Filmfestspiele Venedig: Die Rückkehr von „Joker“: Joaquin Phoenix und Lady Gaga singen sich frei

Die Fortsetzung von „Joker“ ist ein Gefängnis-Musical mit wenig Action und Handlung. Dafür stellt sich Hauptdarsteller Joaquin Phoenix endlich mal wieder der Presse.

Die Filmfestspiele von Venedig bräuchten in diesem Jahr dringend mal einen Tag hitzefrei. Auch in der zweiten Woche des Festivals sinken die Temperaturen nicht mal in der Nacht unter 25 Grad, die „Biennale Cinema“ zerfließt in einer Schwitziennale. Das merken auch die Stars, deren Teams für Make-up und Garderobe sich neue Schmink-Tricks zulegen müssen und luftigere Stoffe für die Kleider und Hemden. Schweißflecken unter den Achseln und tropfende Gesichter will auf dem Roten Teppich nun wirklich niemand sehen. Erste Stimmen werden laut, das Festival angesichts des Klimawandels künftig in den Oktober zu schieben.

Daniel Craig 18:46

Für hitzige Diskussionen auf dem Lido sorgen derweil auch Lady Gaga und Joaquin Phoenix. „Joker: Folie à Deux“ heißt die heiß ersehnte Fortsetzung des Psychogramms über den Superschurken mit der Clownsfratze und trägt damit eine beidseitige Tollwut bereits im Titel. Doch den Triumphzug des ersten Teils vor fünf Jahren – er gewann in Venedig den Goldenen Löwen, Phoenix und die Filmmusik gewannen einen Oscar, weltweit verdiente er mehr als eine Milliarde Dollar an den Kinokassen – wird das Sequel wohl nicht wiederholen können.

Der „Joker“ will keine Witze mehr erzählen

Vom Nihilismus und der Anarchie von 2019 sind lediglich Spurenelemente übriggeblieben, der Böse von heute sitzt die meiste Zeit im Knast oder vor Gericht und muss sich von Wärtern und Mitinsassen schikanieren lassen. „Na, Joker, hast du heute keinen Witz für uns?“ Erst als er bei einem Besuch des Gefängnis-Chores eine blonde Frau (Lady Gaga) kennengelernt, die ihn in ihrer Fantasie offenbar schon länger anbetet, sieht er einen Fluchtweg: Endlich nicht mehr einsam, endlich Liebe, endlich mehr Farbe in einer Welt aus Düsternis und Brutalität, bei der Außenseiter wie er nie eine Chance hatten. Und so verwandeln sich in einer zauberhaften Szene für einen kurzen Moment selbst schwarze Regenschirme in bunte Tupfer.

Schaulaufen im heißen Venedig: Lady Gaga, „Joker“-Regisseur Todd Phillips und Joaquin Phoenix (v.l.n.r.) kurz vor der Weltpremiere
© Vittorio Zunino Celotto

Danach gibt es kaum mehr Handlung und nur zwei kurze Action-Szenen, der Rest ist Gesang. Sing Sing – das Musical? Nun, nicht ganz, aber während im ersten Aufguss Arthur Fleck alias Joker nur einmal kurz im Badezimmer und mit seiner Mutter tanzt, sind die Höhepunkte jetzt die inbrünstigen Duette und ein Walzer von Phoenix und Lady Gaga. Mit Interpretationen von Klassikern wie „(They Long to Be) Close to Me“ von Burt Bacharach und den Carpenters oder „That’s Entertainment“ aus dem Musical „Vorhang auf!“ von 1953, berühmt geworden durch Judy Garland.

Joaquin Phoenix hält souverän mit Lady Gaga mit

Der Amateursänger Phoenix hält dabei erstaunlich souverän mit der Berufsmusikerin Gaga mit. In der Tradition großer zeitgenössischer Musical-Paare wie Emma Stone und Ryan Gosling in „La La Land“ oder Rachel Zegler und Ansel Elgort in der Neuverfilmung von „West Side Story“ sind die beiden durchaus ebenbürtig. Sie habe ihre Gesangstechnik eher verlernen müssen für die Rolle, sagt Gaga, von Phoenix nur als „Stefanie“ angesprochen. „Ich musste vergessen zu atmen. Der Sound sollte direkt aus meiner Figur herausströmen.“

Clooney Pitt 6.33

Er habe sich vor allem inspirieren lassen von Frank Sinatra und Sammy Davis Jr., ergänzt Phoenix beim Gespräch mit der Presse, für das er im schlichten weißen T-Shirt erschienen ist. Draußen ist es erneut sehr warm und schwül. Dass der US-Amerikaner solche Termine eigentlich am liebsten vermeidet, wird rasch deutlich. Er antwortet so knapp wie möglich, murmelt und stottert manchen Fragen aus dem Weg. Oder knetet erst sekundenlang in seinem Gesicht herum, als wäre er gerade geweckt worden. Lady Gaga hat sich dafür mehr in Schale geworfen. Enges, schwarzes Kleid, auf den hellblond gefärbten Haaren thront ein schwarzes Barett. 

Er sieht aus wie ein knochiges Möbelstück

Nach dem Erfolg und der Popularität des ersten Teils sei er diesmal sehr viel nervöser gewesen, beichtet der Regisseur Todd Phillips, berühmt geworden durch seine drei „Hangover“-Komödien. Damals sei die Produktion unter dem Radar gelaufen, niemand habe genau gewusst, was für ein Projekt da gerade entstehe. „Nun sind die Erwartungen extrem hoch und alle Augen auf uns gerichtet“, sagt er.

Die Fans der ersten Stunde werden mit der Fortsetzung einige Probleme haben. Falls der Plan war, alle erneut zu überraschen und einen Film zu drehen, der die üblichen Superhelden-Formeln unterläuft, hat Phillips jedoch viel richtig gemacht. Wie sehr sich Phoenix dafür ins Zeug gelegt hat, wird schon am Anfang des über zweistündigen Dramas deutlich. Mit eingefallenen Wangen und herausstehenden Schulterblättern wirkt er in seiner Zelle wie ein knochiges Möbelstück.

Mehr als 21 Kilogramm hat er angeblich diesmal verloren. Mehr Details will er nicht verraten. „Es war auf jeden Fall sicher, ich habe mit einem Arzt zusammengearbeitet“, sagt er. „Aber ich bin jetzt 49 Jahre alt, also sollte ich so etwas wahrscheinlich nie wieder tun“. „Wir haben ihn mit Blaubeeren gefüttert, wenn er doch Hunger bekam“, sagt Lady Gaga lächelnd. Eine Vorstellung, bei der es einem fast ein wenig warm wird ums Herz.