Dörte Hansen erzählt in ihrem Erfolgsroman „Mittagsstunde“ von der großen Flurbereinigung der 1970er Jahre und dem Sterben der alten Dorfgemeinschaften. Jetzt kommt die Verfilmung ins Fernsehen.
Die Felder sind riesig, die alten Wallhecken verschwunden. Bäume wurden gefällt, um die Straßen gerader und breiter zu machen. Viel größer sind inzwischen auch die Bauernhöfe, dafür gibt es von ihnen viel weniger. In den Dörfern haben die kleinen Lebensmittelläden, die Schulen und die Gasthöfe geschlossen. Kaum mehr laufen sich die Menschen dort zufällig über den Weg. So sieht sie aus, die Flurbereinigung, die mit ihren Folgen seit den 1970ern das Gesicht unserer ländlichen Regionen verändert hat.
Dem Thema hat die norddeutsche Bestsellerautorin Dörte Hansen („Altes Land“) 2018 einen Roman mit dem Titel „Mittagsstunde“ gewidmet. Die in der nordfriesischen Heimat Hansens angesiedelte Geschichte hat der ebenfalls von dort stammende Regisseur und Produzent Lars Jessen im Jahr 2022 still, stimmig und stimmungsvoll verfilmt. Jetzt kommt das Werk ins Free-TV. Am Montag strahlt das ZDF um 20.15 Uhr „Mittagsstunde“ aus.
Der Kieler Dozent Ingwer Feddersen verlässt seinen Uni-Job und seine seltsame Dreier-WG für einige Zeit, um sich um seine beiden „Alten“ in seinem nordfriesischen Heimatdorf Brinkebüll zu kümmern. Doch auch in der Vergangenheit war nicht alles so geordnet, wie es damals schien, wie Ingwer feststellen muss. Noch einmal stellt sich dem Mittvierziger die Frage, wer er wirklich ist und wohin er gehört.
Charakterdarsteller und Publikumsliebling Charly Hübner (früher „Polizeiruf 110“) spielt die Hauptrolle. Bei deutlichen Zeitsprüngen zeigt Jessen die Veränderungen und Verwerfungen in melancholisch realistischen Bildern. Brutal sieht es aus, wenn Lastwagen und Autos vorbei an teils leerstehenden Häusern mit ihren sprossenlosen Fensterlöchern auf asphaltierten Fahrwegen durch die fiktive Ortschaft Brinkebüll donnern – und schon mal ein Rad fahrendes Kind überrollen.
Für anrührende Innerlichkeit sorgen dafür wunderbare Darsteller, zu denen in den Rollen der Großeltern und hinfälligen Gastwirtsleute auch Hildegard Schmahl („Der junge Häuptling Winnetou“) und Peter Franke („Ostfriesenblut“) gehören. Beide Schauspieler scheuen sich nicht, ihre nackte Haut sowie weitere körperliche und geistige Altersspuren vorzuführen.
Wie es nordfriesischen Landleuten zu eigen ist, läuft deren Verständigung beziehungsweise Nicht-Verständigung eher nonverbal. „Na – wat sechst du?“ (Was sagst du?) – so lakonisch klingt hier wohl landesüblich eine herzliche Begrüßung nach Jahrzehnten unter Jugendfreunden. Gerade Hübner, eigentlich eine wuchtige Erscheinung, nimmt sich bemerkenswert zurück als Großstadtmensch, der durch seinen Pflegeeinsatz Abbitte leisten will, weil er meint, die beiden Alten und ihren „Krog“ (Gasthaus) einst im Stich gelassen zu haben. So deutet er Ingwers Rührung, seine Erinnerungen und seine Suche nach Klärung der Verhältnisse vor allem mit feinem Mienenspiel an.
Wobei sein Ingwer auf Vorkommnisse in der Vergangenheit stößt, die seine Identität nachhaltig berühren. Was auch mit dem verstörten und verträumten, inzwischen längst toten Dorfmädchen Marret (Gro Swantje Kohlhof) zu tun hat. Dabei sollte erwähnt werden, dass mit Lennard Conrad als jungem Ingwer sowie in Gabriela Maria Schmeide und Rainer Bock als den jungen „Olen“ ebenfalls exzellente Besetzungen gefunden wurden.