Während der eine heult wie ein Schlosshund, gähnt der andere im Kino gelangweilt in die Popcorntüte. Der Psychologe Paul J. Zak erklärt, woran das liegt.
Ein Zeichentricklöwe betrauert den Tod eines anderen Zeichentricklöwens. Unrealistischer geht es kaum. Und trotzdem zählt die Szene aus „Der König der Löwen“, in der Simba versucht, seinen toten Vater Mustafa zu wecken, zu den traurigsten der Filmgeschichte. Der Walt-Disney-Klassiker hat Millionen Menschen zum Heulen gebracht und tut es noch. Es gibt diese Filme, die imstande sind, große Gefühle auszulösen. Sie provozieren Lachflashs, lassen Tränen kullern, sorgen für Angst und Schrecken. Zumindest bei manchen Leuten. Andere sitzen stumm daneben und fühlen irgendwie – nichts. Warum ist das so? Sind die einen einfach unsensible Holzklötze oder die anderen zu nah am Wasser gebaut?
Der US-Psychologe Paul J. Zak gilt als einer der führenden Köpfe bezüglich der Erforschung von Emotionen. Seit 20 Jahren setzt er sich mit den neurowissenschaftlichen Hintergründen auseinander. Dem stern hat er erklärt, wie es sein kann, dass emotionale Reaktionen so unterschiedlich ausfallen. Er nennt vier Gründe, die wesentlichen Einfluss darauf haben, wie wir auf Filme reagieren. Interview Drama 08.27
Vier Gründe, warum Menschen so unterschiedlich auf Filme, Musik und Co reagieren
Relevanz
„Wenn das Thema für den Betrachter von Bedeutung ist, wendet das Gehirn mehr Energie auf, um die Erfahrungen im Film zu verarbeiten, und dies führt in der Regel zu einer stärkeren emotionalen Reaktion“, sagt Zak. In der Neurowissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von „Top-Down-Kontrolle“. Dabei gibt der obere Teil des Gehirns (Kortex) den unteren Teilen, die in erster Linie Emotionen verarbeiten, die Anweisung, mehr Verarbeitungsenergie für die Erfahrung aufzuwenden.
Zak erklärt das anhand eines Beispiels: „Bevor ich Kinder hatte, waren Kinder für mich im Leben und in Filmen unsichtbar. Als ich dann meine eigenen Kinder hatte und mich emotional sehr mit ihnen beschäftigte, löste ein Film, in dem ein Kind Schwierigkeiten hat, verletzt wird oder ähnliches, eine starke emotionale Reaktion in mir aus. Denn es ist ein relevantes Thema in meinem Leben.“
Umgebung
Auch das Umfeld, die äußere Umgebung, spielt laut Psychologe Zak eine Rolle. „Menschen werden von den Reaktionen anderer beeinflusst und reagieren emotional stärker, wenn sie einen Film mit einem großen Publikum sehen, als wenn sie ihn alleine sehen“, erklärt er. Es komme also darauf an, wo man den Film sieht. Kinosäle seien so konzipiert, dass sie eindringlich sind – mit großen Leinwänden und großartigen Soundsystemen. Beides verstärke die emotionalen Reaktionen im Vergleich zu einem Film zu Hause, selbst wenn man diesen in einer Gruppe von Menschen sehe.
Persönlichkeitsmerkmale
Zaks Forschungen hätten gezeigt, dass Menschen mit einer sehr aggressiven und empathischen Persönlichkeit in jeder emotionalen Situation stärker reagieren. Diese Eigenschaften seien größtenteils genetisch bedingt, sagt er. „Diese Menschen sind warmherzig, nett und haben viele Freunde. Außerdem weinen und lachen sie viel bei Filmen.“Neurowissenschaft Wochenende_14.45
Körperliche Voraussetzungen
Die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren, sei weitgehend eine Funktion des präfrontalen Kortex des Gehirns, so Zak. Die präfrontale Kontrolle lasse nach, wenn man müde, hungrig, wütend, verängstigt oder in anderen energetisch intensiven inneren Zuständen ist, die unsere Fähigkeit, unsere emotionalen Reaktionen zu kontrollieren, beeinträchtigen. „Während eines Films im Flugzeug zu weinen, ist aufgrund des Flugstresses, des Schlafmangels und manchmal auch des Nahrungsmangels nicht ungewöhnlich“, erklärt er.
Junge Menschen hätten weniger präfrontale Kontrolle und seien daher emotionaler. Ältere Menschen über 60 verlieren laut Zak allmählich die präfrontale Kontrolle und seien daher ebenfalls emotionaler. Zudem erhöhe ein hoher Östrogenspiegel die emotionalen Reaktionen. Das geschehe zweimal im Monat während des natürlichen Menstruationszyklus. Bei Frauen sei der Östrogenspiegel natürlich höher als bei Männern.
Immersion: Was unsere Emotionen auslöst
Emotionen gehen von vielen Stellen im Gehirn aus und aktivieren ein großes Netzwerk. Psychologe Zak nennt das „Immersion“. Die Kernkomponenten dieser neurologischen Immersion sind einerseits die Aufmerksamkeit für den Film, andererseits die emotionale Resonanz, die der Film beim Zuschauer erzeugt. Diese beiden Komponenten seien mit den Wirkungen von den zwei Neurochemikalien Dopamin und Oxytocin verbunden. „Sie führen zu einem schnellen Wechsel von emotionalen Reaktionen, die sich unter anderem als Lachen, Weinen, Glucksen und durch Veränderungen der Atmung äußern“, sagt Zak.
Das sei auch der Grund dafür, warum wir den Kinosaal bei hochemotionalen Filmen erschöpft, aber auch zufrieden verlassen. Die Immersion löse ein emotionales Wechselbad der Gefühle aus, das im wirklichen Leben selten sei. Das sei „ein Grund dafür, dass wir Filme sehen, die im Vergleich zum Lesen eines Romans multisensorisch sind“.STERN PAID 15_24 Depression Fotostrecke 11:24
Empathie kann man durchs Filmschauen trainieren
Sind Menschen im echten Leben mitfühlend, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie auch beim Filmeschauen eine Achterbahnfahrt der Gefühle erleben können. Und nicht nur das. Tendenziell seien sie auch „glücklicher, haben mehr Freunde und leben länger“. Wie empathisch jemand ist, ist allerdings größtenteils genetisch bedingt. Forschungsergebnisse von Zak und anderen weisen aber daraufhin, dass Empathie „schulbar“ sein könnte, wir das Mitfühlen also erlernen können.
Demnach zeigten Forschungsergebnisse, dass „wir durch Spitzenwerte bei den Immersionsreaktionen unsere Gehirne darauf trainieren, im wirklichen Leben empathischer zu sein“. Das sei durch Filme möglich, aber auch durch Bücher, Podcasts, Musik. Zak zieht daher den Schluss, dass es nicht nur für den Einzelnen gut ist, mehr Filme zu sehen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. Schließlich würden empathische Menschen andere mit mehr Sorgfalt und Fürsorge behandeln, was die sozialen Bindungen stärke.
Der US-Forscher geht davon aus, dass der Mensch diese emotionalen Erfahrungen auch sucht, um mehr zu fühlen, ein tiefgründigeres Leben zu führen und um interessanter zu sein. Er sagt: „Ich unterhalte mich lieber mit einem Soldaten, der während der Filmvorführung von ‚Dunkirk‘ weint, als mit einem 20-jährigen jungen Mann, der im Publikum nach einem Mädchen sucht, mit dem er reden kann.