Antonia T. wünscht sich eine Familie und Kinder, doch in ihrer Affäre ist die Verliebtheit einseitig. Julia Peirano gibt ihr einen wichtigen Ratschlag und zwei Lektüretipps.
Hallo Frau Dr. Peirano,
ich treffe mich seit über zwei Monaten mit einem Mann, der im Gegensatz zu anderen Männern alles mit sich bringt, was sich eine Frau wünschen kann. Er ist besorgt, wenn ich krank bin, lädt mich ins Kino ein, interessiert sich für meine Hobbys, wollte meine Familie kennenlernen, macht alle Aktivitäten mit, die ich auch gerne mache, ist lustig, lacht viel und würde mich in allem unterstützen.
Aber ich fühle mich unter Druck gesetzt, da ich bisher keine Gefühle entwickelt habe. Er hat das schon und fordert viel Kontakt ein, indem er häufig schreibt. Er versucht, immer wieder anzurufen, obwohl er weiß, dass ich das absolut nicht mag, aber er versucht es dennoch.
Er muss zu allem seinen Kommentar abgeben, obwohl er oft keine Ahnung davon hat oder der Kommentar keinen Sinn ergibt. Er hat ständig Rechtschreibfehler in seinem Geschriebenen. Er hatte nach unserem ersten Date gleich meine Lieblingsblumen bei sich auf dem Balkon stehen. Er hat ein großes Problem damit, sich Dinge zu merken, die ich erst kürzlich erzählt habe oder Nachrichten richtig zu lesen und fragt dann dasselbe noch einmal.
Ich bin energiegeladen, aber er ist es noch mehr und ich komme bei ihm nicht zur Ruhe, sondern hab das Gefühl, ihn ständig bremsen zu müssen. Er gibt immer Vollgas, statt auch mal im 2. Gang zu fahren. Er weiß um das alles, aber er ist so und meint, er versucht, sich zurückzunehmen. Und er schreibt sich Dinge schon auf, dass er sie sich merken kann.
Aber es ändert sich vom Gefühl her einfach nichts bei mir. Dabei ist er der Erste, der mir die Welt zu Füßen legen wollen würde. Ich könnte mich wie der größte Idiot aufführen und er wäre noch da und würde vielleicht sogar noch Beifall klatschen, hab ich das Gefühl.
Ich wünsche mir so sehr einen Partner und leide darunter, dass es bis jetzt mit knapp 36 Jahren nicht geklappt hat mit einem Partner und/oder Kindern. So, dass ich am liebsten nicht mehr weitermachen mag. Alle um mich herum sind vergeben oder heiraten bald. Und da kommt jetzt mal einer, der perfekt scheint und ich fühle mich unter Druck gesetzt und überfordert.
Können Sie mir helfen und mir sagen, wo mein Problem ist?
Viele Grüße
Antonia T.
Liebe Antonia T.,
ich habe den Eindruck, dass Sie die Antwort eigentlich schon längst wissen und sich von mir nur eine Absolution holen wollen. Liege ich damit richtig?
Sie schreiben, dass Sie einen großen Wunsch nach einer festen Partnerschaft und vielleicht auch Kindern haben. Ich lese zwischen den Zeilen, dass Sie schon eine sehr lange Suche hinter sich haben und dabei nie den Richtigen gefunden haben. Und ich höre auch heraus, dass Sie bisher vergeblich nach einem Mann gesucht haben, der sich binden will und Ihnen das Gefühl vermittelt, dass Sie einen wichtigen Platz in seinem Leben haben sollen.
Ein interessantes (und desillusionierendes) Buch zum Thema ist von Sven Hillenkamp. „Das Ende der Liebe. Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit“.
Und nun kommt einer, der Ihnen genau dieses Gefühl vermittelt und Ihnen – wenn diese Geschichte im Mittelalter spielen würde – jede Nacht mit seiner Mandoline vor ihrem Fenster Liebeslieder spielt. Doch anstatt vor Rührung und Begeisterung weich zu werden, würden Sie ihm manchmal am liebsten einen Eimer Wasser über den Kopf gießen.
