Fotografie: Zum Tod von Werner Bokelberg: Er lieferte Erlebnisse frei Haus

Nach Robert Lebeck, Volker Hinz und Thomas Hoepker ist mit Werner Bokelberg der nächste große Fotograf gegangen, der den Deutschen die Welt zeigte und den stern geprägt hat.

Es wird heute viele Menschen geben, die nicht genau wissen, wer dieser Werner Bokelberg eigentlich war. Fotograf, ja gut. Fotograf für den stern, noch besser. Das klingt aber nicht so wirklich sensationell, weil sich heute fast jeder, der mit seinem Smartphone Bilder macht und sie im Netz veröffentlicht, als Fotograf fühlt. Fühlt, aber nicht ist. Denn ein Fotograf ist etwas anderes als jemand, der das vor seinem Auge nur mit einem Klick festhalten will. Das ist so billig wie Andenkenware, nichts weiter. 

Ein Fotograf hat dagegen ein denkendes Auge, eines, das genau weiß, wie sehr ein Foto beim Betrachter durch die Augen hindurch in den Kopf gehen kann und sich dort in den Gedanken, Fantasien und Gefühlen herumtummeln und vom Betrachter Besitz ergreifen kann. Oder, wie es der große Cartier-Bresson einmal sagte, eine Fotografie „verlangt die Zusammenarbeit von Intellekt, Auge, und Herz.“ So macht ein Fotograf im günstigsten Fall nicht bloß ein Bild, sondern er lehrt den Betrachter das fühlende Sehen. 

Uschi Obermaier nackt – es war ihre Idee

Werner Bokelberg war so ein Fotograf. Man muss vielleicht die Älteren fragen, die, die 1969 an den Zeitschriftenkiosken stehenblieben, weil sie auf dem Titelbild vom stern von dem Hippie-Engel Uschi Obermaier angeschaut wurden. Obermaier, eigentlich aus München, war damals in die Berliner Kommune 1 gezogen, einer Fabriketage mit Matratzen und anderen Kommunarden wie ihrem Freund Rainer Langhans, der auf dem Titel im Hintergrund blieb. 

Uschi Obermaier und Rainer Langhans in der Berliner Kommune im Jahr 1967
© Werner Bokelberg

Obermaier dagegen im Vordergrund, in Jeans, oben ohne und einem Blick, der sehr gekonnt mit allen heimlichen Fantasien über das sündige Leben in der Kommune spielte. 

Bokelberg war der Fotograf und erzählte später einmal, dass er für das Bild gar nicht viel tun musste. Vielleicht hat ihn Obermaier auch gar nicht wahrgenommen, sondern nur die Kamera als Stellvertreterin für die Millionen Augen deutscher Spießbürger gesehen. Sich davor auszuziehen, so Bokelberg, sei ihre Idee gewesen.

Werner Bokelberg war bei Dalí nur Zaungast

Ähnlich erging es ihm auch 1965 mit dem Maler Salvador Dalí, der, um fotografiert zu werden nur eine Bedingung hatte: „Bringen sie eine Blondine mit.“ Bokelberg brachte die dänische Schauspielerin Lotte Tarp mit, und Dalí inszenierte mit ihr ein bizarres tagelanges Happening, bei dem Bokelberg fast nur Zaungast war, „ich musste nichts tun, nur fotografieren.“ Aber das war es, das war Bokelbergs Gespür, die Menschen vor seiner Kamera sich einfach ausleben zu lassen, ihnen die Freiheit der Selbstinszenierung zu geben und damit viel mehr von sich zu zeigen als das bloße Gesicht. 

Salvador Dali inszeniert die Schauspielerin Lotte Tarp als makabre Mahlzeit
© Werner Bokelberg

So wie bei Romy Schneider, auch 1965. Schneider war damals nach Paris gegangen, um ihrem „Sissi“-Image zu entfliehen und hatte sich in der Stadt neu erfunden. Das wollte sie den Deutschen zeigen, die neue Schneider. Fast 30 Mal habe sie sich an dem Tag umgezogen, erzählte Bokelberg, immer neue Kleider, immer neue Kulissen, immer neue, andere Romys, es war atemlos.

