In Braunschweig hat der Prozess gegen Ex-VW-Chef Winterkorn begonnen. Er selbst hat sich bisher kaum geäußert. Seine Verteidigungslinie: „nicht betrogen“ und „niemanden geschädigt“.
Eine knappe halbe Stunde vor Verhandlungsbeginn tritt Martin Winterkorn vor die Kameras im Landgericht Braunschweig, eingerahmt von seinen Anwälten. Er geht langsam, stockend, hat den Kopf gehoben, versucht ein zuversichtliches Lächeln. Doch es scheint ihm nicht ganz leicht zu fallen. Auf Fragen der Journalisten antwortet er knapp: „Gut“ gehe es ihm heute, aber die vergangenen Jahre seien schwierig gewesen. „Unser Mandant weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschieden zurück“, sagt sein Verteidiger Felix Dörr für ihn mit. Für die Verteidigung zumindest steht fest, dass Winterkorn „nicht betrogen“ und „niemanden geschädigt“ hat.
Dann betritt der ehemalige VW-Boss den Gerichtssaal. Winterkorn muss sich hier vor der Wirtschaftsstrafkammer im Zuge des Dieselskandals wegen mutmaßlichem gewerbsmäßigem Betrug, Marktmanipulation und uneidlicher Falschaussage verantworten. Hinter einer Glasscheibe haben schon einige Zuschauer Platz genommen, aber es sind auch noch Plätze frei. Der Saal wurde vorher extra von einem Polizeihund durchsucht, Zuschauer mussten durch einen Scanner wie am Flughafen gehen, alle Taschen wurden kontrolliert.
Schon seit 2021 stehen ehemalige Mitarbeiter und Manager von VW deswegen vor Gericht, nun auch „Mr. Volkswagen“. Eigentlich sollte Winterkorn mit den anderen Managern auf der Anklagebank sitzen. Doch wegen gesundheitlicher Probleme bekommt der 77-Jährige jetzt seinen eigenen Prozess, um zu klären, was er wann wusste und was er mit diesem Wissen angestellt hat.
US-Behörden hatten 2015 aufgedeckt, dass VW illegale Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerungssoftware seiner Fahrzeuge verbaut hatte. Die Affäre um die Schummel-Software – mal Akustikfunktion, mal Umschaltlogik genannt – kostete Volkswagen allein für die juristische Aufarbeitung mehr als 32 Mrd. Euro. Winterkorn trat 2015 wenige Tage nach Bekanntwerden zurück und übernahm damit die politische Verantwortung. Eine persönliche Verantwortung wies er stets zurück. „Winterkorn: Erst verdreckt er die Lüfte, jetzt hat er es an Knie und Hüfte!“, steht deswegen draußen vor dem Gericht auf einem Protest-Plakat. Eine Hand voll Menschen hat sich hier in grünen Warnwesten versammelt. Auf einem ihrer anderen Plakate steht: „Knast statt Rente!“
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Winterkorn wirkt ruhig und konzentriert
Winterkorn trägt einen dunkelblauen Anzug, weißes Hemd und blaue Krawatte, wie immer seine randlose Brille. Der Richter bittet ihn, seine Personalien zu nennen: „Mein Name ist Martin Winterkorn“, sagt er und hebt die Stimme als würde er eine Frage stellen. Der Richter gibt ihm vor, was er weiter sagen soll: Geburtsdatum, Wohnort, Familienstand. Dann beginnt Oberstaatsanwalt Michael Weber, die erste Anklage zu lesen. Insgesamt geht es um drei Anklagen wegen ebenjener Vorwürfe des gewerbsmäßigen Betrugs, einer uneidlichen Falschaussage und Marktmanipulation
Der Ex-VW-Chef schlägt die gelbe Mappe auf, die vor ihm liegt. Er liest die Anklage mit, unterstreicht und notiert zwischendurch etwas, legt konzentriert die Stirn in Falten. Nur selten schaut er hoch, lässt seinen Blick schweifen zum Richter oder in den Zuschauerraum. Dann leckt er einen Finger an und blättert um.
Winterkorn soll zu hohe Richtwerte wissentlich verschleiert haben
Insgesamt dauert die Verlesung der ersten Anklage knapp eineinhalb Stunden. In ihr geht es viel um die „gesondert Verfolgten“ in dem Verfahren, das bereits seit 2021 läuft. Zentral ist in dieser Anklage, dass Winterkorn schon 2014 von der Manipulation der Abgaswerte gewusst haben soll und nicht erst im September 2015 wie er bisher behauptet hat. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dass er Monate vor dem Auffliegen der Dieselaffäre genau wie weitere VW-Manager „hoffte, die Richtwerte weiter verschleiern zu können“.
