Was heute normal ist, war für Charles Lindbergh vor knapp 100 Jahren lebensgefährlich: Seine Atlantik-Überquerung machte ihn zur Legende. Er starb verbittert – doch mit einem Geheimnis.
Weltgeschichte schreiben, das kann man sich im Falle des Piloten Charles Lindbergh wohl auch als zwischendurch regelrecht langweilige Durststrecke vorstellen. 33 Stunden und 32 Minuten nach dem Start in New York erreichte der Amerikaner am 21. Mai 1927 nach 5.750 Kilometern mit seinem einmotorigen Flugzeug „Spirit of St. Louis“ die Stadt Paris. Damit hatte er als Erster allein und ohne Zwischenstopp den Atlantik überquert und wurde zum Weltstar. Vor 50 Jahren, am 26. August 1974, starb der Held der Luftfahrt.
8,43 Meter lang war Lindberghs Maschine mit dem 237 PS starken Wright-Whirlwind-Neun-Zylinder-Sternmotor. Über seinen Jahrhundertflug sagte der Luftfahrtpionier: „Manchmal flog ich zehn Fuß über dem Meer, manchmal war ich 10.000 Fuß hoch. Doch ich habe während meines ganzen Flugs kein einziges Schiff getroffen.“ Nur nachts habe er gelegentlich die Lichter von Schiffen gesehen. „Ich habe keine Minute lang geschlafen und auch kein Koffein oder ein anderes Aufputschmittel genommen, die ich mitgenommen hatte.“
Lindbergh nicht der erste Atlantikflieger
Der Amerikaner war nicht der erste Atlantikflieger: Schon 1919 hatten von Neufundland aus zwölf Besatzungen versucht, das Meer zwischen Amerika und Europa zu überfliegen. Eine Crew stürzte gleich nach dem Start ab, drei andere mussten notwassern. John Alcock und Arthur Brown flogen mit einem umgebauten Bombenflugzeug Vickers Vimy am 14. und 15. Mai 1919 von Neufundland nach Irland. 16 Stunden und 27 Minuten dauerte diese erste Nonstop-Atlantik-Überquerung über 3.032 Kilometer. Doch davon spricht heute kaum noch jemand: Lindberghs Ruhm überstrahlte alle und alles – bis heute.
Der im Jahr 1902 geborene Lindbergh, der sich öffentlich als unbekümmerter großer Junge und als Haudegen präsentierte, war ein erstklassiger Flieger, exzellenter Techniker und alles andere als ein Hasardeur. Dass er den Flug überstand, verdankte er – neben der Qualität des Motors – einer beispiellosen Physis und seiner mentalen Stärke. Keinen Augenblick zweifelte Lindbergh an sich, Stunde um Stunde rechnete er und befahl sich selbst: Durchhalten.
Das war Lindberghs eigentliche Leistung. Er musste mit zahllosen Widrigkeiten fertig werden: Flügel und Motor versperrten ihm die Sicht nach vorn – ein Periskop ermöglichte ihm die Sicht bei Start und Landung. Radio und Funk gab es an Bord nicht.
Hunderttausende Franzosen jubeln Lindbergh zu
Doch moderne Medien brauchte es nicht – zumindest nicht, um die nahende Sensation in Paris bekannt zu machen. „Wir hatten von Cherbourg schon gehört, dass Lindbergh gegen 20.30 Uhr die Küste überflogen hatte. (…) Um 22.15 Uhr hörte ich das leise klopfende Geräusch eines Flugzeuges. Schon seit über einer Stunde wartete eine unüberschaubare Menschenmenge auf Lindbergh – es war unvorstellbar“, sagte Fernand Sarrazine am 21. Mai 1927. Er war Chefmechaniker des Flughafens Paris Le Bourget.
Kurz danach folgte die Landung. 200.000 Franzosen jubelten Lindbergh zu. Charles Lindbergh, der mit 25 Jahren zum Helden wurde, heiratete 1929 die Millionärstochter Anne Morrow. Doch nach der Entführung und Ermordung seines 19 Monate alten Sohnes 1932 legte sich ein Schatten über das Leben der Familie. Für die Tat wurde der deutsche Zimmermann Richard Bruno Hauptmann 1936 hingerichtet – er hatte bis zuletzt seine Unschuld beteuert. Mit seiner Frau hatte Lindbergh weitere fünf Kinder.
Lindbergh führte Doppelleben
Lindbergh wurde später mit rassistischen und antisemitischen Kommentaren einer der prominentesten Sprecher der reaktionären Bewegung „American First Committee“. Lindbergh, Idol einer Generation, vereinsamte zunehmend. Nach Ernennung zum Brigadegeneral und einer Führungsrolle bei einer US-Fluggesellschaft zog er mit seiner Frau in den letzten Jahren seines Lebens auf eine kleine Hawaii-Insel – und verbitterte dort. 1974 starb der Luftfahrtpionier im Alter von 72 Jahren.
Doch das sollte es noch nicht gewesen sein. Knapp 30 Jahre später, im August 2003, enthüllte die „Süddeutsche Zeitung“, dass der Amerikaner 17 Jahre lang bis zu seinem Tod weitgehend unbemerkt ein Doppelleben führte. 1957 hatte Lindbergh in München die 24 Jahre jüngere Hutmacherin Brigitte Hesshaimer kennen und lieben gelernt. Ihre Kinder Dyrk, Astrid und David hatten den Vater nur unter dem Pseudonym „Careu“ gekannt. Und selbst dem Biografen Lindberghs blieb das Geheimnis verborgen.