Mit Küchenhandtüchern vermummt soll sich der Täter von Solingen zum IS bekennen. Die billige Machart des Bekennervideo irritiert – spricht aber für die Echtheit des Clips.
Das Messerattentat von Solingen mit drei Toten erschüttert weiter die deutsche Gesellschaft – und ihr Gefühl von Sicherheit. In einem Bekennervideo beansprucht der Islamische Staat (IS) die Tat nun für sich. Die billige Umsetzung lässt zunächst stutzen. Doch tatsächlich passt sie genau in die jüngste Strategie der Terrorgruppe.
Das Bekennervideo könnte allerdings kaum billiger wirken. Mit zwei Küchentüchern hat sich eine Person vermummt, nur die Augen sind zu erkennen. Während sie auf Arabisch den Westen verteufelt und dem IS-Anführer die Treue schwört, fuchtelt sie mit einem Schwert herum – das aber aus Plastik oder Blech zu sein scheint. Im Hintergrund stehen Haushaltsgegenstände oder Putzeimer herum. Offenbar wurde der Clip in einer Besenkammer aufgenommen. Doch obwohl die Echtheit des Videos bisher nicht bestätigt wurde, spricht die einfache Machart eher dafür als dagegen.Interview Hans-Jakob Schindler 06.03
Video zum Anschlag in Solingen: Bekenntnis zum IS
Denn obwohl man mit Terrorgruppen wie dem Islamischen Staat oder Al-Qaida hochprofessionelle Arbeit in den sozialen Netzwerken und der medialen Darstellung verbindet, gilt das längst nicht für alle Terrorakte, die mit den Gruppen zusammenhängen. „Der IS verübt drei Arten von Anschlägen: Einen organisierten Angriff wie jüngst auf den Konzertsaal in Moskau. Dabei werden Leute im Ausland rekrutiert, trainiert und dann ins Zielland geschickt, um dort zuzuschlagen. Die zweite Art ist ein angeleiteter Anschlag, wie er wohl auf die Taylor-Swift-Konzerte in Wien geschehen sollte. Die Attentäter leben in ihrem Heimatland, nehmen von dort Kontakt zur Terrororganisation auf und werden dann vom Ausland aus angeleitet und beraten“, erklärt der Extremismus-Experte Hans-Jakob Schindler im Gespräch mit dem stern. „In Solingen haben wir die dritte Version gesehen, einen inspirierten Anschlag.“ Das vollständige Gespräch finden Sie hier.
Während die ersten beiden Taten vom IS geplant oder direkt unterstützt werden, handelt bei der dritten Art der Täter alleine. „Der Attentäter radikalisiert sich ohne Kontakt zum IS, entscheidet sich zu einem Anschlag und erklärt erst kurz vor der Tat seine Loyalität mit den Terroristen“, so der Experte. Und auch die Bekennervideos entstehen entsprechend in Eigenregie, werden erst nach der Tat auf den offiziellen IS-Kanälen wie der eigenen Nachrichtenagentur Amaq verbreitet.
Das würde auch zu den nun veröffentlichten Clips passen: Der mutmaßliche Täter, der aus Syrien stammende Issa al H., war in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht, bevor er sich am Samstag Abend der Polizei stellte. Aufwendige Videos zu drehen, ist dort nicht möglich – vor allem, wenn man keinen Verdacht erregen will. Eine Besenkammer und Küchenutensilien müssen dann im Zweifel ausreichen. In zwei weiteren Clips verzichtet der mutmaßliche Täter selbst darauf: Hier filmt sich eine Person selbst, wie sie auf der Straße unterwegs ist, das Gesicht wurde erst im Nachhinein gepixelt. Auch die Echtheit dieser Clips wird nun von der Polizei untersucht. Das stark beschädigte Smartphone des mutmaßlichen Täters erschwert allerdings die Ermittlungen.
IS setzt auf Radikalisierung
Dass die Täter sich selbst radikalisieren, heißt aber nicht, dass der IS seine Finger nicht selbst im Spiel hat. „Der IS hat aktuell die ausgeklügelste Propaganda-Maschine unter den Terrororganisationen“, erklärt etwa Matthew Olsen, der stellvertretende Oberstaatsanwalt für Nationale Sicherheit der USA. Die Effektivität dieser Strategie wurde bereits ausführlich wissenschaftlich belegt.
Die Terrororganisation befeuert gezielt in Kanälen bei Telegram und den sozialen Netzwerken den Hass auf den Westen, unterstützt potenzielle Attentäter mit Anleitungsvideos. In den abstoßenden Tutorials wird nicht nur erklärt, wie man Menschen mit Messern besonders effektiv tötet: In manchen werden wirklich Gefangene vor laufender Kamera ermordet. So stumpft man potenzielle Attentäter auch gleich gegen das Leid anderer Menschen ab. Bis sie dann selbst zu töten bereit sind.
Quellen: Site Intelligence Group, Global Affairs Review, Rand