Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen triumphieren die Populisten. Mag das Ergebnis auch überraschungsfrei sein – es ist alles andere als frei von Bedeutung.
Gemessen daran, dass viele diese Landtagswahlen herbeifieberten, als ginge es um das Schicksal des Planeten, sind sie eher überraschungsfrei ausgegangen. Die Parteien derBundesregierung sind in Thüringen und Sachsen künftig teilweise unter den „Sonstigen“ zu finden. Die AfD räumt ab. Sahra Wagenknecht, die ewige Oppositionelle, kann – oder muss – mit ihrem Bündnis möglicherweise mitregieren, was in Thüringen in den kommenden Tagen und Wochen ein mittelschweres Chaos befürchten lässt.
Die Demokratie hat sich weitgehend an die Umfragen gehalten. Leider.
Denn überraschungsfrei heißt nicht frei von Bedeutung. Diese Wahlen sind ein Einschnitt. Fast die Hälfte der Wählenden in beiden Ländern hat ihr Kreuz bei extrem rechten und linkskonservativen Ressentimentmaschinen gemacht, bei Kräften, die es darauf angelegt haben, die offene Gesellschaft auszuhebeln. Ohne sie geht künftig fast nichts.
Blitzanalyse Thüringen Sachsen 1940
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist mit Friedensparolen zum Machtfaktor geworden, die klingen, als seien sie in Moskau entworfen worden. In Thüringen ist eine Truppe stärkste Kraft, die von einem Mann geführt wird, der sich zuweilen anhört, als sehne er sich nach 1933. Der Autoritarismus rückt vor. Wer daran noch zweifelte, hat es jetzt schwarz auf weiß.
Die CDU droht es zu zerreißen
Schon klar: Es gibt Gründe für das miserable Ergebnis manch etablierter Partei. Und wer die Republik jetzt kurz vor der Rückkehr zum Faschismus wähnt, verleiht den Rechten eine Macht, die sie nicht haben. In der Mitte brennt schon noch Licht. Aber es wird schwächer. In der FDP ist es fast ganz erloschen.
Der Druck auf die Mitte lässt sich zum Beispiel an der CDU besichtigen, für die der Wahlabend auf dem Papier halbwegs erfolgreich verlief, die sich aber in einem existentiellen Dilemma befindet. Sowohl in Sachsen wie auch in Thüringen dürften die Populisten nur mit überdehnten Koalitionen außen vor gehalten werden können, mit Dreierbündnissen, vielleicht sogar Viererbündnissen, die für die Rechten ein gefundenes Fressen wären und die Christdemokraten von innen zerstören könnten.
Schon einmal ist eine CDU-Chefin in Berlin an der Regierungsbildung in Erfurt gescheitert, auch für Friedrich Merz dürften die nächsten Wochen ein harter Test dafür werden, ob er seinen Laden unter Kontrolle hat. Verzichtet die CDU in Thüringen auf Wagenknecht, bliebe nur die AfD. Geht sie ein Bündnis mit Wagenknecht und der SPD ein, dürfte die AfD von Tag eins an versuchen, die CDU als linke Kraft zu schmähen. Wie soll das gut gehen?
Die SPD ist weit davon entfernt, im Moment an weitere Ministerpräsidenten zu denken. Sie muss zusehen, dass sie überlebt. Weil manche Sozialdemokraten schon fürchteten, aus beiden Landtagen zu fliegen, wirkt es jetzt wie ein großer Sieg, dass ihnen das erspart blieb. Wie absurd.
Die SPD könnte sich wenigsten mal wehren
In Thüringen und Sachsen sind die Genossen allenfalls noch Mehrheitsbeschaffer, im Bund haben sie einen Kanzler, dem Sprache und Stil zu fehlen scheinen, um gegen Alice Weidel und Sahra Wagenknecht zu bestehen. Es wäre ein schwerer Fehler der SPD, einfach weiterzumachen wie bisher, nur weil man in zwei ostdeutschen Ländern nicht in der kompletten Bedeutungslosigkeit verschwunden ist.
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Niemand muss selbst populistisch werden, um Populisten zu stellen und eine Zauberformel gegen Demokratiefeinde gibt es sowieso nicht. Aber der Kanzlerpartei ist es nicht verboten zu versuchen, sich wenigstens zu wehren. Durch mehr Klarheit und weniger Relativierung. Durch mehr Emotion und weniger Arroganz. Vielleicht würde es auch helfen, hin und wieder einen Anflug von gesundem Menschenverstand erkennen zu lassen statt sich an Koalitionsverträge zu klammern, als seien sie heilige Bücher. Und schießlich könnte die SPD auch mal wieder deutlich machen, wofür sie politisch eigentlich wirklich brennt, statt den „Kampf gegen Rechts“ zum Ersatzinhalt zu machen. Dass das nicht zieht, haben auch andere Landtagswahlen schon gezeigt.
Es stimmt: Bis zur nächsten Bundestagswahl kann noch viel passieren, die Demokratie ist stabiler als manche es darstellen und in anderen europäischen Ländern haben es Populisten plötzlich wieder schwer. Aber dieser Abend zeigt: Der Autoritarismus hat in Deutschland gerade erst angefangen.