Olaf Scholz und Friedrich Merz wollen den jeweils anderen als das schlimmste Übel darstellen. Dabei braucht Deutschland gerade jetzt positive Energie statt Untergangsszenarien.
Nun steht es wohl fest, das Kanzler-Duell: Olaf Scholz gegen Friedrich Merz. Beide freuen sich aufeinander, da sie den anderen für unterlegen halten. Dieses jeweilige übergroße Ego ist vielleicht noch das kleinste Problem des Duells. Schwerer wiegt, dass zwei Menschen gegeneinander antreten, die nicht aus sich heraus strahlen. Sie sind nicht „Yes, we can“-Kandidaten. Sie sind „Ok, ABER“-Kandidaten.
Olaf Scholz von der SPD ist mächtiger Bundeskanzler, aber wieviel Macht hat er noch? Die Umfragewerte schwanken, ob null Prozent oder doch drei Prozent der Bürger seiner Ampel-Regierung weiter etwas zutrauen. Den Wahlabend an seinem Wohnort Brandenburg (der bei einer SPD-Niederlage die Kandidaten-Debatte in der SPD noch einmal belebt hätte), hat Scholz überlebt, doch vor allem weil er sich rausgehalten hat. Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte sich jede Unterstützung durch den Kanzler verbeten, dieser weilte am Wahlabend schon weit weg in New York. Scholz traut sich dennoch weiter alles zu. Das liegt aber vor allem daran, dass er selbst Vertrauten oft wie ein Ritter wirkt, der die Welt nur durch einen winzigen Sehschlitz in der Rüstung wahrnimmt, völlig gefiltert also. Fühlt sich jemand allen anderen so überlegen, müssen Menschen irgendwann nicht mehr lange überlegen, wie wenig sie das mögen. Scholz hätte aktuell wohl Schwierigkeiten, selbst in Teilen seiner eigenen Partei einen Posten als Schriftführer zu gewinnen. Er will dennoch wieder Kanzlerkandidat sein. Scholz hat Joe Biden stets bewundert, nun muss dieser ihn bewundern: Denn anders als der Amerikaner zieht Scholz seine Kandidatur einfach durch. Blitzanalyse Brandenburg 19.06
Friedrich Merz von der CDU sieht die Welt aus 1,98 Metern Höhe. Aber er fühlt sich oft noch viel weiter weg von den Menschen, vermutlich sitzt er deswegen so gerne in einem Privatflugzeug. Merz hat die Gabe, allen Menschen die Welt zu erklären, selbst wenn er keineswegs alles von dieser Welt gesehen hat. Einen Tag regiert hat der Sauerländer noch nicht. Er hält sich für einen Vertreter der Klartext-Fraktion, löst aber mit vielen Aussagen vor allem Verwirrung aus, gerade bei Frauen. Er ist nicht einmal der beliebteste mögliche Kanzlerkandidat in seiner Partei, der Nordrhein-Westfale Hendrik Wüst liegt in dieser Disziplin vor ihm, der Bayer Markus Söder auch. Merz wird froh sein, dass er sich schon vor diesem Wahlabend ausrufen ließ.
Merz und Scholz: uncharmant vereint
Was die Kandidaten Scholz und Merz also verbindet? Sie bauen nicht das auf, was Jürgen Leinemann, legendärer Spiegel-Reporter einmal definiert hat als den Wärmestrom oder auch Energiefluss zwischen einem Politiker und den Wählern (Journalist Gabor Steingart hat daran am Sonntag im ARD-Presseclub erinnert). Kommt dieser Wärmestrom nicht in ausreichender Kraft zu Stande, hat dieser Politiker keine Chance auf Mehrheiten. Woidke übrigens hat vorgemacht, wie das geht. Mit seiner Ankündigung, nur im Amt zu bleiben, wenn er vor der Alternative für Deutschland (AfD) landet, hat er Wärme erzeugt, vielleicht gar Hitze, in jedem Fall Energie.
Wir spotten oft über die USA, dass das Riesenland keine besseren politischen Kandidaten finde. Aber wir bekommen es ja auch nicht hin. Und nun droht das Schlimmste: dass zwei Männer, die nur sich gelten lassen, in ihrer Selbst-Überzeugtheit weniger für sich siegen als den anderen besiegen wollen. Scholz raunt schon von Charaktermängeln von Merz und dass im direkten Vergleich die Leute merken würden, wem sie trauen können. Merz wiederum lässt keinen Zweifel daran, wie sehr er den Politiker Scholz verachtet.
Also droht eine Schlammschlacht. Scholz will Merz kaputt reden, der angeblich das Land zurückdrehen werde. Und Merz dürfte die Versuchung spüren, das Land kaputt zu reden. Hört man der Opposition aktuell zu, funktioniert in Deutschland gar nichts mehr: Infrastruktur verrottet, Wirtschaft abgewürgt, Energiewende verzockt, Migration unkontrollierbar. Die CDU hat mal mit dem Slogan „Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ geworben. Hat die Ampel davon ernsthaft wirklich gar nichts mehr übriggelassen?
Die Mär vom „Staatsversagen“
Was bei so viel Düsternis auf der Strecke bleiben könnte: die ehrliche Diskussion darüber, was wir Deutsche zuletzt nicht gut hinbekommen haben und was wir liegengelassen haben (die Ampel, aber übrigens auch vorher 16 Jahre lang die regierende Union). Ja, wir brauchen brutal offene Debatten über dringend notwendige Reformen (die auch die CDU unter Merz sich bislang nicht wirklich anzusprechen traut). Ja, wir müssen die Versäumnisse der Ampel-Regierung offen thematisieren. Wer aber daran erinnert, dass wir in Deutschland noch starke Institutionen und Grundlagen haben, um die uns viele beneiden, stemmt sich nicht automatisch gegen Reformen oder verteidigt stur die Ampel. Und wer in Deutschland das „Staatsversagen“ ausruft, hat noch nie ein Land gesehen, in dem der Staat wirklich versagt.
Albert Einstein hat einmal gesagt: „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ Darum müssen Wahlkämpfe kreisen. Die Amerikaner sprechen vom happy warrior, also vom Wahlkämpfer, der sich bei aller Schärfe der Debatte vor allem zuversichtlich ins Rennen wirft. Kamala Harris und Tim Walz verkörpern dies bei allen Schwächen derzeit. Wer das Gegenteil tut und bloß Düsternis verbreitet, spielt nur denen mit den vermeintlich einfachen Lösungen in die Hände, die bloß sagen, an allem seien ohnehin „die da oben“ Schuld, das System halt. Viele sagen zu Recht, noch ein Jahr Ampel in dieser Form könnten wir uns nicht leisten.
Ein Jahr Wahlkampf voller Untergangsfantasien aber auch nicht.