Frankreich hat nach einer zwei Monate dauernden Regierungskrise einen neuen Premierminister – doch Michel Barnier ist wegen seiner vermuteten Abhängigkeit von den Stimmen der Rechtspopulisten umgehend in die Kritik geraten. Der ehemalige EU-Brexit-Unterhändler trage den Stempel „Von Marine Le Pen genehmigt“ – so stellte ihn zumindest die linke Tageszeitung „Libération“ am Freitag auf ihrer Titelseite dar.
Die Fraktionschefin der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN) hatte Barnier bereits am Vortag als einen „Mann des Dialogs“ gelobt. „Es ist ein Mann, der niemals den RN in den Dreck gezogen hat, mit ihm kann man reden“, urteilte Le Pen. Ihre Partei hatte angekündigt, zunächst auf ein Misstrauensvotum zu verzichten und dessen Regierungserklärung abzuwarten.
Barnier traf am Freitag sowohl mit Vertretern des rechten Lagers als auch mit Präsident Emmanuel Macron zusammen, um über die Zusammenstellung der neuen Regierung zu beraten. Einer der ersten Besucher war sein Amtsvorgänger Gabriel Attal in seiner Funktion als Fraktionschef des Regierungslagers. Die Gespräche seien „sehr gut und voller Energie“ gewesen, sagte Barnier anschließend. Mit der Ernennung einer Regierungsmannschaft wird nicht vor Beginn der kommenden Woche gerechnet.
Der sozialistische Parteichef Olivier Faure hingegen bekräftigte, dass das linke Wahlbündnis umgehend einen Misstrauensantrag gegen Barnier im Parlament einbringen wolle. Aus seiner Partei werde sich niemand an der Regierung beteiligen, sagte Faure dem Sender France Inter. „Der Präsident hat sich entschieden, den Schwerpunkt zur Rechten und Rechtsextremen zu verlagern“, betonte Faure mit Blick auf Macron, der Barnier am Donnerstag zum Regierungschef gemacht hatte.
Der Sprecher der linkspopulistischen Partei La France Insoumise Manuel Bompard verwies darauf, dass Barnier im Vorwahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2022 einen vorläufigen Einwanderungsstopp gefordert hatte. Dies sei „eine politische Linie, die sich dem rechten Rand annähere“, erklärte er.
Barnier kann zunächst auf die Stimmen des Präsidentenlagers und die seiner Partei, der konservativen Republikaner, rechnen. Doch diese ergeben noch immer keine absolute Mehrheit. Da die Linke bereits angekündigt hat, gegen ihn zu stimmen, ist der Premierminister rein rechnerisch darauf angewiesen, dass die Rechtspopulisten sich zumindest enthalten.
Dementsprechend hatte Barnier sich bei der Amtsübergabe bereit gezeigt, „alle politischen Gruppen zu respektieren“ und zugleich vor zu starker Abgrenzung der Parteien gewarnt. Barnier hatte sich in seiner Antrittsrede zudem von Macron distanziert, den er in der Vergangenheit scharf kritisiert hatte. Er versprach „Änderungen und Brüche“, ohne jedoch Details zu nennen.
Als Barnier sich für die Präsidentschaftskandidatur der Konservativen für die Wahl 2022 beworben hatte, hatte er Macrons Regierungsstil als „einzelgängerisch und arrogant“ angeprangert. „Jeder sollte an seinem Platz bleiben: Der Präsident sollte präsidieren, die Regierung regieren“, sagte er damals in Anspielung auf Macrons Drang, möglichst viele politische Entscheidungen selber zu treffen.
Macron hatte sich mit der Ernennung eines neuen Regierungschefs nach den vorgezogenen Parlamentswahlen mehr als sieben Wochen Zeit gelassen. Das Linksbündnis Neue Volksfront hatte die Wahl Anfang Juli gewonnen, aber keine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung bekommen. Im Parlament stehen sich nun drei verfeindete Lager gegenüber, von denen keines mehrheitsfähig ist: Das Regierungslager, das Linksbündnis und die Rechtspopulisten.