Er sei somit wissentlich das Risiko großer finanzieller Auswirkungen für den VW-Konzern eingegangen, obwohl er für die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte hätte sorgen müssen. Winterkorn soll mehrmals entsprechende Notizen zu dem Thema erhalten und zur Kenntnis genommen, die Vermarktung der betroffenen Fahrzeuge aber nicht gestoppt haben.
Im Frühjahr 2015 habe es ein Gespräch unter anderem mit Friedrich Eichler, damals Ingenieur für Antriebstechnologie bei VW, über die Umschaltlogik gegeben, in dem Winterkorn nur gesagt habe: „Ihr Antriebsfritzen, was habt ihr jetzt wieder angestellt?“ Ausführungen darüber habe Winterkorn wieder zur Kenntnis genommen, den Verkauf der Fahrzeuge aber nicht gestoppt und wusste, dass die Manipulation weitergehe, so die Anklage.
Später soll ihm die Umschalttechnik zudem in einer Präsentation erläutert worden sein, zu der er keine Fragen stellte, sondern nur sagte: „Und das alles wegen dieser Software von Jelden.“ Gemeint ist Hanno Jelden, damals Leiter der Antriebstechnologie bei VW. Alle sollen sich bei diesem Meeting einig gewesen sein, die zu hohen Abgaswerte weiter zu verheimlichen. Winterkorn habe nur die Warnung ausgegeben: „Seid vorsichtig im Umgang mit den Behörden.“
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Fast 22 Mio. Euro Bonus
Vor Gericht reagiert Winterkorn kaum auf diese Vorwürfe, die sich direkt gegen ihn richten. Nur als es darum geht, dass er Käufer „wissentlich und willentlich“ getäuscht und im Unklaren gelassen habe, etwa darüber, dass die Fahrzeuge nicht einwandfrei funktionieren, hebt er kurz den Kopf und schaut zum Staatsanwalt.
Winterkorns Bonuszahlungen hingen vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ab, betont die Staatsanwaltschaft. Allein in den Jahren 2014 und 2015 habe er 21.915.200 Euro an Boni erhalten. Verbraucher mit manipulierten Fahrzeugen mussten diese hingegen umrüsten oder erlitten einen kompletten Wertverlust.
„Das war ziemlich lang, gebe ich zu“, sagt Winterkorn nach Verlesung der Anklage mit einem Lachen auf die Frage des Richters, ob er noch könne. „Aber ich bin noch aufnahmebereit.“
Es folgt die zweite Anklage, nur ein paar Minuten lang, von der Staatsanwaltschaft Berlin. Diese wirft Winterkorn vor, 2017 vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages uneidlich falsch ausgesagt zu haben. Eine uneidliche Falschaussage bedeutet, dass zwar kein Eid geschworen, aber vor einer zur Abnahme von Eiden befugten Stelle falsch ausgesagt wurde – was ebenfalls eine Straftat ist. Winterkorn soll damals gesagt haben, er habe erst im September 2015 davon erfahren, dass in VW-Dieseln Abschalteinrichtungen verbaut worden seien.
Als dann die Länge der Mittagspause diskutiert wird, scheint Winterkorn gelöst. Sein Anwalt Felix Dörr lässt der Presse ausrichten, er weise alle Vorwürfe zurück. Die erste Anklage habe ja auch kaum mit Winterkorn zu tun. Mit Mühe müsse man hier raussuchen, was ihn überhaupt betreffe.
Winterkorn will sich am Mittwoch äußern
Die dritte Anklage wird in einer Stunde und 45 Minuten verlesen. Es geht um Marktmanipulation. Viele Aspekte und Zeugenaussagen aus der ersten Anklage wiederholen sich. Der Vorwurf lautet hier, dass die Softwaremanipulation am 18.9.2015 durch eine Mitteilung von US-Behörden öffentlich wurde, VW gab aber erst am 22.9.2015 eine Ad-hoc-Mitteilung heraus, zu der börsennotierte Konzerne unverzüglich verpflichtet sind, wenn es um kursrelevante Informationen geht. Winterkorn soll dieser Verpflichtung durch die verzögerte Herausgabe nicht rechtzeitig nachgekommen sein und damit den Kapitalmarkt vorsätzlich nicht über Risiken durch Strafzahlungen informiert haben.
Am Mittwoch, dem zweiten Verhandlungstag, will Winterkorn nach Angaben seines Anwalts ein Statement abgeben. Insgesamt stehen bereits 89 Verhandlungstermine fest, bis zum 25. September 2025. Gut möglich, dass das Verfahren länger dauern wird. Bei einer Verurteilung droht Winterkorn schlimmstenfalls eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.