Botox, Filler, Fettwegspritze: Immer mehr Männer lassen was machen. Auch Alex, 30. Hier erzählt er, warum er mehrere hundert Euro pro Jahr für Schönheitseingriffe ausgibt
Alex wippt unruhig von einem Fuß auf den anderen. Immer wieder schaut er auf sein Handy. „Ich bin jedes Mal nervös“, sagt er und verzieht das Gesicht. In wenigen Minuten hat er einen Arzt-Termin. Zum Botox-Spritzen. Er macht das nicht zum ersten Mal, trotzdem überfällt ihn jedes Mal die Aufregung. Er will sich jetzt erstmal für den Sommer schick machen, „dann habe ich kein Geld mehr“, sagt er und öffnet die Praxistür.
„We love your face“, steht in schwarzen, plastischen Buchstaben über der marmorierten Anmeldung. Alex grüßt die Rezeptionistin und nimmt auf einem weißen Sofa Platz. Er trägt eine schwarze Baseballmütze, einen weiten, grünen Pulli, Jeans und Turnschuhe. Heute ist er der einzige Mann im Wartebereich. Dabei fänden immer mehr Männer ihren Weg in die Praxis, erzählt Rezeptionistin Nicole Bergmann. Deshalb hätten sie die Räumlichkeiten extra in neutralen Farben gehalten. „Als Mann willst du ja nicht in einem pinken Wartezimmer sitzen“, sagt sie lachend. Alex nickt zustimmend.
„Brotox“ heißt der Botox-Trend für Männer
Alex gehört zu einer wachsenden Zahl von Männern, die „nachhelfen“ lassen. Laut der Vereinigung Deutscher Ästhetischer und Plastischer Chirurgen haben die minimal-invasiven Eingriffe bei Männern 2022 um mehr als 15 Prozent zugenommen. Besonders beliebt sind Botox-Behandlungen. Mittlerweile gibt es sogar ein eigenes Wort für den Trend, „Brotox.“ Eine Kombination der Worte „bro“ (brother, also Bruder) – und Botox. Mit dem Nervengift werden die Muskeln gelähmt, wodurch die Mimik eingeschränkt wird und Falten verschwinden können. Männer lassen sich besonders gerne die Lach- oder Stirnfalten botoxen oder Tränenrinne, Wangen und Kiefer mit Hyaluron aufpolstern.
„Diesmal komplett lähmen?“, fragt der Arzt Josef Bergmann in einer Münchener Praxis. Alex lässt sich schließlich überzeugen
© Magdalena Gräfe
Auch Alex spürt die erhöhte Nachfrage nach Schönheitseingriffen. „Früher bekam man sofort einen Termin, heute muss man drei Wochen warten“, erzählt er. Der 30-jährige Rettungssanitäter besuchte vor fünf Jahren zum ersten Mal eine Schönheitsklinik in München. Nach einer Wirbelsäulenoperation hatte er viel abgenommen. Ihn störten seine eingefallenen Wangen. „Ich wollte einfach frischer aussehen“, erzählt er. Der Arzt polsterte ihm damals nicht nur die Wangen mit Hyaluronsäure („Filler“), auf, sondern behandelte ihm die Nase gleich kostenlos mit. Davor war ihm diese nie wirklich als Problem aufgefallen. Auf dem Vorher-Nachher-Bild, das Alex auf seinem Handy zeigt, sieht man den Unterschied: Auf dem ersten Bild ist eine leichte Erhebung auf dem Nasenrücken erkennbar, auf dem zweiten wirkt die Nase deutlich stupsiger und gerader.
STERN PAID 36_23 Wann ist ein Mann ein Mann? 1200
„Mir war echt nie bewusst, was für ’ne Knollnase ich eigentlich hab“, schrieb er damals auf Instagram unter das Bild. Das Ergebnis hält bis heute. „Ich weiß nicht, warum, das ist schon so lange her“, sagt Alex. Ihm ist es recht. Danach probierte er aus Neugierde noch weitere Eingriffe aus, ließ sich die Lippen aufspritzen und die Kieferpartie.
Wären die Eingriffe nicht so teuer, würde Alex noch mehr machen
Die Risiken solcher Eingriffe kennt er als Rettungssanitäter genau. „Aber die blende ich aus“, sagt er und macht eine abwehrende Handbewegung. Mit dieser Einstellung ist er nicht allein. „Rund ein Drittel meiner Patienten haben sich vor dem Aufklärungsgespräch noch nie mit dem Thema beschäftigt und wollen teilweise auch gar nicht aufgeklärt werden“, erzählt Dr. Daniel Hiller, er ist Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg in München und macht seit mehr als zehn Jahren ästhetische Eingriffe. Besonders bei Hyaluronsäure kann einiges schief laufen, im schlimmsten Fall droht Erblindung. Auch deshalb empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie, sich nur von gut ausgebildeten Fachärzten behandeln zu lassen.
