Fernsehdebatte: Nur Höcke fehlte: So lief der finale TV-Wahlkrimi in Thüringen

Keine 100 Stunden vor der Thüringer Landtagswahl traten bei ntv die Spitzenkandidaten gegeneinander an. Es ging erwartungsgemäß hoch her. Einer allerdings fehlte: AfD-Landeschef Björn Höcke.

Da steht er nun in der Weimarhalle und sieht ein wenig verloren aus: Stefan Möller, Rechtsanwalt aus Erfurt, Landtagsabgeordneter der AfD – und Co-Landesparteichef von Björn Höcke. Er soll erklären, was nur schwer erklärbar ist: Warum ist sein Spitzenkandidat Björn Höcke an diesem Mittwochnachmittag nicht nach Weimar gekommen, um mit den anderen Spitzenkandidaten zu streiten?

Möller tritt in den Saal, aus dem gleich übertragen wird. Also, was ist mit Höcke? „Ich bin ja auch kein Arzt“, sagt er dem stern. „Ich weiß nur, dass er die ganze Nacht nicht schlafen konnte.“

Das ist eine ziemlich erstaunliche Antwort. Aber Möller wiederholt sie sogar nochmal, als ihm Moderator Nikolaus Blome kurz darauf dieselbe Frage stellt. Und sagt noch dazu: „Selbst Rechtspopulisten“ dürften doch auch einmal eine „gesundheitliche Schwäche“ zeigen. 

AfD-Landeschef Björn Höcke auf einem Wahlkampfauftritt in Sonneberg.

Damit beginnt also die letzte große TV-Debatte vor der Landtagswahl am 1. September. Dabei sind die Spitzenkandidaten aller Parteien, die in einem deutschen Parlament sitzen – außer Höcke. Die Einladung von ntv und dem Privatsender Antenne Thüringen stand seit Monaten, und sie war auch von Höcke angenommen worden. Doch dann, am Tag der Debatte, ließ er seine Absage übermitteln, aus „gesundheitlichen Gründen“. Statt ihm komme Möller.

Immerhin, Höcke erwartet offenkundig eine rasche Genesung. Keine 24 Stunden später, am Donnerstagnachmittag, will er schon wieder auftreten, auf einer AfD-Kundgebung in Nordhausen. „Ab morgen soll der Wahlkampf wie geplant fortgesetzt werden“, schrieb sein Parteisprecher kurz nach der Absage auf X. 

Zeigt die Absage Nervosität? Tatsächlich wurde Höcke zuletzt in den Talkrunden hart angegriffen. Und er sah dabei oft nicht gut aus. Insbesondere CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt versucht sich als sein Hauptgegner zu etablieren. Die Entscheidung falle zwischen der Union und der AfD, erzählt er seit Monaten. Die Linke mit ihrem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow sei draußen. 

Ramelow: Björn Höcke lügt schamlos in die Kamera

Jüngster Konfliktfall: Höcke hatte sich auf einer Wahlkampfveranstaltung über die Firmenkampagne „Made in Germany – Made by Vielfalt“ echauffiert und gerufen: „Ich hoffe, dass diese Unternehmen in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen.“ Voigt warf daraufhin dem AfD-Landeschef in einer Spitzenkandidatenrunde des MDR vor, der Thüringer Wirtschaft schaden zu wollen – was Höcke wiederum als „Lüge“ zurückwies. Die von ihm angegriffenen Konzerne wie Stihl, Vorwerk und Miele besäßen ja gar keine Standorte im Bundesland.

Doch natürlich sind an der Kampagne auch Unternehmen beteiligt, die in Thüringen tätig sind, sei es das Logistik-Unternehmen Fiege oder die Drogeriekette Rossmann. Höcke hatte, mal wieder, sich rhetorisch verrannt. Auch Ramelow stieg bei X darauf ein: „Björn Höcke lügt. Schamlos lügt er in die Kamera. Und lügt und lügt und lügt! Charakterlos.“

Dass das Thema in Weimar bei einer Teilnahme Höckes erneut zur Sprache kommen würde: Das war vorhersehbar – und störte nun offensichtlich die Nachtruhe. Ohne den AfD-Spitzenkandidaten diskutiert die Runde über die Folgen des Terroranschlags von Solingen, den Mangel an Fachkräften und den Unterrichtsausfall an den Schulen. Die Fragen kommen von Menschen aus Thüringen, die von dem Privatsender in den vergangenen Wochen eingesammelt wurden.

