Immer mehr Patienten und auch viele, die eigentlich keine echten Notfälle sind – auch in Hessen steigt der Druck in der medizinischen Notfallversorgung. Wie können die Retter entlastet werden?
Steigende Einsatzzahlen bei angespannter Personallage – Notfallmediziner stehen auch in Hessen vor vielfältigen Herausforderungen. Rettungsleitstellen und Notärzte übernähmen einen immer größeren Teil der ambulanten Patientenversorgung, sagte Notärztin Susanne Tilp von der Universitätsklinik Gießen der Deutschen Presse-Agentur. Hinzu kommen Fälle von Patientinnen und Patienten, die sich unwirsch oder sogar aggressiv gegenüber dem Personal von Rettungsdiensten und Notaufnahmen verhalten.
Notärztin Tilp hatte kürzlich das Rettungsdienstsymposium „Der Rote Patient“ organisiert – im Fokus dabei: die Versorgung von Menschen mit akuten Krankheits- oder Verletzungsbildern, die schon beim Eintreffen von Sanitäterinnen und Sanitätern beziehungsweise Notärztinnen und -ärzten eine rasche Diagnostik und medizinische Behandlung benötigen. Wie lassen sich hier mit professioneller Kommunikation die Abläufe gut verzahnen, um die Patienten von Anfang an bestmöglich zu versorgen und beim Eintreffen in der Klinik an die richtigen Stellen zu übergeben? Mit diesen Fragen beschäftigten sich die Spezialisten.
Hohe Erwartungen an Rettungsdienst
Erfahrungen zeigten allerdings, dass manche Menschen heute gesundheitliche Probleme nur schwer einschätzen könnten und hohe Erwartungen an Rettungsdienste hätten, die ihnen möglichst umfassend und schnell helfen sollen, sagt Tilp. Abhilfe versprächen sich manche dann von der Notaufnahme eines Krankenhauses, das unterschiedliche Fachabteilungen unter einem Dach vereinige. Dort könne es jedoch zu neuen Problemen kommen, weil die Patienten vielleicht längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, da tatsächliche Notfälle ihnen vorgezogen werden.
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet auch Mike Mann, Bereichsleiter Rettungsdienst des Landesverbandes des Deutschen Roten Kreuzes, das in Hessen mit 60 Prozent einen Großteil des Rettungsdienstes abdeckt. Insgesamt 637.509 Notfalleinsätze und Krankentransporte sowie mehr als 21 Millionen gefahrene Kilometer absolvierten die DRK-Helfer 2022 im Bundesland – Einsatzzahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor, doch dürften sie weiter gestiegen sein.
Dazu trage auch bei, dass immer häufiger auch bei Bagatellerkrankungen der Rettungswagen gerufen werde, so Mann. Häufiger als früher bekämen es Sanitäterinnen und Sanitäter dann mit unwirschen, überforderten oder ungeduldigen Patienten zu tun. Die Gründe dafür sind vielfältig – der Landarztmangel ist einer davon, die Alterung der Gesellschaft ein anderer. Gerade Menschen, die allein und relativ isoliert leben, könnten schnell an ihre Grenzen geraten, wenn es ihnen gesundheitlich nicht gut geht.
Kann ein neuer „Helpdesk“ die Retter entlasten?
Bereits seit einiger Zeit werden deshalb Ideen diskutiert, wie den Menschen gut geholfen und zugleich die Rettungsdienste entlastet werden können, wie Mann sagt. Mobile Fachkräfte, die in ländlichen Regionen Patientinnen und Patienten aufsuchen, sind eine Möglichkeit. Erste Hausarztpraxen, beispielsweise im Main-Kinzig-Kreis, setzen bereits auf solche Lösungen.
Hinzu kommen Angebote wie der Hausnotruf sowie Telenotärzte, die via Livestream direkt mit der Rettungswagenbesatzung kommunizieren und so dazu beitragen können, einen Notarzteinsatz vor Ort zu ersparen. Eine weitere Option wäre, die Notrufnummer 112 als eine Art Schaltzentrale oder „Helpdesk“ so zu organisieren, dass neben medizinischen auch andere Helfer eingebunden werden können, die vielleicht noch dringender benötigt werden, also etwa Psychologen oder Sozialarbeiter.
Klare Informationen im Notfall entscheidend
Tilp, die selbst als Notärztin an ihren Arbeitstagen zu Einsätzen im Landkreis Gießen und benachbarten Landkreisen unterwegs ist, hebt zudem die Bedeutung einer guten Kommunikation in Notfällen hervor. Wer einen Menschen in einer mutmaßlichen gesundheitlichen Notlage finde, sollte sich einen ersten Überblick verschaffen und seine Eindrücke möglichst klar, ruhig und sachlich telefonisch schildern. Ein korrekter Notruf ist so bereits wichtiger Teil der Ersten Hilfe, auf deren Bedeutung am „Internationalen Tag der Ersten Hilfe“ an diesem Samstag (14. September) weltweit aufmerksam gemacht werden soll.
Die Angaben können entscheidend für den Einsatz sein, denn in der Notfallmedizin gehe es vor allem darum, möglichst schnell eine „Arbeitsdiagnose“ zu stellen, um erste Behandlungsschritte auf den Weg zu bringen – ob es nun um einen Senior mit Schlaganfall geht oder ein Baby mit Atemstillstand.
Probleme mit aggressiven Patienten
Besonders schwierig wird es für das Rettungsdienstpersonal und die Notärztinnen und Notärzte, wenn sie während ihrer Einsätze und trotz Zeitdruck und hohen Einsatzzahlen dann noch Anfeindungen oder aggressivem Verhalten von Patienten oder deren Angehörigen ausgesetzt sind. Leider gehörten solche Vorfälle mittlerweile fast zum Alltag, sagt die Notärztin. Sie wisse von Patienten, zu denen Sanitäterinnen und Sanitäter nur unter Begleitung einer Polizeistreife fahren – aus Sorge vor möglichen Angriffen.
Gut erinnert sie sich auch noch an den Fall eines Patienten, der in der Notaufnahme des Uniklinikums ausgerastet sei und eine Krankenschwester schwer verletzt habe. Bei einem nächsten Symposium in Gießen will die Notärztin diese Thematik und mögliche Handlungsempfehlungen zum Thema machen.