Heute nutzt Alex nur noch Botox. So ein bis zwei Mal im Jahr. „Natürlich könnte ich mein Geld für Sinnvolleres ausgeben“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Wirklich schöner oder besser fühlt er sich heute eigentlich nicht. „Man findet immer was, was einen stört“, sagt er und lacht plötzlich: „Zum Glück sind die Eingriffe so teuer.“ Sonst würde er nämlich noch viel mehr machen.
Körperlich süchtig machen Botox und Filler nicht. „Aber psychisch absolut“, sagt der Arzt Hiller. Studien zeigen, dass besonders Menschen mit schlechtem Selbstwertgefühl oder mit einer körperdysmorphen Störung, also dem krankhaften Fokus auf – oft eingebildete – äußerliche Mängel, süchtig nach ästhetischen Eingriffen werden können. Etwa jede zehnte Patientin, jeder zehnte Patient zeigt ein Verhalten, das Hiller bedenklich findet. „Wenn jemand eine Störung hat und immer mehr will oder eine komplette Veränderung anstrebt, ist für mich die Grenzen erreicht“, erzählt er. „Da verweigere ich dann die Behandlung.“
Alex sagt, ihm sei ein natürliches Ergebnis wichtig. „Ich will, dass man einen Unterschied sieht, aber es nicht gemacht aussieht“, erklärt er. Er will einfach ein bisschen besser aussehen. Jetzt muss er überlegen, ob er das Botox nur in die Stirn- und die Zornesfalte spritzen lässt oder es zusätzlich auch die Augenbrauen lähmen soll. „Das hält länger“, sagt er. „Aber dafür kann man auch gar nichts mehr bewegen.“ Das ist ihm eigentlich zu viel.
„Diesmal komplett lähmen?“ – „Komm, machen wir so!“
Neben den minimalinvasiven Behandlungen nehmen bei Männern auch operative Eingriffe wie Fettabsaugung, Ober- und Unterliedstraffung und Haartransplantationen zu. Besonders die Haartransplantationen steigen, laut Deutscher Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie von 1,8 Prozent im Jahr 2022 auf 7,1 Prozent der Behandlungen bei Männern.
„Auf Instagram hat jeder zweite Typ ein Sixpack und volles Haar. Da vergleicht man sich schon und kommt sich hässlich vor“, sagt Alex
© Magdalena Gräfe
„Sie kenne ich doch schon“, sagt Dr. Josef Bergmann und streckt Alex die Hand entgegen. Der Arzt trägt eine blaue Hose, ein weißes Ralph-Lauren-Hemd und farblich abgestimmte Nike-Schuhe. „Diesmal komplett lähmen?“, fragt er Alex nach einigen Minuten Smalltalk. Er ist noch unentschlossen. Er will nicht, dass seine Stirn zu eingefroren aussieht. „Bei Männern fällt das nicht so auf“, meint der Arzt, „Bei mir ist das ja genauso.“ Bergmann zeigt auf seine eigene, weitgehend unbewegliche Stirn. Alex hadert kurz, haut sich dann auf den Oberschenkel. „Ach komm, dann machen wir das so“, sagt er und steht auf.
Als Mann spürt Alex einen immer größer werdenden Druck, gut und vor allem maskulin auszusehen. „Beauty-Standards gehen jetzt auch auf Männer über“, sagt er. „Auf Instagram hat jeder zweite Typ ein Sixpack und volles Haar. Da vergleicht man sich schon und kommt sich hässlich vor.“ Das Ideal sei ein junges, frisches Gesicht und eine kantige Kinn- und Kieferpartie. Seit einigen Jahren trenden Video-Anleitungen auf Social Media, die zeigen sollen, wie man den Unterkiefer trainiert, so dass er breiter wirkt. „Vor ein paar Jahren hat sich niemand für eine markante Jawline interessiert“, sagt Alex, „Jetzt will das jeder.“ Eigentlich stört ihn das ständige Vergleichen mit Influencern auf Instagram, aber man merkt ihm an, dass er davon nicht unberührt bleibt. Am liebsten hätte auch er ein sehr kantiges Gesicht, aber da man dafür eine große Menge Hyaluron braucht, ist ihm das zu teuer.
