschaftsliberalen Positionen bedient werden kann und will: Steuersenkungen statt Steuererhöhungen, weniger Vorschriften und Restriktionen.“ In Regierungsverantwortung mit SPD und Grünen könne sie ihrer potenziellen Wählerschaft einen liberalen, sehr marktorientierten Kurs nicht glaubwürdig verkaufen.
Anders als Güllner sieht Jung deshalb keinen wirklichen Ausweg für die FDP. „Das Dilemma ist ein Stück weit nicht lösbar.“ Gelinge es nicht, dass die Bundesregierung insgesamt mehr Zuspruch findet, wäre ein vorzeitiges Aussteigen der FDP mit der großen Gefahr verbunden, dass sie bei vorgezogenen Neuwahlen deutlich unter der Fünf-Prozent-Grenze bleibt. Trage sie die Regierung bis zum Ende, nehme sie aber weiter die große Unzufriedenheit in Kauf. „Beide Strategien sind ausgesprochen problematisch für die FDP.“
Wie die FDP mit diesem „Ampel-Dilemma“ umgehen will, scheint dieser Tage noch offen. Am Montag wird Parteichef Lindner grundsätzlich: „Woraus bezieht sich denn Stärke in der Politik?“, fragt er im Hans-Dietrich-Genscher-Haus. Diese ergebe sich nicht aus Umfragen oder dem Applaus des Tages. Stärke ergebe sich aus „Angstfreiheit“ und aus eigenen Überzeugungen. „Insofern darf ich bestätigen: Überzeugungen haben wir, Angst keine.“
Es erinnert an eine Passage aus einem Interview, das Lindner der „Rheinischen Post“ am Freitag gab: „Manchmal bedeutet Mut, trotz Kontroversen in einer Koalition zu bleiben, weil Stabilität wichtig ist und noch Gutes bewirkt werden kann“, sagte der Parteichef. „Manchmal bedeutet Mut aber auch, ins Risiko zu gehen, um neue politische Dynamik zu schaffen.“ Was die Ampel angeht, scheint dieser Tage alles offen – auch, ob es den Liberalen am Ende helfen würde.