US-Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz hat seine Demokratische Partei zu einer umfassenden Mobilisierung vor der Wahl im November aufgerufen. „Wir haben 76 Tage, das ist nichts. Zeit zum Schlafen werden wir haben, wenn wir tot sind“, sagte der Gouverneur am Mittwochabend (Ortszeit) beim Parteitag in Chicago. In seiner Rede nahm der 60-Jährige seine Nominierung für das zweithöchste Staatsamt formell an: Er sprach von der „Ehre meines Lebens“.
Bevor Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris den Gouverneur von Minnesota vor zwei Wochen zu ihrem Vizekandidaten ernannt hatte, war er über seinen Bundesstaat hinaus wenig bekannt gewesen. Mit seiner bodenständigen und schlagfertigen Art hat der frühere Lehrer, Football-Trainer, Nationalgardist und Kongressabgeordnete aber bereits viel Begeisterung in der Partei ausgelöst – ein Enthusiasmus, den er in Chicago weiter anfachte.
„Coach Walz!“ wurde der 60-Jährige von der Menge unter Bezug auf seine frühere Trainer-Tätigkeit an einer High School angefeuert. Walz setzte in seiner 15-minütigen Ansprache auch die Sprache des American Football ein. Über den Wahlkampf gegen den Republikaner Donald Trump sagte er: „Wir liegen ein Field Goal zurück. Aber wir sind in der Offensive, und wir haben den Ball. (…) Und, jawohl, wir haben das richtige Team.“
Walz verwendete einen Großteil seiner Rede darauf, Harris anzupreisen. Als frühere Bezirksstaatsanwältin und Generalstaatsanwältin in Kalifornien, als Ex-Senatorin und Vizepräsidentin habe sie „auf der Seite des amerikanischen Volkes gekämpft“, und dies immer mit „Energie, Leidenschaft und Freude“. Harris wird am Donnerstag zum Ende des Parteitags ihrerseits in einer Rede ihre Nominierung offiziell annehmen.
In seiner Rede stellte sich Walz auch der Wählerschaft vor. Der Gouverneur, der nicht zuletzt Wählerinnen und Wählern in ländlichen Gebieten ansprechen soll, schilderte seine Herkunft aus einer kleinen Gemeinde im Mittelweststaat Nebraska. In dieser Umgebung „lernt man, sich um einander zu kümmern“, sagte er.
Später in Minnesota hätten ihn seine Schüler und Sportler animiert, für den US-Kongress zu kandidieren: „Sie haben in mir das gesehen, was ich hoffte, ihnen beizubringen: eine Hingabe an das Gemeinwohl, ein Verständnis dafür, dass wir alle in einem Boot sitzen, und die Überzeugung, dass ein Einzelner für seine Mitmenschen wirklich etwas bewirken kann.“
Dem früheren Präsidenten Trump warf Walz vor, „den ganzen Tag“ damit zu verbringen, „Menschen zu beleidigen und Anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben“.
Vor Walz hatte Ex-Präsident Bill Clinton beim Parteitag für Harris geworben. Die Vizepräsidentin habe „die Vision, die Erfahrung, das Temperament und (…) die pure Freude, um etwas zu erreichen“. Während Harris die Probleme der Menschen löse wolle, kreise Trumps Denken nur um ihm selbst.
Clinton warnte seine Partei jedoch vor Selbstgefälligkeit: „Man sollte seinen Widersacher nie unterschätzen“. Die Demokraten hätten mehr als nur einmal erlebt, dass ihnen eine Wahl unerwartet „entglitten“ sei. Clintons Ehefrau Hillary war vor der Wahl 2016 klare Favoritin gewesen und verlor dann knapp gegen Trump.
Die Parteiversammlung war aber auch an ihrem dritten Tag nicht nur ernstes politisches Geschäft, sondern auch buntes Entertainment. Zu den Höhepunkten gehörten musikalische Darbietungen der Soul-Legende Stevie Wonder und des R&B-Sängers John Legend. Zudem kam Talk-Queen Oprah Winfrey zu einem Überraschungsauftritt auf die Bühne. Sie pries Harris als Kandidatin, die für „Anstand und Respekt“ sowie den „gesunden Menschenverstand“ stehe.
Unterdessen setzte Trump seine wütenden Attacken auf Harris fort. Bei einem Auftritt im Bundesstaat North Carolina nannte er sie die „radikalste linksgerichtete Person“, die je für das US-Präsidentenamt kandidiert habe. Es war Trumps erster Auftritt unter freiem Himmel, seit er Mitte Juli von der Kugel eines Attentäters leicht am Ohr verletzt worden war. Seine Rede hielt der republikanische Präsidentschaftskandidat hinter schusssicherem Glas.
US-Medien berichteten derweil, dass der unabhängige Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy Jr. am Freitag voraussichtlich aus dem Rennen aussteigen und sich hinter Trump stellen werde. Ob dies Trump nutzen könnte, ist unklar. In einer jüngsten Umfrage des Magazins „The Hill“ lag Kennedy landesweit bei 8,7 Prozent. Der Sohn des 1968 ermordeten Präsidentschaftsbewerbers Robert F. Kennedy und Neffe des 1963 erschossenen Präsidenten John F. Kennedy ist ein Verbreiter von Verschwörungstheorien – womit er moderate Wähler abschrecken könnte.