Die Linke steckt in der Krise – jetzt muss sie sich auch noch eine neue Spitze suchen. Die bisherigen Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan kündigten am Wochenende an, beim Parteitag im Oktober nicht erneut zu kandidieren. Der Parteivorstand schätzt die Lage als „existenzbedrohend“ ein und spart in einem Leitantrag für den Parteitag nicht mit Selbstkritik.
Schirdewan und Wissler verkündeten ihre Rückzugspläne in separaten Mitteilungen am Sonntag. Wissler steht seit Februar 2021 an der Spitze der Linken, zunächst gemeinsam mit Susanne Hennig-Wellsow. Schirdewan übernahm den Ko-Vorsitz im Juni 2022.
„Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht und lange abgewogen, was in dieser Situation sinnvoll ist“, erklärte Wissler am Sonntag. „Ich nehme wahr, dass es in Teilen der Partei den Wunsch nach einem personellen Neuanfang gibt.“
Es sei „nicht immer nur eine reine Freude, Vorsitzende dieser Partei zu sein“, räumte Wissler ein. Der Job sei „enorm kräftezehrend“ gewesen. „Ich habe die letzten Jahre viel Zeit damit verbracht, innerparteiliche Konflikte zu moderieren und interne Prozesse zu führen. Dabei kam die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und die Aufgabe der Linken als Opposition zu den kapitalistischen Verhältnissen oftmals zu kurz.“
Schirdewan erklärte, seine Entscheidung sei „nach gründlichem Nachdenken in den zurückliegenden Wochen in mir gereift“. Er sei der Meinung, „dass unsere Partei in der jetzigen Situation neue Perspektiven und Leidenschaft braucht, um die notwendige Erneuerung voranzutreiben“.
Schirdewan forderte ein „Ende der teilweise destruktiven Machtpolitik“ in der Linken. Seine Amtszeit sei innerparteilich vor allem geprägt gewesen „von der Klärung alter Konflikte und den damit einhergehenden Umbrüchen und Auseinandersetzungen“. Das habe die öffentliche Wirkung der Linken „vielfach gehemmt, manchmal konterkariert“, analysierte Schirdewan. „Selbstkritisch möchte ich sagen: Notwendige inhaltliche Weiterentwicklungen sind wir auch nach der Abspaltung zu langsam angegangen.“
Seit der Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) im vergangenen Herbst und dem damit einhergehenden Verlust des Fraktionsstatus‘ im Bundestag ging es für die Linke in der öffentlichen Wahrnehmung bergab. Bei der Europawahl kam sie auf lediglich 2,7 Prozent, in bundesweiten Umfragen liegt sie derzeit ebenfalls nur bei drei Prozent. Das BSW schneidet deutlich besser ab; das gilt auch für Umfragen zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September.
Die Vorsitzenden der Gruppe die Linke im Bundestag, Heidi Reichinnek und Sören Pellmann, nahmen die Rückzugsentscheidung der Parteivorsitzenden „mit größtem Respekt“ auf und bedankten sich für „die vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Wissler und Schirdewan hätten „mit großem Einsatz für die Partei gekämpft“.
Der Parteivorstand sieht die Lage dramatisch. Die Linke sei „zweifellos in einer gefährlichen, existenzbedrohenden Situation“, heißt es in einem Leitantrag für den Parteitag im Oktober, den der Vorstand am Samstag ohne Gegenstimme verabschiedete. „Viele, die lange Zeit ihr Vertrauen in uns gesetzt und uns dafür gewählt hatten, haben den Eindruck: Ihr seid mit euch selbst beschäftigt, ihr seid nicht für uns da. Diese Kritik nehmen wir an.“
Vom Parteitag in Halle aus wolle der Vorstand die Linke „auf einen neuen Weg führen und wieder erfolgreich machen“, schreibt das Führungsgremium. „Viele, die uns derzeit nicht wählen, wünschen sich eine linke Partei, mit der sie sich identifizieren können. Dieser Verantwortung stellen wir uns.“
Die Linke müsse sich „strategisch neu aufstellen“ und ihre Positionen schärfen. Als zentrale Themen nennt der Vorstand unter anderem „soziale Sicherheit, gerechte Verteilung, mehr Teilhabe und gleichwertige Lebensverhältnisse“.
Ziel sei es, „bei der Bundestagswahl 2025 wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen“, heißt es in dem Papier. „Darauf bereiten wir uns vor und wollen aus Fehlern lernen.“