Es steht viel auf dem Spiel in Thüringen

Zwischenzeitlich droht die Stimmung zu kippen. Ramelow zeigt sein berüchtigtes Temperament, als er mehrfach von FDP-Landeschef Thomas Kemmerich unterbrochen wird – also jenem Mann, der kurzzeitig ein von der AfD gewählter Ministerpräsident war und gegen den Willen seiner Bundespartei erneut antritt. „Unglaublich und unfassbar, dass Herr Kemmerich vergisst, welcher Verantwortung er für das Chaos hier in Thüringen hat!“, ruft der Regierungschef, der seit gut viereinhalb Jahren eine Minderheitsregierung führt. 

Es steht wieder einmal viel auf dem Spiel in Thüringen, für die beteiligten Parteien, aber für allem für das Land. Laut den Umfragen liegt die AfD stabil seit Monaten mit 30 Prozent vorne. Um den für die Regierungsbildung entscheidenden Platz 2 streiten sich vor allem Union und das Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW. Je nach Meinungsforschungsinstitut liegt die CDU zwischen 21 und 23 Prozent, während das BSW zwischen 17 und 20 Prozent verortet wird. Die Linke unter Ministerpräsident Bodo Ramelow liegt hingegen nur zwischen bei 13 und 16 Prozent.   

Kolumne Nahost 4 16:39

Dahinter wird die Luft dünn. Die SPD hält sich mit 6 bis 7 Prozent nur noch knapp über 5-Prozent-Hürde. Die Grünen sind mit 3 bis 4 Prozent bereits darunter gerutscht, genauso wie FDP, die noch schlechter dasteht. 

Damit stellen sich vor allem zwei Fragen. Erstens: Gewinnen AfD und Linke wie schon 2019 die meisten Mandate im Parlament? Dann wären, sofern die sogenannte „Brandmauer“ und der Abgrenzungsbeschluss der CDU beachtet werden, wieder keine Mehrheitsregierung möglich. Das Land rutschte damit automatisch in eine Regierungskrise. 

Zweitens: Schafft die AfD, mehr als ein Drittel der Mandate im Landtag zu besetzen? Dann besäße eine teils rechtsextremistische Partei die sogenannte Sperrminorität. Das heißt, sie könnte unter anderem Verfassungsänderungen oder Richterwahlen blockieren – oder müsste eingebunden werden.

Nach der aktuellen Umfragelage könnten beide Szenarien gerade so vermieden werden. Käme es so, wie es zuletzt Forsa im Auftrag von RTL und stern erhob, könnte die CSU mit dem BSW und der SPD regieren. Die AfD wiederum würde die Sperrminorität knapp verfehlen. 

Forsa-Grafiken-Landtagswahlen 12.52

Am Ende geht es womöglich nur um ein paar tausend Stimmen. Entsprechend oft konzentriert sich die Debatte auf den Mann, der Höcke zu vertreten hat. „Wenn die AfD an die Macht kommt, werden viele Menschen Thüringen verlassen“, sagt etwa die grüne Spitzenkandidatin Madeleine Henfling. Auch BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf wirft der AfD „eine perverse Zuspitzung“ und „Hassgerede“ vor, das in Thüringen nicht Fuß fassen solle, sonst würde etwa im Gesundheitsbereich noch mehr Personal fehlen. CDU-Mann Voigt ergänzt, dass jeder vierte Klinikarzt Migrationshintergrund habe. 

Möller versucht, dagegen zu halten. „Kein vernünftiger Mensch hat Angst vor der AfD“, sagt er. Schließlich kommt Voigt doch noch dazu, Höckes Satz zu den Unternehmen zu geißeln. Das sei „Gift für das Land“, sagt er. 

Aber warum, fragt Moderator Blome nach, schließe dann die CDU auch eine Koalition mit der Linkspartei aus – aber nicht mit dem BSW? Voigt mäandert, weicht aus. „Ein Weiter so darf es nicht geben“, sagt er. 

BSW-Spitzenkandidatin Wolf zeigte sich bereit für Gespräche, schränkte jedoch ein: Die AfD sei insbesondere in Thüringen „nicht regierungsfähig, denn sie sei „zutiefst faschistisch“. Auch die anderen Kandidaten erteilten einer Zusammenarbeit mit der AfD eine Absage, ließen Präferenzen für bestimmte Koalitionsmodelle aber nicht durchblicken. Sie wissen ja auch noch nicht, wohin die Reise möglicherweise geht – aber durchaus, dass es kompliziert werden könnte.