Die Rekordinflation im Euroraum ist Geschichte. Die Europäische Zentralbank kommt ihrem Ziel der Preisstabilität näher und senkt die Zinsen. Das hat Folgen für Unternehmen, Sparer und Hausbauer.
Die Europäische Zentralbank (EZB) reagiert auf die schwindende Inflation im Euroraum und senkt die Zinsen. Der richtungsweisende Einlagenzins, den Banken erhalten, wenn sie überschüssiges Geld bei der Notenbank parken, fällt um 0,25 Prozentpunkte auf 3,5 Prozent. Das teilte die Notenbank in Frankfurt mit. Damit schreitet die EZB bei ihrer im Juni begonnenen Zinswende voran.
Die jüngsten Inflationsdaten seien weitgehend wie erwartet ausgefallen, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Zu weiteren Zinsschritten in den kommenden Monaten hielt sie sich aber bedeckt. „Der EZB-Rat legt sich nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest.“
Zinssenkungen stützen zeitverzögert die Wirtschaft. Unternehmen und Privathaushalte können bei günstigeren Krediten leichter investieren und konsumieren. Umgekehrt müssen sich Sparer auf fallende Zinsen bei ihrer Bank und geringere Renditen etwa bei Lebensversicherungen einstellen.
Erfolge im Kampf gegen die Inflation
Volkswirte hatten mit der Zinssenkung gerechnet, denn zuletzt hatte sich die Inflation in der Eurozone dem EZB-Ziel von mittelfristig zwei Prozent genähert: Im August fiel die Teuerungsrate auf 2,2 Prozent zum Vorjahreszeitraum – der niedrigste Stand seit Sommer 2021.
Noch im Oktober 2022 hatte die Inflation im Euroraum im Zuge des Ukraine-Krieges einen Höchststand von über zehn Prozent erreicht. Auch in Deutschland sank die Inflation zuletzt deutlich, auf noch 1,9 Prozent im August.
Die Teuerung im Euroraum werde 2024 bei im Schnitt 2,5 Prozent liegen und im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2025 in Richtung des Inflationsziels zurückgehen, erklärte die EZB. Daher sei es angemessen, die Geldpolitik weiter zu lockern.
Konjunktur in Europa schwach
Zugleich sieht sich die EZB einer schwachen Wirtschaft in der Eurozone gegenüber. Sie erwartet ein Wachstum von nur 0,8 Prozent 2024 – etwas weniger als im Juni vorhergesagt (0,9 Prozent). Erst in den Folgejahren werde sich die Konjunktur erholen.
Ifo-Präsident Clemens Fuest bezeichnet den Zinsschritt als „vertretbar“. Weitere Zinssenkungen erschienen aber nur angemessen, wenn sich der Rückgang der Inflation fortsetze. „Unmittelbare Auswirkungen auf die Konjunktur wird diese Zinssenkung nicht haben, weil sie an den Märkten schon eingepreist war.“
EZB engt Zinskorridor ein
Bei ihrer Geldpolitik setzt die EZB unterdessen eine Neuerung um. Sie führt den Einlagenzins näher an den Zins heran, mit dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können („Hauptrefinanzierungssatz“). Er war früher als wichtigster Leitzins bekannt, während die Notenbank inzwischen ihre Geldpolitik de facto über den Einlagenzins steuert.
Die EZB hatte im März beschlossen, den Abstand zwischen den beiden Zinssätzen ab 18. September auf 0,15 Prozentpunkte zu begrenzen. Der Hauptrefinanzierungssatz sinkt daher noch stärker um 0,6 Prozentpunkte auf 3,65 Prozent, die EZB weiter mitteilte. Der engere Korridor soll Schwankungen bei den kurzfristigen Zinsen verringern und mehr Planbarkeit für Banken schaffen. Für Privatkunden dürfte das kaum Auswirkungen haben.
Warnungen vor zu schneller Lockerung
Die EZB hatte im Juni die Zinswende eingeleitet und erstmals seit der Inflationswelle die Leitzinsen gesenkt. An den Finanzmärkten wird fest mit weiteren Zinssenkungen der EZB gerechnet
Es bleiben aber Inflationsrisiken. So hält sich die von Ökonomen viel beachtete Kerninflation ohne schwankungsanfällige Preise für Energie und Nahrungsmittel zäh. Im Jahresmittel sieht die EZB diese Rate bei 2,9 Prozent und erst 2026 bei 2,0 Prozent. Druck kommt von gestiegenen Löhnen, die Dienstleistungen verteuern. Die Bundesbank etwa warnt vor einer zu schnellen Lockerung der Geldpolitik.
Die Währungshüter könnten noch nicht in den „Entspannungsmodus“ schalten, meint auch Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands. Die EZB müsse Fingerspitzengefühl beweisen. „Dazu gehört es auch, den Erwartungen auf schnell aufeinander folgende Zinssenkungen in der Öffentlichkeit entgegenzutreten.“
Schuldner profitieren – aber wenig Bewegung bei Bauzinsen
Sinkende Leitzinsen haben weitreichende Folgen: Unternehmen und Privathaushalte kommen günstiger an Kredite, was Investitionen erleichtert und den Konsum stützt.
Für Hausbauer ergeben sich nicht zwingend günstigere Konditionen. Die Bauzinsen hängen von der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen ab. Die Commerzbank etwa erwartet, dass die Zinsen für zehnjährige Immobilienkredite bis ins nächste Jahr hinein bei etwa 3,5 Prozent bleiben – ähnlich wie zuletzt. Weitere Leitzinssenkungen der EZB seien am Markt eingepreist.
Sparer haben das Nachsehen
Für Sparer sind sinkende Leitzinsen schlecht. Viele Banken haben darauf schon reagiert: Die Festgeldzinsen über zwei Jahre waren laut dem Vergleichsportal Verivox zuletzt so niedrig wie seit Mai 2023 nicht mehr. Bundesweit verfügbare Angebote bringen demnach im Schnitt nur noch 2,68 Prozent. Bei Tagesgeld seien im großen Stil Zinssenkungen zu erwarten.
Die gute Nachricht: Die gesunkene Inflation hilft indirekt Sparern. Nach Abzug der Teuerungsrate, die im August bei 1,9 Prozent in Deutschland lag, können Anleger mit einer durchschnittlichen Festgeldanlage über zwei Jahre eine positive Rendite erzielen. Inmitten der Inflationswelle vor einem Jahr verloren Ersparnisse dagegen an Wert.