Im Medaillenspiegel hat Deutschland den Anschluss an die Top-Nationen verloren. Die Hoffnung ist aber groß, dass in den kommenden Tagen die Kehrtwende eingeleitet werden kann.
Sprinter Leon Schäfer schlug nach der verpassten Medaille die Hände über dem Kopf zusammen, Niko Kappel schlich trotz Silber mit gesenktem Kopf aus dem Innenbereich des Stade de France. Nicht nur diese beiden Aushängeschilder des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) konnten in der ersten Hälfte der Paralympischen Spiele in Paris ihre Bestleistung „nicht abrufen“, wie Schäfer bedauerte. Nur zweimal Gold steht bislang zu Buche. Das ist zu wenig, um das ausgegebene Ziel zu erreichen. Vor dem Start hatte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher nach Rang zwölf im Medaillenspiegel der Spiele von Tokio die Rückkehr unter die besten zehn Nationen ausgegeben.
„Was die Anzahl der Goldmedaillen angeht, sind wir natürlich ein bisschen hinter dem, was wir uns vielleicht gewünscht haben. Bei der Gesamtanzahl der Medaillen sind wir aber auf dem Weg“, sagte Karl Quade, Chef de Mission. Der 69-Jährige hofft, dass vor allem im Straßenrad-Rennen, der Leichtathletik und im Rudern die Erwartungen erfüllt werden können, um den Anschluss an die Top-Nationen noch einmal herzustellen.
Druck der Konkurrenz nimmt zu
Der kleinwüchsige Kugelstoßer Kappel ging als Weltmeister und großer Favorit in seinen Wettkampf, blieb aber 58 Zentimeter hinter Paralympics-Sieger Bobirjon Omonov und 1,33 Meter hinter seinem eigenen Weltrekord. Schäfer verpasste sowohl im Weitsprung als auch im Sprint über 100 Meter das anvisierte Edelmetall. Aber auch andere deutsche Para-Athleten hatten Schwierigkeiten.
Die Fortschritte der Konkurrenz sind unverkennbar. Hatte Deutschland in vielen Bereichen lange Zeit einen Vorsprung, ist dieser inzwischen aufgebraucht. „Der Druck wird größer, das merken wir schon. Das ist ja auch kein Geheimnis, wenn man sich den Medaillenspiegel anschaut“, sagte Kappel. „Viele Nationen, die man lange nicht auf dem Schirm hatte, geben jetzt Gas. Da müssen wir uns weiterentwickeln und schauen, wie wir weiter eine Rolle spielen können. Wir rutschen immer weiter nach hinten.“
Streng und die „Philosophie-Frage“
Eine Möglichkeit ist der Schritt in ein anderes Land. Anders als Kappel vom VfB Stuttgart trainiert Felix Streng beispielsweise in Großbritannien, weil er dort andere Möglichkeiten vorfindet. Er sieht seine Bronzemedaille über 100 Meter als Bestätigung und Lohn harter Trainingsarbeit. „Es geht um die Art und Weise, wie mein Trainer mit mir arbeitet. Wir sind dort eine sehr diverse, sehr internationale Truppe“, sagte Streng. „Ob es aber jetzt besser oder schlecht gibt, das will ich nicht sagen. Es ist eine Philosophie-Frage.“
Auch der 29-Jährige musste erkennen, dass die Weltspitze immer weiter zusammenrückt. Drei Zehntelsekunden lagen zwischen dem ersten und dem sechsten Rang, 0,01 Sekunden zwischen Silber und Bronze. Deswegen beurteilt er sein Rennen auch eher positiv. „Wenn man mit einer Medaille weggeht, dann hat man ein Weltklasse-Rennen gezeigt und ich glaube, dass muss man wertschätzen“, sagte Streng.
Die DBS-Teamkollegen müssten nun aber nachlegen, sagte Quade und fügte hinzu: „Es kommt wirklich darauf an, wie wir die letzten Tage bestreiten. Momentan hält es sich noch die Waage.“ Schließlich, so erinnerte er, habe es vor allem im Schwimmen mit Paralympics-Debütant Maurice Wetekam und den Goldmedaillen-Gewinnern Josia Tim Alexander Topf und Tanja Scholz auch positive Überraschungen gegeben.