Tödliche Messerattacke: Debatte über Asylpolitik nach Solingen-Anschlag

Nach dem Anschlag von Solingen steht auch die Asylpraxis in NRW im Fokus. Flüchtlingsministerin Paul will die Medien informieren. Im Landtag wird zudem eine Sondersitzung angesetzt.

Nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag mit drei Toten in Solingen rücken die politische Aufarbeitung und mögliche Konsequenzen in Nordrhein-Westfalen in den Fokus. Noch für diese Woche hat die schwarz-grüne NRW-Landesregierung eine Sondersitzung des Landtags beantragt. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) wolle das Plenum über vorliegende Erkenntnisse unterrichten, hieß es aus Regierungskreisen. 

Flüchtlings- und Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) will am Nachmittag – vier Tage nach der tödlichen Messerattacke – vor Kameras über den aktuellen Sachstand informieren. Dabei richtet sich der Blick auch auf die Asylpraxis in NRW. 

Landtag arbeitet Anschlag auf

Für Wüst sei der Anschlag von Solingen nicht nur das größte Unglück in Nordrhein-Westfalen seit der Flutkatastrophe 2021, sondern auch eines der einschneidendsten Ereignisse der Landesgeschichte, hieß es weiter aus Regierungskreisen. Wüst sei es ein wichtiges Anliegen, dass das Landesparlament über die Erkenntnisse dazu informiert werde und über Schlussfolgerungen berate. Viele Menschen seien nach dem Anschlag verunsichert. Die Politik müsse in einer solchen Zeit Haltung zeigen und konsequent handeln.

Bereits für Donnerstag ist eine gemeinsame Sondersitzung des Innen- und Integrationsausschusses im Landtag zu dem Anschlag von Solingen angesetzt. Die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP hatten unabhängig voneinander Anträge für eine Sondersitzung gestellt.

Am Freitagabend hatte ein Mann auf einem Stadtfest in Solingen auf Umstehende eingestochen und drei Menschen getötet. Acht Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Mutmaßlicher Täter ist ein 26-jähriger Syrer, der Ende 2022 über Bulgarien nach Deutschland gekommen war. Er sollte nach den EU-Asylregeln eigentlich nach Bulgarien überstellt werden. Dies geschah jedoch nicht, weil der Mann am vorgesehenen Tag im Juni 2023 nicht angetroffen wurde. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Mordes und wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Diese reklamierte den Anschlag für sich.

Bekennervideo wohl nahe Tatort aufgenommen

Die Ermittler setzten am Dienstag die Spurensuche vor Ort fort. An einem gesperrten Fußgängertunnel rodeten Polizisten eine mannshohe Hecke, wie ein dpa-Reporter vor Ort berichtete. Dort soll das Bekennervideo entstanden sein, das der IS nach dem Anschlag verbreitet hatte. 

Die Stelle liegt wenige Hundert Meter vom Tatort entfernt und weist auch nach Angaben eines dpa-Reporters Übereinstimmungen mit dem Video auf. Der Tunnel liegt in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft, in der der mutmaßliche Täter Issa Al H. wohnte. Man habe neue Hinweise erhalten und wolle bestimmte Bereiche jetzt noch einmal neu in Augenschein nehmen, hatte die Polizei zuvor angekündigt. 

Vier Tage nach dem Anschlag wurde auch die Bühne am Tatort abgebaut. Der Täter hatte am Freitagabend unmittelbar vor der Bühne zugeschlagen. Auf der Bühne lief während des Anschlags ein Konzert. 

Debatte über Konsequenzen

Wüst hatte nach der Messerattacke konkrete Konsequenzen in der Asyl- und Sicherheitspolitik angemahnt. Fristen, bürokratische Hemmnisse und Schlupflöcher machten es Behörden vor Ort schwer, auch nur nach Europa abzuschieben, hatte er gesagt. Es müsse möglich werden, Menschen auch in Teile Syriens und nach Afghanistan abzuschieben. In dem konkreten Fall werde geschaut, ob alles richtig gelaufen sei. „Wenn was schiefgelaufen ist, muss das auch klar benannt werden.“

Flüchtlingsministerin Paul hatte nach dem Anschlag von Solingen in einem schriftlichen Statement eine Überprüfung der EU-Regeln zur Asylzuständigkeit gefordert. Die Rückführungen nach den sogenannten Dublin-Regeln seien ein rechtlich äußerst komplexer Vorgang, an dem unterschiedliche Ebenen und Behörden beteiligt seien. 

Unabhängig davon prüfe man derzeit, ob es bei der Anwendung der Regeln im Fall des mutmaßlichen Attentäters von Solingen zu Fehlern gekommen sei. Diese müssten lückenlos benannt und aufgeklärt, die nötigen Maßnahmen müssten eingeleitet werden, so Paul.

Scholz und Merz treffen sich

Auch in Berlin ging die Debatte über Konsequenzen aus dem Messeranschlag weiter. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz trafen sich für gut eine Stunde im Kanzleramt. 

Der CDU-Chef hatte der Ampel-Regierung nach der Messerattacke erneut eine Zusammenarbeit in der Migrationspolitik angeboten und einen Forderungskatalog vorgelegt. Er enthält einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan und die generelle Möglichkeit, abgelehnte Asylbewerber wieder in diese beiden Länder abzuschieben. Wie ein solcher Aufnahmestopp rechtlich umgesetzt werden soll, ließ Merz aber offen.