Beim Warntag am Donnerstag probt Deutschland den Katastrophenfall. Bürger sollen über Sirenen, Hinweise und Push-Nachrichten informiert werden. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Stellen Sie sich vor, die Behörden warnen vor einer Katastrophe und keiner bekommt es mit. So ungefähr lief es beim ersten bundesweiten Warntag vor vier Jahren. Sirenen blieben vielerorts stumm, Warnbenachrichtigungen erreichten die Bürger zu spät oder gar nicht. Christoph Unger, damals Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, musste nach dem Desaster seinen Posten räumen. Letztes Jahr folgte dann der zweite Versuch. Erstmals wurden auch Menschen per Direktnachricht aufs Handy gewarnt.
Jetzt steht der nächste Warntag an. An diesem Donnerstag soll es besser laufen als vor drei Jahren. Was Sie im Vorfeld wissen müssen, lesen Sie hier:
Wie läuft der bundesweite Warntag ab?
Der bundesweite Warntag findet jedes Jahr am zweiten Donnerstag im September statt und wird von Bund, Ländern und Kommunen durchgeführt: Diese Mal also am 12. September. Dabei prüfen die Behörden die deutschen Warnsysteme und testen auch, wie Menschen im Katastrophenfall am besten alarmiert werden können.
Um 11 Uhr löst das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) den Probealarm aus. Dieser soll dann über 38.000 Sirenen zu hören sein. Aber auch per Warn-Apps, Radio- und Fernsehsender sowie knapp 6600 digitale Anzeigetafeln soll der Alarm verbreitet werden. Um 11.45 folgt die Entwarnung.STERN PAID Recherchen Ahrflut 20.30h
Damit möglichst viele Menschen in Deutschland mitten im Alltag erreicht werden, findet der Probealarm unter der Woche statt.
Wie erreicht die Warnmeldung die Bürger?
Im Vergleich zu anderen Ländern setzt Deutschland beim Katastrophenalarm auf einen Mix an Systemen. Im Katalog des Modularen Warnsystems (MoWas) von Bund und Ländern sind fünf Warnungsarten gelistet:
Apps: Bürger können sich mehrere Apps auf ihre Smartphones laden, unter anderem „Nina“. Darüber geben die Behörden beispielsweise Unwetter- und Hochwasserwarnungen auch per Push-Benachrichtigung weiter. Die Apps enthalten auch Notfall-Tipps und Checklisten für verschiedene Katastrophen-Szenarien.Radio und Fernsehen: Gefahrenmeldungen geben die Behörden auch an Redaktionen weiter. Diese können ihr Programm bei Bedarf unterbrechen.Online können sich Bürger auch über die Webseite des Bund informieren und Warnmeldungen abonnieren.Auch auf digitalen Werbe- und Anzeigetafeln werden die Katastrophenwarnungen ausgespielt – sofern sie an das Meldesystem angeschlossen sind. Auch Verkehrsanbieter geben die Warnungen über Ihre Zeittafeln an die Bürger weiter.Über Cell Broadcast, also eine direkte Meldung auf alle Handys, wird es noch keine Entwarnung geben.
Das BBK rät Bürgern zudem, sich bei der Feuerwehr, im Rathaus oder Bürgerzentrum ihrer jeweiligen Kommune über den Probealarm zu informieren. „Es bietet sich an, sich vorab zu erkundigen, auf welchen Wegen die eigene Kommune plant, Warnmittel zu erproben, um sich darauf einzustellen und idealerweise auch Angehörige und weitere nahestehende Menschen darüber zu informieren“, heißt es auf der Webseite des BBK. Informationen stehen Bundesbürgern auch in unterschiedlichen Sprachen zur Verfügung.
Warum ist das Alarmsystem unvollständig?
Das hat mehrere Gründe. Nach dem Kalten Krieg wurden Sirenen an vielen Orten Deutschlands abgebaut oder nicht mehr in Gang gehalten. Unklar ist auch, wie viele Sirenen es in Deutschland heute überhaupt gibt.
