Die Beziehung ist festgefahren und die Trennung scheint der einzige Ausweg. Wie erkennt man, ob es noch eine andere Lösung gibt? Die Expertin Dr. Annette Oschmann gibt Tipps.
Frau Oschmann, wann lohnt es sich, um eine Beziehung zu kämpfen?
Das ist die große Frage, die viele umtreibt. Gehen oder bleiben? Neustart oder die aktuelle Beziehung neu beleben? Ganz sicher lohnt es sich zu kämpfen, wenn ich noch etwas für den anderen fühle und mich auf ihn oder sie freue. Wenn ich außerdem sicher spüre, dass ich in meiner Beziehung gesehen und angenommen werde, so wie ich wirklich bin. Und wenn ich dieses grundsätzliche Gefühl habe, ja, wir haben gerade Themen, aber wir werden sie konstruktiv lösen können.
Ihr Buch „Du darfst gehen“ beschäftigt sich mit festgefahrenen Beziehungen. Was raten Sie Paaren, wenn diese erkannt haben, dass sie sich im Kreis drehen?
Viele haben das diffuse Gefühl, dass es „so“ in ihrer Partnerschaft nicht mehr weitergehen kann. An diesem Punkt ist innere Klarheit sehr wichtig, für beide. Wo stehen sie? Was zeichnet sie aus? Was sind ihre Eigenschaften, Träume, Wünsche und Bedürfnisse? Wie sieht es aus mit Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen, wenn sie an ein Beziehungsende denken? Das läuft im Grunde nach dem Zwiebelprinzip: von außen nach innen vortasten, um schließlich im Einklang mit sich selbst die richtige Entscheidung treffen zu können.
Ein häufiges Argument: „Es liegt nicht an der mangelnden Liebe, es ist nur der falsche Zeitpunkt im Leben“. Gibt es in Ihren Augen den falschen Zeitpunkt für eine Beziehung oder kann man immer die Kurve kriegen, wenn man will und Lösungen finden, wie es klappen kann?
Man kann immer die Kurve kriegen, wenn es eine sichere Basis der partnerschaftlichen Zuneigung gibt: Gegenseitiges Wohlwollen, echtes Interesse am anderen und der Wille, für die Beziehung einzutreten. Liebe darf sich einfach nur gut anfühlen, dann ist alles möglich und der Zeitpunkt spielt keine Rolle.
Annette Oschmann ist Coach und Mediatorin und unterstützt Menschen in herausfordernden Lebenssituationen wie Trennungen und persönlichen Konflikten. Die promovierte Juristin arbeitet zudem als Moderatorin in Kommissionen zu gesellschaftlich relevanten Themen des Kinder- und Jugendschutzes. Sie schreibt Bücher zu Familien- und Beziehungsthemen
© Sabine Maisenhälder
Was ist der häufigste Trennungsgrund?
Aus meiner Erfahrung ist der häufigste Trennungsgrund, dass sich beide in unterschiedliche Richtungen entwickeln und kein Verständnis mehr füreinander aufbringen. Direkt danach kommt die Situation, dass der andere schlicht der falsche Partner, die falsche Partnerin ist – und immer schon war. Es tut weh, sich das nach manchmal vielen Jahren der Partnerschaft einzugestehen, kann aber sehr heilsam sein.
Bei Trennungsschmerz ist es schwer, Liebe und Gewohnheit zu unterscheiden
Nach einer Trennung möchte man zurück zum Ex-Partner. Wie erkennt man, ob es Gewohnheit oder Liebe ist, die einen zurückzieht?
Es ist völlig normal, dass man nach einer Partnerschaft, auch nach einer guten Trennung, vorübergehend noch „irgendwie“ aneinander hängt. Man hat ja das Leben miteinander verbracht, und Trennung ist Verlust, auch für den, der geht. Viele wollen in dieser Situation glauben, dass es Liebe ist, die sie zurückzieht. Hier hilft wieder die innere Klarheit über mich selbst, der gute Kontakt zur eigenen Intuition. Wenn ich mit mir im Reinen bin und ehrlich hinschaue, kann ich selbst erkennen, ob es Liebe oder Gewohnheit ist. Aus meiner Erfahrung stellt sich dabei übrigens oft heraus, dass man der Gewohnheit hinterhertrauert.
Wie kann man eine Trennung akzeptieren, wenn innerlich alles „schreit“ und man zum Partner zurück will, der aber nicht mehr möchte?
Dieses innere „Schreien“ ist ein wahnsinnig schlechtes Gefühl, als sei man innerlich wund. Man möchte sofort alles tun, damit es aufhört. Viele betäuben sich dann mit Alkohol, Konsum, extremem Sport oder stürzen sich in die Arbeit. Besser ist es, dieses schlechte Gefühl als solches zu erkennen: Es ist da, es tut weh, aber es wird vorübergehen. Idealerweise lerne ich spätestens jetzt, mit schlechten Gefühlen konstruktiv umzugehen. Sie auszuhalten, zu beobachten und zu sehen, wie sie verschwinden. Das ist oft ein schwieriger Weg für einen Menschen. Viele haben das nie gelernt, sind aber nachher überrascht, wie gut das hilft.
„Du darfst gehen“ von Dr. Annette Oschmann ist eine Entscheidungshilfe für das innere GPS in kritischen Beziehungsphasen. Das Buch hilft dabei, eine solche überaus belastende Lebensphase emotional gut zu überstehen, gute Entscheidungen zu treffen und neue Lebensfreude zu finden.
Kann das „Schreien“ ein Anzeichen für etwas Bestimmtes sein?
Ja, tatsächlich. Wenn es innerlich zu laut schreit, es einen scheinbar zerreißt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man in einer toxischen Beziehung war. So paradox das klingt: Diese tut mir zwar nicht gut, aber die Trennung hieraus ist noch einmal deutlich schwieriger als jede andere Trennung. Daran sollte die Betroffene oder der Betroffene intensiv arbeiten, um frei zu werden, für eine neue, wohltuende Beziehung.
Was sind Ihre Top-Drei-Tipps gegen Liebeskummer?
Nummer eins ist Ablenkung. Bewusst neue Hobbys erkunden, Ausflüge machen, Neues ausprobieren. Das hilft, aus Gedankenschleifen herauszukommen und neu zu denken. Nummer zwei sind Freundinnen und Freunde. Ein guter Freundeskreis, der auffängt und mich immer wieder aus meinem Liebeskummer-Loch rausholt, hilft ungemein. Nummer drei ist klärendes Schreiben. Verarbeiten, was war. Gedanken und Gefühle notieren. Das entlastet viele innerlich sehr. Und toll wäre es, wenn man dabei den Dreh bekommt, sich zu fragen: Wie will ich sein, wenn ich mich das nächste Mal verliebe?
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