Sie beschreiben auch genau, warum. Er trifft die falschen Töne, spielt zu laut und zu schnell. Und auch noch zu oft und zu lange. Er merkt nicht, wenn Sie müde sind und Ruhe haben wollen, sondern spielt weiter und hofft auf Applaus. Wenn der ausbleibt, wissen Sie, dass er es noch intensiver versuchen wird. Die Augenhöhe fehlt: Sie könnten sich wie der größte Idiot benehmen und er wäre begeistert. Eigentlich ist eine Beziehung ja auch ein Spiegel, und man kann sich von einem Partner schon wünschen, dass er einem sagt, wenn man sich idiotisch aufführt.
Das alles kann schon mächtig nerven, und offensichtlich sind Sie auch mächtig genervt. Was hindert Sie daran, auf Ihre Gefühle zu hören und sich einzugestehen, dass dieser Mann sich nicht in Ihr Herz spielen kann?
Ich habe eine recht einfache Vermutung: Es liegt an der wahrgenommenen Verknappung von guten Männern. In Ihrer Welt sind die meisten Männer schon in festen Beziehungen, und die freien Männer sind bindungsunwillig, und da sollte man doch begeistert und dankbar zugreifen, wenn einer Interesse hat.
Wer hat Ihnen das gesagt? Spiegelt das die Haltung Ihrer Eltern wieder? Oder haben Ihre Freundinnen Ihnen signalisiert, dass Sie eventuell zu wählerisch sind und dass ihre eigenen Männer auch nicht perfekt sind?
Schauen Sie doch mal nach, woher diese Idee kommt, dass Sie jetzt zugreifen müssen, wo die Gelegenheit sich bietet.
Ich halte diese Strategie auf jeden Fall nicht für hilfreich und rate Ihnen, sich diese noch einmal genau anzuschauen und dann abzulegen. Schon in weniger wichtigen Bereichen des Lebens erweisen sich solche aus der Not geborenen Entscheidungen meistens als nicht richtig, z.B. wenn man eine Wohnung mit Mängeln nimmt, nur damit man ein Dach über dem Kopf hat.
Beim Kennenlernen eines neuen potenziellen Partners bemerkt man die Dynamik noch sehr genau: Wie geht es mir in der Nähe dieses Menschen? Welche Gefühle habe ich ihm/ihr gegenüber? Wie frei fühle ich mich, wirklich ich selbst zu sein. Und hilft dieser Mensch mir dabei, mich zu entfalten?
Wo gibt es Konfliktpotenzial, wie ist die Stimmung zwischen uns? Haben wir Respekt voreinander? Später werden diese Themen meist stärker, aber man bemerkt sie nicht mehr so genau.
Hier ist noch eine Leseempfehlung, um über eine gute Vorstellung von Liebe nachzudenken: Bell Hooks. „Alles über Liebe. Neue Sichtweisen“.
Sie beschreiben, dass Sie durch diesen neuen Mann hastig und unruhig werden, dass Sie schwer entspannen können. Er überschreitet jetzt schon einige Ihrer Grenzen, indem er in Richtung Beziehung galoppiert und sich nicht stoppen lässt. Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass er vielleicht Angst hat, alleine zu sein und unbedingt eine Frau finden möchte, um jeden Preis? Kann es sein, dass es ihm dabei auch nicht unbedingt um Sie geht, sondern um das Mandolinenspiel? Er scheint ja sehr darum zu kämpfen, Sie endlich zu erweichen. Ich könnte mir vorstellen, dass sein Interesse auch nachlassen würde, wenn er nicht mehr um Sie kämpfen muss, sondern Sie seine Gefühle erwidern würden.
Das sage ich, weil ich den Eindruck habe, dass er nicht wirklich im Kontakt mit sich und mit Ihnen ist (beides bedingt sich: wenn ich nicht mit mir im Kontakt bin, kann ich auch nicht mit anderen im Kontakt sein). Er folgt einem Handlungsmuster, das er meint, erfüllen zu müssen: die große Liebe, jetzt sofort, mit voll Karacho. Vielleicht hören Sie sich mal „You Can’t Hurry Love“ von Phil Collins an. Ein Ausschnitt aus dem Text dieses Songs lautet:
„But Mama said: You can’t hurry love, you just have to wait. She said love don’t come easy, it’s a game of give and take.“
Ich würde Sie ermutigen, auf Ihre eigenen Gefühle zu hören und zu sich zu stehen. Und wenn Sie noch einen Denkanstoß brauchen, stellen Sie sich doch einmal den 25. Hochzeitstag mit diesem Mann vor, in allen Einzelheiten.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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