Mit mehr Grundschulunterricht in Kernfächern und vorschulischen Sprachtests will die Landesregierung die Grundlage für bessere Bildung legen. Praktiker überzeugt das nicht.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat aus Sicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) keinen überzeugenden Ausweg aus der Bildungsungerechtigkeit. Zu Beginn des neuen Kindergartenjahres und des neuen Schuljahres litten beide Bildungspfeiler weiterhin unter gravierendem Fachkräftemängel, stellte die GEW-Landesvorsitzende Ayla Çelik fest. Allein an den Schulen fehlten derzeit rund 6.000 Lehrkräfte.
Die schulpolitische Sprecherin der CDU, Claudia Schlottmann, hielt dagegen, immerhin sei die Zahl der offenen Stellen an den Schulen in NRW zurückgegangen – von 7.121 im Dezember 2023 auf 6.050 im Juni 2024.
Schon für bloßes Mittelmaß fehlen Milliarden
Aus Sicht der GEW verfestigen langjährige Unterfinanzierung und die weiterhin mangelhafte Personalsituation die soziale Schieflage. Bereits heute liege NRW mit jährlichen Ausgaben von 8.300 Euro pro Schüler um 900 Euro unter dem Bundesdurchschnitt. „Würde die Landesregierung hier nur Mittelmaß anpeilen, wären zusätzliche 2,3 Milliarden innerhalb eines Jahres notwendig“, rechnete Çelik vor. „Wir brauchen einen Bildungsetat, der losgelöst vom Haushalt ist und über zehn Jahre Investitionen absichert.“
Schulministerin Dorothee Feller (CDU) hatte zum neuen Schuljahr mehr Grundschulunterricht in Deutsch und Mathematik angekündigt und flächendeckende Tests zum vorschulischen Sprachstand. Solche eigentlich begrüßenswerten Initiativen liefen ins Leere, wenn es kein Personal gebe, das Förderempfehlungen umsetzen könne, kritisierte Çelik.
„Erneut zeigt sich, dass diese Vorhaben nur funktionieren, wenn Beschäftigte über ihre Belastungsgrenze hinausgehen.“ Schon jetzt werde in den Schulen der Mangel verwaltet. Dennoch würden immer mehr Programme von oben in den Trichter gestopft. Zusätzlich die Eltern für vorschulische Förderung in die Pflicht zu nehmen, werde aufgrund der unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen zu Hause kein Problem lösen.
GEW: Lieber mit Kindern statt mit dem Rotstift arbeiten
Besser wäre es, die Anzahl der Klassenarbeiten zu reduzieren, schlug die GEW-Vorsitzende vor. Anstatt immer wieder stundenlang mit dem Rotstift über Klassenarbeiten zu sitzen, könnten die Lehrkräfte sich dann mehr mit den Kindern befassen. Zudem müssten die Lehrpläne entrümpelt werden, sagte Çelik.
Darüber hinaus kritisierte sie die umstrittenen Lehrer-Abordnungen an unterversorgte Schulen. Grundsätzlich seien die zwar rechtlich zulässig, brächten jedoch Unsicherheit und Unzufriedenheit in die Lehrerzimmer. Lernen beruhe auch auf Beziehungen, sagte Çelik. „Diese Beziehungen zu kappen und den Mangel von A nach B zu verschieben, ist nicht nachhaltig und nicht förderlich.“
In zwei Eilentscheidungen hatte das Verwaltungsgericht Münster in der vorletzten Woche zwei Lehrer-Abordnungen mit der Begründung gestoppt, die Auswahlkriterien seien nicht sachgerecht gewesen.
Kampf gegen Lehrermangel bleibt ein Marathon
Die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen hielten dagegen, die Schulpolitik sei auf einem guten Weg. „Die Lösung des Lehrermangels bleibt ein Marathon, aber wir kommen Schritt für Schritt voran“, unterstrich Schlottmann.
Innerhalb von nur anderthalb Jahren seien mehr als 7.000 zusätzliche Lehrkräfte, Sozialarbeiter, Schulpsychologen und Alltagshelfer an die Schulen in NRW geholt worden. Çelik bemängelte demgegenüber: „Aber es wurde nie gesagt, wie viele von diesen 7.100 tatsächlich grundständig ausgebildete Lehrkräfte sind – das wissen wir nicht.“
Die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Lena Zingsheim-Zobel, betonte, das im neuen Schuljahr beginnende Startchancen-Programm für Schulen in schwierigen sozialen Lagen werde Bildungsungerechtigkeit gezielt bekämpfen. Die GEW bezweifelt hingegen, dass das milliardenschwere Bund-Länder-Programm in der Breite wirken wird.
Jede Schule zu einem Leuchtturm machen
„Wir können es uns nicht erlauben, einzelne Schulen zu stärken und andere Schulen allein zu lassen“, mahnte Çelik. „Wir brauchen keine Leuchtturmprojekte, sondern ein Programm, das jede Schule zu einem Leuchtturm macht. Das muss der Anspruch von Bildungspolitik sein.“