US-Präsident Joe Biden hat in einer Parteitagsrede auf sein politisches Vermächtnis zurückgeblickt und die US-Demokraten auf Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris eingeschworen. Biden, der erst vor einem Monat auf die erneute Präsidentschaftskandidatur verzichtet hatte, sagte in seiner stürmisch bejubelten Ansprache am Montagabend (Ortszeit) bei der Versammlung in Chicago seine energische Unterstützung für Harris zu: Er werde „der beste Freiwillige“ ihrer Kampagne sein.
Bidens rund einstündige Rede war von der Wehmut des Abschieds durchsetzt. „Ich habe viele Fehler in meiner Karriere gemacht, aber ich habe Euch mein Bestes gegeben“, sagte der 81-jährige im Rückblick auf seine mehr als fünf Jahrzehnte umspannende Laufbahn in der Politik. Nach seiner Ansprache kam Harris auf die Bühne und gab dem Präsidenten eine lange Umarmung. Es war ein hochemotionaler Moment, in dem sich die Übergabe der Führungsrolle in der Demokratischen Partei von Biden an Harris kristallisierte.
Zuvor hatte Biden seine Stellvertreterin als „zäh“ und „erfahren“ sowie als Menschen von „enormer Integrität“ gerühmt. Sie zur Vizepräsidentin gemacht zu haben, sei die „beste Entscheidung“ seiner gesamten Laufbahn gewesen.
Biden hatte erst nach wochenlanger heftiger Debatte über seinen geistigen Zustand auf seine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl im November verzichtet und für Harris als seine Nachrückerin plädiert. Sie wurde dann Anfang August in einem elektronischen Votum als Präsidentschaftskandidatin nominiert.
Biden bestritt nun, „wütend“ auf jene in der eigenen Partei zu sein, die ihn zum Rückzug gedrängt hatten. „Ich liebe meinen Job, aber ich liebe mein Land mehr“, sagte er. „All das Gerede darüber, dass ich wütend auf all die Leute bin, die gesagt haben, ich soll abtreten – das stimmt nicht.“
Den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump bezeichnete Biden als „Verlierer“ sowie erneut auch als Gefahr für die US-Demokratie. Trump habe ein „Blutbad“ angekündigt, wenn er die Wahl verliere – und dass er bei seinem Sieg ein „Diktator“ an Tag eins seiner neuen Amtszeit sein werde: „Dieser Trottel meint das so“, warnte Biden.
Im Unterschied zu seinen oft fahrigen Auftritten wirkte Biden beim Parteitag kämpferisch und konzentriert. Fünf Monate vor Ende seiner Amtszeit pries er seine Bilanz in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auch bescheinigte er sich selbst, nach der Trump-Präsidentschaft und dem Sturm fanatischer Trump-Anhänger auf das Kapitol im Januar 2021 „die Seele Amerikas“ geheilt zu haben. Sein Vermächtnis fasste der Präsident auch mit einem Zitat aus einem Lied der Sängerin Norah Jones zusammen: „Amerika, Amerika, ich habe Dir mein Bestes gegeben.“
Harris hatte Bidens Lebensleistung zu Beginn des Parteitags gewürdigt. „Wir sind Dir ewig dankbar“, sagte die 59-Jährige in einer unangekündigten Kurzansprache. Biden standen dann zu Beginn seines Auftritts die Tränen in den Augen, nachdem ihn seine 43-jährige Tochter Ashley angekündigt hatte. Von der Menge im Saal wurde er mit etwa vierminütigem Jubel und den Rufen „Wir lieben Joe!“ und „Danke, Joe“ begrüßt. Während seiner Rede bekamen viele Delegierte ebenfalls feuchte Augen.
Zum Parteitagsbeginn hatte auch die frühere First Lady und Ex-Außenministerin Hillary Clinton gesprochen, die 2016 als Präsidentschaftskandidatin gegen Trump gescheitert war. „Etwas passiert in Amerika, man kann es fühlen – etwas, auf das wir hingearbeitet und von dem wir lange geträumt haben“, sagte die 76-Jährige dazu, dass nun Harris die erste Frau im US-Präsidentenamt werden könnte.
Der weitere Verlauf des Parteitags wird darauf ausgerichtet sein, Harris als Lichtgestalt zu inszenieren. In einer Rede zum Abschluss am Donnerstag wird sie ihre Nominierung formell akzeptieren. Die Kandidatur der 59-Jährigen hat enormen Enthusiasmus bei den Demokraten ausgelöst. Die Tochter einer Inderin und eines schwarzen Jamaikaners wäre auch die erste Afroamerikanerin und Person mit asiatischen Wurzeln im US-Präsidentenamt.
Der Parteitag wird allerdings von Protesten gegen die US-Unterstützung für Israel im Gazakrieg begleitet. Am Montag durchbrachen etwa hundert pro-palästinensische Demonstranten einen äußeren Sicherheitszaun um das United Center, wo der Parteitag stattfindet. Polizisten hinderten die Demonstranten daran, zur inneren Absperrung vorzudringen.
Biden zeigte in seiner Rede Verständnis für die Protestierenden: Diese hätten „einen Punkt“, viele unschuldige Menschen würden in dem Konflikt getötet, „auf beiden Seiten“. Die Demonstrationen riefen Erinnerungen an den Parteitag der Demokraten 1968 in Chicago wach, der von wütenden Protesten gegen den Vietnamkrieg und blutigen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten überschattet gewesen war.