Fotografie ist eine verderbliche Ware

Dreieinhalbtausend Aufnahmen habe er gemacht, sagte Bokelberg, aber, und da war er ganz Fotograf, wirklich gute und zeitlose Bilder seien sehr wenige dabei gewesen. Wie überhaupt in seinem ganzen Lebenswerk, das Bokelberg großteils als Fotografie für den Moment in einer Zeitschrift wie dem stern verstand, aber nicht für länger und schon gar nicht für die Ewigkeit. Einmal befragt, wie viele seiner Fotos Bedeutung behalten würden, sagte er, er hoffe „fünf“. 

Dalí natürlich, Picasso auch und ja, auch Obermaier. Also drei, das würde ja auch reichen. Denn Fotografie sei eben eine verderbliche Ware, wie er sagte. Was er damit meinte, erzählen heute zum Beispiel die Bilder der halbnackten Uschi Obermaier. Damals, 1969, eine Sensation, eine erotische Bombe in der spießigen Bundesrepublik. Heute wie eine alte Frucht vielleicht historisch, mehr aber auch nicht.

Stellvertreter der Leserinnen und Leser

Mit Werner Bokelberg, geboren 1937 in Bremen, ist nach Robert Lebeck, Volker Hinz und Thomas Hoepker nun wieder einer der großen Fotografen gestorben, die die Bilderwelt der Deutschen und der stern-Leser in den 60er und 70er Jahren maßgeblich prägten. Wie Bokelberg waren sie keine eiligen Knipser, sondern fühlten sich als Stellvertreter der Leserinnen und Leser, denen sie eben nicht nur Fotos, sondern Erlebnisse nach Hause lieferten. 

Nachruf Volker Hinz 21.00

Viele dieser Fotografen berichteten von den Brennpunkten der Welt, andere zeigten erstmal so ferne Länder wie China oder Australien und wieder andere näherten sich Stars und Prominenten so dicht, wie es Leser in ihren Leben nie konnten. Die Fotografie war, anders als heute, noch ein nicht ganz einfaches Handwerk mit Kameras, die Verschlusszeiten und Belichtungsmesser hatten und Filmen, die in Labors zu Fotos entwickelt wurden. 

Jedes Foto war ein Prozess

Jedes Foto war ein Prozess, bei dem mitgedacht und mitkomponiert werden musste und über den Fotografen selten sprachen, weil er zu ihrer Natur geworden war. Mit Werner Bokelberg ist jetzt nicht nur ein großer Fotograf gestorben, sondern auch wieder ein Teil dieses fotografischen Wissens gegangen.

Eine Geschichte noch. Nachdem Werner Bokelberg 1972 den stern verließ und sehr erfolgreich Werbung fotografierte, zog er nach Paris und wurde zu einem Sammler von Fotografien. Seine große Leidenschaft war dabei das Werk der Fotografen-Legende Man Ray. Als eines Tages ein Franzose Bokelberg ein ganzes Konvolut von originalen Man Ray-Bilder anbot, griff Bokelberg „ein wenig blind vor Glück“ zu. Die Bilder waren allesamt gut gemachte Fälschungen, Bokelbergs Verlust waren mehrere Million Franc. 

Omar Sharif Schauspieler mit seinem Sohn Tarek
© Werner Bokelberg

Auf die Frage, ob bei so gut gemachten Plagiaten das authentische Foto überhaupt noch einen Wert hätte, sagte er: „Die Frage ist berechtigt und schwachsinnig zugleich. Das eine ist gelebte Zeit, das andere nur ein Abbild.“ Schöner Satz, Werner Bokelbergs Bilder werden immer gelebte Zeit bleiben.