Über 38.000 dieser Alarmanlagen sind beim BBK registriert. Sie müssen von den Leitstellen der Kommunen ausgelöst werden. Deshalb ertönt das Warnsignal nicht überall gleichzeitig. Bis die Sirenen zentral gesteuert werden, werden noch Monate vergehen, sagt BBK-Präsident Ralph Tiesler. Und ein vollständiges aktuelles Bild von allen funktionstüchtigen Sirenen in der Bundesrepublik werde es erst im nächsten Jahr geben. „Das bundesweite Sirenenkataster soll im Laufe des kommenden Jahres als Plattform mit tagesaktuellen Daten zur Verfügung stehen.“
Zudem gilt: Kommunen können am Probealarm teilnehmen, müssen es aber nicht. Die Aktion ist für sie freiwillig. Am 12. September müssen also nicht überall die Sirenen schrillen.
Wie genau funktioniert Cell Broadcast?
Diese Technologie wurde nach der verheerenden Flut im Ahrtal in Deutschland eingeführt und im vergangenen Dezember erstmals getestet. Dabei erhält jeder Handy-Nutzer, der sich mit angeschaltetem Mobiltelefon in einem bestimmten Gebiet aufhält, eine von einem Geräusch angekündigte Textnachricht – vorausgesetzt das Gerät ist nicht zu alt. Die Nachrichten sind auf 500 Zeichen begrenzt und beinhalten die Warnung und Handlungsempfehlungen.
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Für Cell Broadcast muss sich niemand extra anmelden. Die Behörden können die Warnmitteilung über Cell Broadcast an alle erreichbaren Handys gleichzeitig verschicken. Beim Warntag im vergangenen Jahr lag die Abdeckungsrate von Cell Broadcast bei gut der Hälfte, wie das BBK berichtet.
Über Cell Broadcast erhalten Bürger jedoch nur die Katastrophen-Warnung – keine Entwarnung. Das ist derzeit noch nicht möglich, heißt es vom BKK.
Wie wahrscheinlich ist eine bundesweite Warnung wirklich?
Abgesehen vom Probealarm sind bundesweite Warnungen ein absoluter Ausnahmefall. Meist wird lokal oder regional gewarnt: Wie zum Beispiel vor Überflutungen oder Waldbränden.
Wie gut ist Deutschland für den Ernstfall gerüstet?
Das Alarmsystem in Deutschland wurde ausgebaut, ist aber immer noch lückenhaft. Zwar gibt es heute mehr Sirenen als noch vor einigen Jahren, manche Orte in Deutschland müssen aber immer noch ohne Alarmglocken auskommen. Allerdings gibt es Förderprogramme, um das zu ändern.
Auch die Bunker sind ein großes Thema beim BBK. 579 Schutzbunker gibt es in Deutschland noch. Sie stehen aber nicht mehr für den Bevölkerungsschutz zur Verfügung. „Das ist ein komplexes Thema, denn da 2007 entschieden worden war, keine öffentlichen Bunker mehr zu betreiben, stehen wir da noch ziemlich am Anfang“, sagt BBK-Präsident Tiesler.
Insgesamt sieht er Deutschland bei der persönlichen Vorsorge für Krisen und Katastrophen gut gerüstet. Ereignisse wie die Corona-Pandemie, Flutkatastrophen, aber auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hätten dafür gesorgt, dass sich die Menschen stärker mit Vorkehrungen für Katastrophen befassen, sagt Tiesler. Darauf deuteten die Ergebnisse von Umfragen hin, die das BBK seit anderthalb Jahren erstellen lässt. Auch die Zahl der Downloads und der vom BBK auf Anfrage verschickten Ratgeber zu Vorsorge-Fragen hat demnach zugenommen.
Quellen: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe1, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe2, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe3, Bundesregierung.de, mit Material von DPA