Nachfrage nach Eingriffen steigt: Superman ist das Ideal
Josef Bergmann sieht die Beauty-Trends und die Werbung für solche Behandlungen in den sozialen Netzwerken ambivalent. Auf der einen Seite steige dadurch die Nachfrage nach Eingriffen, auf der anderen Seite kämen viele Kundinnen mit bearbeiteten und gefilterten Fotos zu ihm in die Praxis. Nach der Behandlung seien sie dann enttäuscht, wenn das Ergebnis nicht so perfekt aussieht wie auf den Fotos. Auch die Videokonferenzen während der Coronapandemie und danach hätten zu einem Anstieg an plastischer Chirurgie und minimalinvasiven Eingriffen geführt. „Wenn man sich die ganze Zeit auf dem Bildschirm sieht, findet man irgendwann etwas, das einen stört“, sagt Bergmann und zieht sich schwarze, medizinische Handschuhe an.
Alex nimmt auf dem Behandlungsstuhl Platz. Er geht offen mit seinen Besuchen in der Schönheitspraxis um, auch wenn einige Bekannte ablehnend reagieren. „Guck nicht so, sonst kriegst du wieder Falten“, sagten manche, vor allem ältere Kollegen beim Rettungsdienst auf dem Land. „Man kann es nicht allen recht machen“, sagt Alex. Auch seine Oma habe kein Verständnis dafür. „Die sagt immer: Gott hat dich doch so schön gemacht. Du brauchst das nicht“, erzählt er und lächelt. Was ihn hingegen störe, seien die Vorurteile gegenüber solchen Eingriffen. „Alle denken, dass man danach sofort aussieht wie Harald Glööckler“, sagt er, „das stimmt nicht.“
Viele seiner Freunde gehen regelmäßig zum Botoxen oder lassen sich die Lippen aufspritzen. Natürlich vor allem Frauen, aber auch immer mehr Männer. „Jeder zweite Typ macht es oder denkt darüber nach,“ meint Alex. Für Männer werde der Gang zum Beauty-Doc immer normaler und gesellschaftlich akzeptierter. „Jeder soll doch das machen, was ihn glücklich macht“, findet er.
Alex spart schon für eine Haartransplantation
Mittlerweile seien zehn bis 15 Prozent von Bergmanns Kunden Männer. „Tendenz steigend“, sagt er. Für ihn ist diese Entwicklung nicht überraschend. „Der Trend kommt aus den USA und Brasilien“, sagt er. „Wir Mitteleuropäer sind da eigentlich schon hinten dran.“ Momentan liege der Fokus seiner männlichen Patienten darauf, möglichst maskulin auszusehen. „Superman ist das Ideal,“ erzählt er. „Alle wollen ein eckiges Gesicht.“ Aber auch Beauty-Behandlungen, die die Haut praller, jünger und strahlender aussehen lassen sollen, sind gefragt. „Männer werden eitel“, sagt Bergmann und fährt sich lachend durchs Haar.
Alex unterschreibt den Aufklärungsbogen, ohne ihn richtig durchzulesen und legt sich auf den Behandlungsstuhl. Bergmann zieht hinter ihm die Spritze auf und macht noch schnell ein Bild für Instagram. „Schau, dass man die ausfallenden Haare nicht so sieht“, sagt Alex. Dann setzt der Arzt die Spritze an. „Hochziehen“, befiehlt er. Alex legt die Stirn in Falten. „Und entspannen.“ Vorsichtig und mit eingeübter Geschwindigkeit spritzt der Arzt das Botox unter die Haut. Alex verzieht kaum merklich das Gesicht. Betäubt wird dabei nicht. „Hochziehen. Entspannen“, sagt Josef Bergmann immer wieder, um die richtigen Stellen herauszufinden.
Nach zwei Minuten ist die Behandlung vorbei. „Danach fühlt man sich sofort fresher“, meint Alex. Das macht dann 350 Euro
© privat
Nach zwei Minuten und unzähligen kleinen Einstichen ist es vorbei. Routiniert tupft der Arzt die einzelnen Bluttropfen, die aus den Einstichstellen perlen, von Alex‘ Stirn. „Das Ergebnis hält drei bis vier Monate“, erklärt Bergmann und verabschiedet sich. „Letztes Mal hat es voll gebrannt“, erzählt Alex. „Dieses Mal gar nicht.“ In zehn bis vierzehn Tagen sieht man den vollen Effekt. So lange braucht das Botox, bis es die Muskeln gelähmt hat.
Alex wirkt erleichtert. „Nach dem Botox fühlt man sich sofort fresher, auch wenn man noch nichts sieht,“, sagt er und legt seine Kreditkarte auf das Kartenzahlgerät. 350 Euro. Er spart schon für eine Haartransplantation. „In meiner Familie haben alle eine Glatze,“ erzählt er und zieht die schwarze Baseballmütze ein bisschen tiefer ins Gesicht.